edition motorfuture: KING > Folge 34

„Dann was? Dann bearbeitet die Polizei ein Kapitalverbrechen oder sie bearbeitet es nicht? Wie es gerade ins Tagesgeschäft passt?“

Über der Tischmitte, im neutralen Überfluggebiet von Resopalplattenland, trafen sich die harten Blicke zweier alter Männer, die sich immer noch für junge Männer hielten. Beide Männer waren einmal WG-Salon-Revolutionäre gewesen. Jetzt, nach dem erfolgreichen Marsch durch die Institutionen, waren die beiden Ex-Spontis – der eine dachte gerne an diese Zeit zurück, der andere erinnerte sich je nach Standort, Publikum und aktueller politischer Lage an alles oder nichts – zu hoch alimentierten Berufspolitikern mit gewaltigen Stäben und ebensolchen Pensionsansprüchen mutiert.

„Du als Innenminister hast bestimmt schon mal was von Staatsraison gehört.“

„Ich weiß nicht, was abstoßender ist, deine Hybris oder dein Zynismus.“

„Du kannst ja mal die Wähler fragen.“ Schneider grinste. Er stützte sich mit beiden Unterarmen auf den Tisch und sagte: „Die Leute wollen Kante sehen, Power. Hybris und dieser ganze Scheiß aus deinem philosophischen Seminar – das interessiert doch keine Sau.“ Er fixierte Günther mit dosierter Verachtung. „Die kleinen Leute draußen wollen sich auf jemanden verlassen können, der aufs Ganze geht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Die Leute, die beim Discounter vier Schnitzel für zwei Euro kaufen, wählen keine veganen Wollsockenfetischisten.“

„Und deswegen bist du der Held, der große Chef.“

„Schön wär’s ja.“ Schneider zeigte auf seine zerknautschte Visage. „Keiner weiß besser als du, warum das bei uns so ist. Aber schade ist es schon.“

„Du glaubst, wir wären im Bund sonst stärker als die SPD.“

„Das glaube ich nicht, das weiß ich.“

„Und du wärst dann Bundeskanzler.“

„Na klar. Und du wärst nicht Innensenator in dieser Piefke-Hauptstadt, sondern Innenminister der Bundesrepublik Deutschland.“

Der Berliner Innensenator badete einen Moment lang in wohligen Gefühlen, ehe er sich besann: „Sicher doch, weil du ausgerechnet mich in dein Kabinett holen würdest.“

„Gero!“ Schneider langte jetzt mit seiner Schlägerpranke über den Tisch und tätschelte Günthers knochigen Unterarm. „Kann ja sein, dass du mich nicht leiden kannst. Sicher ist jedenfalls, dass ich dich nicht leiden kann. Aber Profis wie wir sind immer an der Sache interessiert. Das war schon immer so. Das war schon vor dreißig Jahren so, als wir uns auf den Bundesversammlungen gegenseitig vom Rednerpult aus angeschrien und beleidigt haben. Und ich sehe nicht, dass sich daran bis heute etwas geändert hat. Warum sollte es auch? Selbst die verbeamteten Hosenscheißer, die unsere Mitglieder heute zum größten Teil sind, sehen ein, dass man mit Ochsen vielleicht einen Bauernkarren ziehen kann. Für die vergoldete Kutsche, die einen direkt zum großen Schloss bringt – und dort hinein – brauchst du edle gespannfähige Rösser. Und du brauchst vor allem Kutscher, die das Gespann auf Kurs halten und zum Ziel bringen.“

Günther entdeckte einen freundlichen Zug in Schneiders Augen, den er allerdings schon im nächsten Moment als Verschlagenheit interpretierte. Schneiders Geschichten waren gut, waren immer gut gewesen. Das wusste er. Er wusste auch, warum dieser Zyniker in weiten Wählerkreisen als der realste aller real möglichen Realpolitiker gelobt wurde. Ab dafür. Die Frage war nur: Gehörte er, Gero Günther, in der eben gehörten Geschichte zu den Rössern, oder saß er schon mit auf dem Kutschbock?

„Es tut nichts zur Sache, dass wir uns nicht leiden können“, sagte er vage.

„Sag‘ ich doch.“

Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland hatte es sich wieder einigermaßen bequem gemacht auf seinem Dienstzimmerbesprechungsstuhl.

„Wenn wir nicht ein paar Zugpferde in unseren Reihen hätten, ein paar richtig gute politische Tiere, und wenn wir nicht ein paar wenige Leute mit der Kutscherlizenz hätten, dann wäre unser parteiähnlicher Chaotenladen längst den Bach runter gegangen.“

Das stimmte.

„Divide et impera“, murmelte der Berliner Innensenator. Hell, der Mann mit der erstaunlichen Karriere, mochte zwar ein Metzger sein, aber er war einer, der seine Schnitzel freigiebig, gerecht und sehr pragmatisch verteilte. Lieber ein gutes Original als eine schlechte Kopie. Das war sein zwar nicht sonderlich originelles aber immerhin an der Sache orientiertes Personalkonzept.

„Sag‘ ich doch.“

„Na, gut“, sagte der Innensenator. „Die Amerikaner haben also Aktien in der Causa Stan King. Kannst du dir einen Reim darauf machen?“

 

⇒ Folge 35 morgen bei motorfuture

 

 

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