edition motorfuture: KING > Folge 33

Der Innensenator sah spöttisch über den Tisch: „Da ist er ja wieder, der gute alte Hell. Nie um einen Spruch verlegen.“ Und nach einer kurzen Pause: „Jetzt hör‘ mir mal gut zu, Herr Oberdiplomat! Du spielst hier den Zirkusclown, nicht ich. Wenn du nicht reden willst, dann lass‘ es einfach.“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Für ihn war das Gespräch beendet. Er erhob sich und blieb einen Augenblick unschlüssig stehen. Der Innensenator war sehr lang und sehr dünn, und obwohl er seinen sechzigsten Geburtstag hinter sich hatte, sah er aus wie ein großer Junge. Er ging mit langen Schritten zur Tür, keine seiner Bewegungen wirkte einstudiert. Er legt die Hand auf die Klinke und sah hinüber zu dem einfachen Amtszimmerbesprechungstisch mit der hellbraunen Resopalplatte.

„Immer noch die alte beleidigte Leberwurst!“

Schneider versuchte jetzt ins Gönnerfach zu wechseln, aber ohne despektierliche Anmerkungen, Anmaßungen, Unverschämtheiten ging es nicht bei ihm.

Günther stand an der Tür. Er hielt sich sehr gerade, und der dürre Mann hatte echtes Gardemaß, und sein Gesicht war eine Maske.

„Bist ein ganz schön harter Hund geworden“, sagte Schneider.

„Und du bist immer noch das Arschloch von früher“, antwortete Günther. „Schlecht gelaunt, unverschämt, breitgrätschig… Und immer noch sehr leicht auszurechnen.“

Schneider schwieg. Er trank von der schwarzen Brühe, die weder wie Kaffee aussah noch nach Kaffee roch. Das Zeug schmeckte wie… Vielleicht hatten sie ihm tatsächlich Spülwasser mit etwas Pulver eingefärbt und lachten sich jetzt tot draußen, all‘ die AssistentInnen und ReferentInnen und RegierunsgdirektorInnen. Diese ganze Gender-Scheiße, dieser ganze Schwachsinn… Nahm er eben noch einen Spülwasserschluck. Schneider trank.

„Du schwebst durch den Saal und über die Bühne bei den Parteitagen wie ein miesepetriger Rachegott. Seit du Außenminister und Vizekanzler bist, gehst du nicht mehr, du schwebst inmitten deiner Leibgarde. Deine Beiträge sind so elitär wie deine Manschettenknöpfe, deine rahmengenähten Schuhe und deine wichtigen Westen unter deinen maßgeschneiderten Jacken. Deine Staatsmannattitüde ist peinlich. Einfach nur peinlich. Deine Hybris macht dich zur Lachnummer, und du merkst es noch nicht einmal.“

Schneider schwieg. So deutlich hatte ihm schon lange keiner mehr die Meinung gegeigt.

Er hob die leere Tasse und sagte: „Ob mir die freundliche Beate in der Spülküche wohl noch ein wenig Nachschub holt?“

Der Innensenator lächelte und schüttelte den Kopf. Er nahm die Tasse und reichte sie zur Tür hinaus. Dann setzte er sich wieder. Seine Beine waren so lang und so dünn und an den Gelenken so eckig wie Stahlschienen mit Scharnieren.

„Der Punkt ist, dass ich selber nicht weiß, worum es geht“, sagte Schneider versöhnlich.

„Schon klar.“

„John…, also der amerikanische Kollege, hat mich angerufen und mich gebeten, dich zu bitten, den Ball flach zu halten in dieser Brandanschlagsgeschichte.“

„Den Ball flach zu halten?“

„Nun, er sagt…“

„Was sagt er?“

„Er sagt eigentlich nichts.“

Es klopfte an der Tür.

„Du kannst reinkommen, Beate“, sagte der Innensenator. Er wartete, bis das neue Plastiktablett auf dem Plastiktisch platziert war und bis sich die schwere und innen gepolsterte Eichentür wieder geschlossen hatte. Die stammte noch von seinem CDU-Vorgänger. Dann fuhr er fort: „Deine Ami-Freunde wollen tatsächlich, dass wir hier ein Kapitalverbrechen unter den Tisch kehren?“

„Das sind nicht meine Freunde, das sind unsere Verbündeten.“

„Na, so was“, sagte Gero Günther kalt.

Schneider schwieg.

„Ich kenne die Kunde aus einer anderen Zeit, die erzählt von einem brutalen Straßenschläger, der bei jeder Demo mitlief und stundenlang Ami go home skandierte.“

„Erstens hat sich das auf Vietnam bezogen, und zweitens wäre es auch heute kein Fehler, wenn sich unsere amerikanischen Freunde auf die wirklichen Brennpunkte dieser wüsten Welt konzentrieren würden…“

„Das sagst du hier. Wäre schön, man würde so viel Einsicht auch mal öffentlich hören.“

„Ich bin der oberste Diplomat dieses Landes und kein Schulmeister.“

„Da hat die deutsche Jugend ja noch einmal Glück gehabt“, sagte der Innensenator mit schmalen Augen. „Und mit dem obersten Diplomaten verhält es sich ähnlich wie mit dem Esel und dem Eis.“

Der Außenminister hob den Kopf. Das Bild machte nicht wirklich Sinn.

Er sagte: „Wenn du Verantwortung für ein Land trägst, dann…“

„Dann was? Dann bearbeitet die Polizei ein Kapitalverbrechen oder sie bearbeitet es nicht? Wie es gerade ins Tagesgeschäft passt?“

 

⇒ Folge 34 am Montag bei motorfuture

 

 

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