edition motorfuture: KING > Folge 29

„Und der Schiedsrichter kassiert dreitauendsachthundert Euro pro Spiel… Und muss sich dafür auch noch anpöbeln lassen.“

„Der Fünf-Millionen-Euro-Trainer jedenfalls spuckt regelmäßig Gift und Galle, wenn ihm eine Schiedsrichter-Entscheidung nicht passt.“

Apollonia sah hinaus in die schwarze, warme Nacht. Die Stadt brummte wie ein schläfriges Tier. Apollonia war Anwältin. Sie lebte davon, ihren Mandanten mitunter unangenehme Fragen zu stellen. Sie wunderte sich. Wenn nicht alles täuschte, war der Profifußball mittlerweile auch strukturell Showbusiness auf höchstem Niveau. Auf die wichtigen Protagonisten prasselte das Geld förmlich herein. Nur die Schiedsrichter wurden mit ein paar Euro abgespeist.

Sie sagte: „Ich frage mich, warum ihr Fußballfans diesen Leuten so bedingungslos vertraut.“

„Den Schiedsrichtern?“

„Den Prügelknaben…“

„In Sachen Integrität?“

„Ganz genau.“

„Fragt das die Anwältin oder die Ballett-Liebhaberin?“

„Ich bin jedenfalls froh, dass das Ballett ganz ohne Schiedsrichter funktioniert.“

„Du meinst, bei euch spielt höchstens das Orchester unten im Graben falsch.“

„Du hast es erfasst, mein Lieber.“ Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu. „Vielleicht brauchen wir heute eine zweite Flasche.“

„Gut möglich.“

Jürgen Toth schaute in sein leeres Glas.

Diese Rechtsverdreher. Allesamt Misanthropen und Klugscheißer. Kleinkarierte Obrigkeitsapostel. Das Recht dient nicht den Menschen, sondern die Menschen dienen dem Recht. Andererseits: Menschenfreundlichkeit und Naivität sind nur die beiden Seiten ein und derselben Medaille.

Er sagte: „Wenn die Integrität der Schiedsrichter erst einmal in Frage steht, ist die Show vorbei.“

„Und das kann ja niemand wollen.“

Apollonia Toth leistete sich ihr schmales Anwaltslächeln. Manchmal wunderte sie sich nach all‘ den Jahren immer noch über diesen Mann. Wunderte sich über diese verstörende Mischung aus Klugheit, Lebenserfahrung, Intellekt und – Vertrauensseligkeit.

Sie sagte: „Du glaubst doch nicht, dass das alles Engel sind.“

„Die Schiedsrichter?“

„Die Schiedsrichter, die Spieler, die Funktionäre. Die Wettmafia. Die chinesischen, die italienischen, die albanischen Paten.“

„Ja“, sagte er, „ich erinnere mich an den Skandal“.

„Wie lange ist das jetzt her?“

„Zwei, höchstens drei Jahre.“

Er sah über den Tisch hinweg in die Nacht. Was er hörte, gefiel ihm nicht. Aber es war nicht von der Hand zu weisen.

„Und? Jetzt ist alles wieder okay?“

„Wenn wir an der Integrität der Schiedsrichter zweifeln, können wir den Spielbetrieb einstellen.“

„Und dann?“

„Dann verlieren Millionen von Menschen ein Stück ihres Lebens.“

„Fußball als Religionsersatz.“

„Das Spiel als Lebenszweck. Das Vereinswappen als Familie.“

„Ist es tatsächlich so?“

„Ich befürchte, ja.“

„Ist Champagner ein Lebenszweck?“

„Schon eher.“

„Wenn du nicht rasch eine zweite Flasche holst, können wir den Trinkbetrieb einstellen.“ Apollonia räusperte sich. „Ich sag‘ dir was, und auf dem Weg in die Küche kannst du darüber nachdenken.“

„Nämlich?“

„Der Wettskandal vor zwei oder drei Jahren war in Wirklichkeit ein Schiedsrichterskandal. Und es würde mich sehr überraschen, wäre dieser Schiedsrichterskandal in der rauen Wirklichkeit des Spielbetriebes nicht mehr als nur die kleine Spitze des vielzitierten Eisbergs.“

 

 

Kapitel 10

Eigentlich müsste der Kerl ja bei ihm antanzen. Brav antreten, eine Stunde im Vorzimmer warten, dann den Kotau machen, die Weisung in Empfang nehmen und wieder abzischen.

Eigentlich.

 

⇒ Folge 30 morgen bei motorfuture

 

 

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