edition motorfuture: KING > Folge 35

„Na, gut“, sagte der Innensenator. „Die Amerikaner haben also Aktien in der Causa Stan King. Kannst du dir einen Reim darauf machen?“

„Nein, kann ich nicht“, sagte der Außenminister. Und nach einer kurzen Pause: „Ich weiß nur, dass Vizepräsident Jack Store und dieser Geldsack befreundet sind. Und dass King außerdem ganz eng ist mit dem aktuell vielleicht einflussreichsten Senator, dem Senior-Senator von Kalifornien. Sehr eng, ausgesprochen eng!“

„Das ist Mike Green.“

„Ganz genau.“

Schneiders Lächeln war jetzt echt. Er konnte ihn zwar nicht ausstehen, diesen spindeldürren philosophischen Klugscheißer – Günther hatte in Freiburg über Hannah Arendt promoviert –, aber er war einer der wenigen Vollblutprofis, die die Politik im Blut hatten. Die alles wussten, alles lasen, alles kannten. Die unablässig arbeiteten.

„Du weißt, dass das keinen Sinn macht“, sagte der Innensenator.

„Was macht keinen Sinn?“

„Diese Freundschaften auf der einen Seite… Und der explizite Wunsch der US-Regierung auf der anderen Seite, den Sprengstoffanschlag unter den Teppich zu kehren.“

„Sprengstoffanschlag?“

„Davon reden wir die ganze Zeit.“

„Okay“, sagte der Außenminister, „ich bin bis gerade eben immer von einem Brandanschlag ausgegangen. Von einem Molotow-Cocktail oder etwas ähnlichem. Und von einer Verkettung unglücklicher Umstände, die zu dem Todesfall geführt haben.“

„Und was ändert das?“

„Das ändert vielleicht alles.“ Schneider fixierte seinen Gastgeber über den Tisch hinweg. Er wurde nicht schlau aus dem Kerl. Konnte wie aus dem Effeff den Senior-Senator des Staates Kalifornien beim Namen nennen, kannte aber ganz offensichtlich nicht einmal die gängigsten Wald-und-Wiesen-Techniken aus der Guerillafibel für den Einsatz in der großen  Stadt. „Einen Brandsatz kann jeder werfen. Benzin in die Flasche, benzingetränkter Lappen in den Flaschenhals, anzünden, werfen, fertig! Verstehst du?“

„Ich bin ja nicht blöd“, sagte der Innensenator. Dutzende Male hatte er Leute beim Basteln – und Werfen! – von Molotowcocktails beobachtet. In seiner frühen Studienzeit hatte er keine Demonstration ausgelassen, zuerst in Freiburg, dann in West-Berlin, dann wieder in Freiburg. Dutzende Male waren ihm leere Flaschen, Benzinkanister, Haushaltstrichter und Stofflappen angeboten worden, aber niemals hätte er eine dieser Zutaten auch nur mit der Kneifzange angefasst. Was, wenn ein Auto oder ein Laden tatsächlich in Brand geriet? Was, wenn jemand zu Schaden kam? Nein, nein, das Risiko war zu groß. Viel zu groß. Nein, nein, er hasste Gewalt. Physische Gewalt mochte als letztes Mittel zuweilen unausweichlich sein… Aber man musste ihre Ausübung unbedingt anderen überlassen.

Der Außenminister lächelte spöttisch. Er konnte die Gedanken des Innenministers förmlich lesen. Er kannte seine Pappenheimer. Helden wie Gero Günther. Waren smart genug, sich immer und überall aus der Schusslinie zu nehmen.

Er dozierte weiter: „Sprengstoff hingegen ist…“

„…etwas für Profis.“ Günther winkte ab. „Geschenkt.“ Er sah über den Tisch. „Es wundert mich, dass du bezüglich des Tathergangs keine korrekten Informationen hast.“

„Vermutlich meine Schuld.“ Der Außenminister war nicht der Typ, der Mitarbeiter für seine Fehler haften ließ. Jedenfalls nicht, solange es um kleine Fehler ging. „Ich habe die Aktenvermerke nur überflogen. Und bei der kleinen Lage vermutlich nicht richtig zugehört.“

„Das LKA ermittelt in Richtung Wettbetrug“, sagte der Innensenator.

„Im Fußball?“

„Ja, das Thema Spielmanipulation kocht wieder hoch. Die Experten sind alarmiert. Es geht um globale Dimensionen organisierter Kriminalität.“

„Wir reden über das bandenmäßige Manipulieren von Fußballspielen? Auch in Deutschland?“

„Auch hier.“

„Was braucht man dazu? Außer Geld?“

„Man braucht Spieler. Und man braucht Schiedsrichter.“

„Großer Gott“, sagte der Außenminister, der nicht an den sauberen Sport, aber an den sauberen Fußball glaubte. „Was für eine beschissene Welt.“

Günther nickte. Fußball interessierte ihn nicht. Fußball war ein langweiliges, rohes Spiel mit lächerlich simplen Regeln für schlichte Gemüter und Proleten. Wer glaubte, dass bei dieser öffentlich legitimierten Treterei immer alles mit rechten Dingen zuging, musste ein Volltrottel sein. Er forschte in Schneiders Gesicht nach echter Betroffenheit.

„Meine Güte, wo soll das noch hinführen, wenn man nicht einmal mehr den Ergebnissen auf dem Fußballplatz trauen kann“, sagte der Außenminister.

Aha. Der Berliner Innensenator lächelte. Er lächelte beinahe entrückt. Seine Augen waren geschlossen. Sein Gesichtsausdruck zeigte jetzt das selige Wohlbefinden festlich betuchter Konzertbesucher, wenn das Orchester die ersten Takte spielt. „Die Ermittlungen sind wirklich schwierig“, sagte er schließlich kryptisch, „sehr schwierig.“

 

⇒ Folge 36 morgen bei motorfuture

 

 

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