edition motorfuture: KING > Folge 17

Dann die Sache mit dem Bootshaus.

Illegal, hieß es plötzlich. Mitte der dreißiger Jahre ohne Bebauungsplan oder ähnliche Hürden der Bürokratie einfach mir nichts dir nichts ins seichte Ufer der Havel gepflanzt. Samt Zufahrt und Stromanschluss. Ein enger Mitarbeiter Hermann Görings hatte sich die Genehmigung selbst erteilt und nach der neuerlichen Wendung von System und Zeitgeist buchstäblich Schilfgras über die kleine Idylle wachsen lassen. Kümmerliche zwölf Jahre waren zwar weit entfernt von den angepeilten eintausend, aber ein Havelgrundstück mit Bootshaus war noch lange kein Grund, schlafende Hunde zu wecken. Und weil der Bauherr stets mit der Zeit ging, wurde aus dem jungen Karriere-Nazi rasch ein überzeugter Parteigänger der jungen Demokratie, der von West-Berlin aus nicht nur den Westen verteidigte, sondern auch die Freiheit – und damit selbstverständlich auch die persönlichen Annehmlichkeiten, die sich aus dem großen Strom der Macht in die eigene kleine Welt abzweigen ließen. Denn darin waren sich die Systeme gleich. Und weil im Bombenhagel mit der Stadt auch die meisten Archive verbrannt waren, stellte die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders keine Fragen, die sich nicht von selbst beantworteten. Zumal sich das kleine Bootshaus in der Tat äußerst harmonisch in das Naturschutzgebiet irgendwo zwischen Schildhorn und Schwanenwerder einfügte. Und überhaupt: Die wenigen Menschen, die dieses Kleinod im Laufe der Jahrzehnte bescheiden nutzten, waren doch selbst Teil einer grandiosen Natur. Und Natur, die letztendlich nicht der menschlichen Natur diente, war doch geradezu widersinnig.

Willi Teufel jedenfalls bewohnte das Holzhaus mit Bootsgarage seit Jahr und Tag. Er hatte es von der Tochter des wendigen Erbauers gemietet und mit Hilfe eines Zimmermanns zu neuem Leben erweckt, und seine stille Vermutung, bei der Errichtung sei dereinst vermutlich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, wurden nach dem irdischen Abgang der alten Dame bestätigt. Der Detektiv erbte die Liegenschaft zwar mit der testamentarischen Auflage, sich fortan zuverlässig und freundschaftlich um Herrn Rühmann, den Jack Russell der Verblichenen zu kümmern, aber der Testamentsvollstrecker begrüßte ihn mit kummervoller Miene: „Sie erben eine Immobilie, die es eigentlich gar nicht gibt. Kein Grundbucheintrag, kein Kaufvertrag, keine Baugenehmigung. Die schon gar nicht. Die Hütte steht im Naturschutzgebiet.“

„Das ist keine Hütte, das ist ein Bootshaus“, bemerkte Teufel schwach.

„Hütte, Bootshaus, egal“, sagte der Notar. „Naturschutzgebiet ist Naturschutzgebiet.“

„Und jetzt?“

„Ich muss das melden, mein Herr, tut mir wirklich sehr leid. Ich bin amtlich bestellter Notar.“

„Und dann?“

„Die Naturschutzbehörde wird den Abriss des Gebäudes veranlassen.“

„Ich werde dagegen klagen“, sagte Teufel.

„Als was?“ Der Notar warf einen Blick auf sein blinkendes Smartphone.

„Als Erbe.“

„Als Erbe wovon?“

Teufel schwieg mit kalten Augen. Das Recht folgte großen Ideen und kleinkarierten Mustern.

„Sie erben ein Grundstück, das im Grundbuch nicht eingetragen ist.“ Der Notar warf erneut einen Blick auf sein Smartphone. „Ferner erben Sie ein Gebäude, das offenbar illegal in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. Und zwar auf einem Grundstück, über dessen Besitzverhältnisse es keinerlei Anhaltspunkte gibt.“

„Vom Wannsee bis hinauf nach Spandau weiß jedes Kind, wem dieses Bootshaus gehört. Gehört hat.“

„Das mag ja sein“, sagte der Notar freundlich. „Aber das Katasteramt weiß es nicht.“

„Gewohnheitsrecht“, sagte Teufel.

„Könnte ein Thema für die Alteigentümer sein, ist im Erbrecht aber nicht vorgehsehen.“

Die Stimme des Notars klang jetzt ungeduldig und eine winzige Nuance zu laut.

„Das heißt, ich erbe etwas, das ich nicht erben kann.“

„Korrekt. Beinahe korrekt.“

„Beinahe?“

„Der Hund! Der Hund Herr Rühmann wartet in der Pension Hundeglück in der Herbartstraße auf sein neues Herrchen.“

„Herbartstraße?“

„Ist gleich hier um die Ecke. Am Lietzensee.“

Der Detektiv nickte und erhob sich für einen Mann seines Alters und seiner Gewichtsklasse erstaunlich geschmeidig.  „Na dann schönen Dank.“

„Keine Ursache.“ Der Notar hatte sich ebenfalls erhoben und bot jetzt geschäftsmäßig seine rechte Hand an. Sein Blick pendelte zwischen dem Smartphone, das auf dem Schreibtisch blinkte, und dem stämmigen Besucher. Dann sagte er: „Ich bin froh, Herr Teufel, dass es der Hund so gut getroffen hat.“

 

⇒ Folge 18 morgen bei motorfuture

 

 

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