edition motorfuture: KING > Folge 74

„Keine Widerrede, junger Mann! Sie sind vielleicht Pole, aber Frau Schulz ist ein schlechter Mensch! Sie ist eine Terroristin. Man sagt, sie sei eine Mörderin!“

„Und warum wohnt sie dann hier?“

„Weil es mein Neffe so will!“

„Ihr Neffe?“

„Pawelke. Professor Pawelke. Ein Weichling vor dem Herrn. Gut, dass seine Eltern, Gott habe sie selig, nicht mehr erleben müssen, was aus dem Jungen geworden ist.“

Teufel nickte.

„Er ist vom anderen Ufer, wenn Sie mich fragen. Und er ist ein Terroristenfreund.“

„Davon weiß ich nichts.“

„Natürlich nicht“, sagte die alte Dame, „er ist ja Ihr Chef! Und jetzt gehen Sie hoch und holen das Zeug, das die Schulz vergessen hat. Und lassen Sie sich hier nicht wieder blicken! Ich dulde keine Polen in diesem Haus!“

 

 

Kapitel 24

Sie hatten sich in Friedrichshain verabredet. Das Lieber-Rot-als-Tot war ein Szeneclub, den die Touristen noch nicht entdeckt hatten. Die staatlich alimentierte Subkultur versammelte sich hier, also die Jungen, die auf dem Amt ihre Hartz-Vier-Schecks kassierten, und die Alten, die an den Trögen der Kultur Staatsknete abgriffen: an den Schulen und Universitäten, in den Theatern, Museen, Ämtern und Projekten. Und auch die Diäten- und Spesenritter der in Berlin zahlreich sprudelnden parlamentarischen Quellen tranken und rauchten im Lieber-Rot-als-Tot: Politiker und Mitarbeiter aus den Bezirksrathäusern, dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag. Ein selbstzufriedenes Publikum, das große Reden hielt und kleine Trinkgelder gab.

Den Fußball hielten die meisten der staatlich versorgten Avantgardisten für einen vom Kapitalismus verseuchten Proletensport – das Lokal war also prädestiniert für ein anonymes Treffen. Die Schiedsrichterin und der Drittliga-Profi trugen dennoch zur Tarnung Sonnenbrillen und Mützen, sicher war sicher. Sie hatten sich zudem im Untergeschoss am hinteren Ende eines düsteren Tresens verabredet. Im Dunkeln ist gut munkeln, hatte Mandy Müller per WhatsApp wissen lassen, und Robert Rasic, der alte Haudegen im Trikot der Stuttgarter Hotspurs, hatte dazu das Wörterbuch befragt. Munkeln – das Verb hatte der ehemalige serbische Nationalspieler nicht gefunden, dafür aber die komplette Redensart. Seine Hoffnungen auf ein amouröses Abenteuer, gewissermaßen als Sidekick, hatten so zwar einen Dämpfer erfahren, aber der Lerneffekt war ihm natürlich viel wichtiger, denn an Frauen bestand ja kein Mangel. Rasic war nicht nur ein abgezockter Kicker, sondern auch ein heller Kopf. Seine sämtlichen Profi-Auslandsstationen in Italien, Frankreich und jetzt Deutschland hatte er genutzt, die jeweilige Sprache nahezu perfekt zu lernen. Das half, die speziellen Befindlichkeiten von Land und Leuten besser zu verstehen, denn eines war ja klar: Die Sprache öffnete nicht nur den eigenen Horizont, sondern auch die Herzen der Menschen und die Türen zu ihren Geschäften. Und klar war auch: Rasic würde seinen Lebensunterhalt nach dem unaufhaltsam nahenden Ende seiner Fußballerkarriere nicht in seiner Heimat, sondern in Westeuropa verdienen.

„Wir bleiben beim du“, sagte er zur Begrüßung, „einverstanden?“

„Passt“, sagte Mandy Müller und rutschte von ihrem Hocker. Sie war etwa zwei Fingerbreit größer als der Fußballer und streckte ihm die Hand entgegen: „Freut mich, dass wir uns kennenlernen.“

„Mich auch.“

„Das heißt, genau genommen kennen wir uns ja schon.“

„Das ist richtig, auch wenn die Umstände eher unerfreulich waren.“

„Waren sie das?“

„Ich finde schon. Ich möchte mich deshalb noch einmal in aller Form entschuldigen.“

„Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.“

„Ich kenne die Redensart, man benutzt sie auch im Serbischen.“

„Dein Deutsch ist ausgezeichnet.“

„Ich gebe mir Mühe.“

„Dein Deutsch ist in jeder Hinsicht ausgezeichnet… auch zotentechnisch.“ Die Schiedsrichterin zeigte ihr schmales Lächeln.

„Nun, ich…“

„Es hat dich erregt, richtig?“

„Es hat mich erregt, dass es dich erregt hat.“ Jetzt lächelte der Fußballer.

„Du bist nicht mein Typ.“ Mandy Müllers Stimme war jetzt kalt. „Und du hast nach Knoblauch gestunken.“

„Habe ich das?“ Robert Rasic nippte an seinem Mineralwasser. Er war abstinent. Er war ein Musterprofi. „Männer vom Balkan stinken nach Knoblauch. Und sie sind brutal.“

„Ihr bedient das Klischee mit Fleiß und Hingabe.“

„Es ist euer Klischee.“

„Dein Auftritt war jedenfalls eine ziemliche Zumutung“, sagte Mandy Müller humorlos.

„Ein grobes Foul oder eine Tätlichkeit wäre dir also lieber gewesen.“

„Es hätte mir auf jeden Fall die Arbeit erleichtert.“

„Für Tätlichkeiten bin ich nicht zu haben, ich habe einen Ruf zu verlieren.“ Rasic nippte wieder an seinem Wasser. „Und für grobe Fouls erst recht nicht. Wer fahrlässig die Verletzung eines Berufskollegen riskiert, hat im Profisport nichts zu suchen.“

„Dein Deutsch ist wirklich beeindruckend“, sagte die Schiedsrichterin spöttisch.

Wirklich beeindruckend sind meine Kontakte“, antwortete der Fußballer. Er suchte den Blick der Frau, aber er sah ihre Augen nicht. Die Gläser ihrer Sonnenbrille waren verspiegelt. Er sah sich um und senkte seine Stimme. Die Musik war nicht laut hier unten, aber sie war präsent. Rasic‘ Kopf näherte sich dem linken Ohr der Frau. Er hielt eine Hand mit dieser albernen Geste vor den Mund, die sie jetzt im Training einstudierten. Sein Atem roch nach Knoblauch. „Das bisschen Geld, mit dem sie uns abspeisen, bislang abspeisen, ist wirklich lächerlich.“

⇒ Folge 75 morgen bei motorfuture

 

 

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