edition motorfuture: KING > Folge 32

„Ich bin wegen der King-Sache hier.“

„Weswegen?“

„Wegen der King-Sache. Der Anschlag auf den Großkotz, auf sein Auto.“

„Was ist damit?“

„Das frage ich dich.“

„Stanislaus King ist kein…“ Gero Günther vermied es, das Wort in den Mund zu nehmen. Er machte ein angewidertes Gesicht. Er sagte: „Stanislaus King ist ein angesehener Bürger dieser Stadt, dieses Landes, und ich glaube sagen zu können…“

„Wäre ganz nett, du könntest mir doch einen Kaffee organisieren. Filterkaffee, schwarz, ohne alles.“

„…und ich glaube sagen zu können, Stanislaus King ist durchaus so etwas wie ein angesehener Weltbürger.“

Der Innensenator dozierte seinen Satz mit freundlicher Ruhe zu Ende. Als Lehrer lernt man beizeiten, das letzte Wort zu haben. Alles andere ist schlecht für den Lernfortschritt der Schüler. Und ungesund für das eigene Wohlbefinden.

Er ging zur Tür und sagte: „Beate, der Herr Außenminister hätte gerne Kaffee. Filterkaffee, schwarz, ohne Milch und Zucker. Ist das möglich?“

Und erneut das spöttische Lächeln, als er wieder am Tisch saß: „Dein Wunsch ist dem Land Berlin Befehl. Dem Land, der Stadt und dem Erdkreis.“

„Immer noch der alte Witzbold.“

Schneider lächelte gequält. Die Witze machte er. Wenn überhaupt.

„Ehre wem Ehre gebührt.“

Günthers Spott war mehr als nur Spaß. Die Rollenverteilung musste klar sein. Er war hier der Hausherr, und dieser Schlägertyp mit den Machoallüren hatte zu kuschen, und wenn er dazu nicht bereit oder in der Lage war, sollte er einfach wieder verschwinden. In der Politik war es wie im Klassenzimmer. Wer nicht schwimmen konnte, versank in den trüben Fluten der menschlichen Niedertracht.

„Also, was ist mit dem Anschlag auf Stanislaus Kings Auto vor dem Olympiastadion?“

„Das frage ich dich.“

„Und in welcher Eigenschaft?“

„In meiner Eigenschaft als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland.“

Innensenator Günther zeigte keine Regung. Mit dieser Information konnte er noch gar nichts anfangen. Seine hellen Augen richteten sich auf Schneider, den Parteifreund. Sag‘ was, tapferes Schneiderlein, wenn du was zu sagen hast. Helle graue Augen. Undurchdringlicher Blick. Unbewegliches Gesicht.

Der Außenminister zögerte. Gero, das alte Weichei. Hatte ganz schön an Format gewonnen. Spielte hier den harten Hund. Ließ ihn zappeln, verdammte Scheiße. Er konnte diesen Lehrerzimmer-Fuzzi sogar verstehen. Er hätte es umgekehrt ja ganz genau so gemacht.

Schließlich beugte er sich vor, um ganz sinnbildlich eine Atmosphäre der Konspiration herzustellen. Er warf einen Blick in den Raum, als wolle er die Wände nach Wanzen absuchen. Und ließ diesem Blick einen weiteren folgen und noch einen. Dann sagte er mit leiser Stimme, um die Vertraulichkeit der folgenden Information zu unterstreichen: „Es scheint hier gewisse Berührungspunkte und Interessen zu geben. Im Sinne der Staatsraison…“

„Du sprichst in Rätseln.“

Der Innensenator hatte den Zeitpunkt seiner Antwort – keinen Moment zu früh, keine Zehntelsekunde zu spät – genau getaktet.

„Nun, ich…“

Schneider, das alte Pokerface, tat jetzt so, als verfüge er über streng vertrauliche Informationen. Über Nachrichtenstoff, dessen Weitergabe auch beim allerbesten Willen und selbst unter so alten politischen Weggefährten, wie sie es waren, absolut tabu sein musste.

Aber Günther tat ihm den Gefallen nicht. Günther wusste Bescheid. Der Kerl wäre nicht hier, würde ich nicht am längeren Hebel sitzen.

Er zeigte wieder sein verbindliches Ich-habe-es-ebenfalls-geschafft-Lächeln, als die Assistentin das Plastiktablett mit dem Kaffee und dem grünen Tee auf dem Tisch platzierte. Er wartete, bis sich die Tür wieder geschlossen hatte und sagte dann: „Hell, spuck’s endlich aus!“

„Nun, das sind…“

Hell Schneider, der die je nach Sprache freundliche oder martialische Bedeutung seines Vornamens dem ursprünglichen Taufnamen Helmut verdankte, wollte noch nicht so schnell aufgeben, aber Gero Günther setzte seinen längeren Hebel genau dort an, wo es weh tat.

„Wenn du hier bist, um nicht über irgendwelche hochvertraulichen Staatsgeheimnisse zu sprechen, dann hast du mein vollstes Verständnis.“ Er lächelte wieder, jetzt eine deutliche Spur zu breit. „Ein Geheimnis wäre ja kein Geheimnis mehr, würde man es hier und dort und bei Krethi und Plethi ausplaudern, und dasselbe gilt für Verschlusssachen gleich welcher Art, und für Staatsgeheimnisse gilt es erst recht… Ich weiß, wovon ich rede, das kannst du mir glauben. Ich bin Innenminister eines Bundeslandes, und als Polizeiminister bin ich für die Einhaltung von Recht und Gesetz und Ordnung verantwortlich.“

Gero Günther lächelte sein breites Lächeln.

„Und, bist du fertig?“ Hell Schneiders Stimme klang müde.

„Selbstverständlich!“ Gero Günther klang jetzt betont aufgekratzt. Auch er hatte schauspielerische Qualitäten. Auch ihn hatte ein seit frühester Kindheit unstillbarer Drang zur Selbstdarstellung in die Politik getrieben. „Hat mich gefreut, dass wir uns wieder mal gesehen haben.“

Der Außenminister sah ihn an. Hell Schneider hatte braune Augen, und das gab seinem kalten Blick etwas Versöhnliches.

Er sagte: „Früher hast du nicht gelogen.“

„Früher nicht und heute nicht.“

„Wie soll ich den Zirkus hier dann verstehen?“

Der Innensenator sah spöttisch über den Tisch: „Da ist er ja wieder, der gute alte Hell. Nie um einen Spruch verlegen.“ Und nach einer kurzen Pause: „Jetzt hör‘ mir mal gut zu, Herr Oberdiplomat! Du spielst hier den Zirkusclown, nicht ich. Wenn du nicht reden willst, dann lass‘ es einfach.“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Für ihn war das Gespräch beendet.

 

⇒ Folge 33 morgen bei motorfuture

 

 

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