edition motorfuture: KING > Folge 47

„Ist dir mal der Gedanke gekommen, dass sie dich um den Finger wickelt?“

„Nein, verdammt“, wiederholte Knecht matt. Er wusste, dass das eine Lüge war. Natürlich hatte er sich genau diese Frage schon x-mal gestellt. Er hörte sich sagen: „Ich lege meine Hand für sie ins Feuer.“

„Das hast du bei Greiner auch gesagt.“

„Greiner wurde von Rienand in die Sache reingezogen. Rienand war euer Mann. Er hatte zweihundertfünfzig Bundesligaspiele auf dem Buckel und…“

„Und was?“

„UND WAS UND WAS UND WAS?“ Greiner war sein schwacher Punkt. Der Junge war für die Schiedsrichterei ähnlich begabt gewesen wie jetzt Mandy Müller, und dann hatten sie ihm fünf Spielmanipulationen nachgewiesen: zweimal DFB-Pokal, zweimal dritte Liga, einmal zweite Liga.

„Getroffene Hunde bellen, Walter“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Und nach einer kurzen Pause: „Für Rienand hätte ich die Hand ins Feuer gelegt, was sage ich: beide Hände. Und genau das ist es, was mir Sorgen macht.“

Knecht schwieg. Er wusste, der Anrufer hatte Recht. Er starrte aus dem Fenster. Diese Welt war ein beschissenes Tollhaus, ein mieser Misthaufen voller Lug und Trug und Beschiss. Aber das galt nicht für das deutsche Schiedsrichterwesen. Jedenfalls war das bis zu den Fällen Rienand, Pachowiak, Wagner und Greiner so gewesen.

Er sagte: „Ich werde mit ihr reden.“

„Und du wirst kein Blatt vor den Mund nehmen.“

„Nein, ich werde Tacheles mit ihr reden, verdammt noch mal!“ Knechts Stimme war ein Bellen. Wenn Mandy Müller ebenfalls Dreck am Stecken hatte, dann würde er… Dann würde er was? Walter Knecht spürte den üblen Druck in seinem Magen. Die Schiedsrichterei war sein Leben. Leute wie er gaben dem unerschütterlichen Glauben an die Unbestechlichkeit der Schiedsrichter ein Gesicht. Und es war nicht zuletzt dieser Glaube an das Gute im Sport, der dem Fußball seinen Glanz verlieh, der dieses einfache Spiel zum Mythos der Massen machte.

Er sagte: „Ich werde mit ihr reden. Sehr rasch. Und du wirst der Erste sein, dem ich das Ergebnis dieser Unterredung mitteile. Aber bis dahin hältst du die Füße still.“

Schweigen in der Leitung.

„Bis dahin hältst du die Füße still. Bitte!“

„Wir sitzen im selben Boot, King, das solltest du nie vergessen.“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang sehr ruhig und sehr kühl.

 

Kapitel 14

Die beiden Männer waren sich zu ähnlich, um Sympathie füreinander entwickeln zu wollen. Das undurchdringliche Gesicht Friedo Hoffmanns. Das offen zur Schau gestellte Misstrauen Willi Teufels. Zwei Männer, die für Geld in den Ring stiegen. Bissige Bullen ohne Pensionsansprüche. Jäger und Schläger im Dienste ihrer Herrn. Der Rubel musste rollen.

Stanislaus King, der Milliardär, bemühte sich etwas linkisch um die Frau, die die Wände der Eingangshalle des schlossähnlichen Anwesens in Dahlem mit den Augen verschlang. Jeweils ein halbes Dutzend Blaue Reiter an den beiden Flanken des zweiflügeligen Treppenaufgangs. Franz Marc, August Macke… Männer, die auch nach heutigen Maßstäben als Avantgardisten durchgingen, obwohl ihr Blut die Felder der Ehre des erstens großen Schlachtens tränkte. Dazwischen am linken Aufgang wie zufällig eingestreut ein Luzifer-Porträt, zweifellos ein Rembrandt, düster und schwer vor Öl triefend, als hätte der Meister das Bild erst gestern gemalt, dabei luzide und hell wie das sternenklare Firmament einer heißen Sommernacht.

„Dieser Rembrandt“, sagte Apollonia Toth ergriffen. „Es ist, als habe der Herrgott persönlich die Farben gemischt und den Pinsel geführt… Es ist doch ein Rembrandt?“

„Es ist eine Kopie“, sagte King, „besser gesagt: eine Stilübung.“

Die Anwältin nickte. Eine Stilübung – was immer das zu bedeuten hatte. Sie konnte ihren Blick nicht von diesem Kunstwerk lösen. Tod und Teufel beherrschten das Gemälde, und dahinter stand ein strahlendes Leuchten, unheimlich und ewig.

„Es ist eine Stilübung“, sagte King, der um die fünfzig sein mochte, vielleicht auch zehn Jahre älter, gewiss nicht jünger. Der Milliardär trug einen perfekt sitzenden grauen Anzug, der seine füllige Figur kaschierte, und sein glattes graumeliertes Haar fiel strähnig auf seine Schultern.

Das Haar ist deutlich zu lang für einen Mann seines Alters. Die Anwältin lächelte ihn unsicher an. Unermesslicher Reichtum irritierte sie mit jener Mischung aus Faszination und Neid, die Jürgen so verachtete. Kümmern wir uns um unseren eigenen Wohlstand. Von der Flasche Champagner, die wir jeden Abend trinken, lebt anderswo eine Familie eine ganze Woche. Außerdem machte sie der leuchtende Luzifer da oben befangen. Diese Halle war unheimlich, über dem Treppenaufgang wachte der Tod.

„Es ist nur eine Stilübung“, wiederholte King. „Mein Hausmeister in Kalifornien hat es gemalt.“

Die Anwältin sah ihn an.

„Er hat eine veritable Fälscherkarriere hinter sich“, sagte der Milliardär. „Ich habe ihm eine Chance gegeben, als er aus dem Gefängnis kam. Jetzt betreut er mein Haus in der Nähe von San Francisco.“

Die Anwältin nickte.

„Er beaufsichtigt die Haushälterin und die Damen, die sauber machen. Und die Gärtner natürlich und die Handwerker. Und wenn ich vor Ort bin, fährt er mich, wohin ich will…“

„Ein Männchen für alles gewissermaßen.“ Apollonia Toth antwortete mit belegter Stimme.

„Nicht für alles.“ Stanislaus King musterte die zierliche Frau. Er wunderte sich immer wieder aufs Neue über die zerstörerische Kraft der Berliner Schnoddrigkeit.

„Sie sagten, der Mann habe ein Fälscherkarriere hinter sich?“ Die Anwältin übersah den Anflug von Ärger, den sie bei King ausgelöst hatte.

„Sicher“, sagte der Hausherr knapp. „Aber ich denke, das soll heute nicht unser Thema sein.“

„Er ist ein großer Künstler“, sagte die Anwältin.

„Ist er nicht. Und das weiß er auch.“

⇒ Folge 48 morgen bei motorfuture

 

 

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