edition motorfuture: KING > Folge 36

„Meine Güte, wo soll das noch hinführen, wenn man nicht einmal mehr den Ergebnissen auf dem Fußballplatz trauen kann“, sagte der Außenminister.

Aha. Der Berliner Innensenator lächelte. Er lächelte beinahe entrückt. Seine Augen waren geschlossen. Sein Gesichtsausdruck zeigte jetzt das selige Wohlbefinden festlich betuchter Konzertbesucher, wenn das Orchester die ersten Takte spielt. „Die Ermittlungen sind wirklich schwierig“, sagte er schließlich kryptisch, „sehr schwierig.“ Er öffnete die Augen, und sein Blick war kalt: „Ich denke, man wird dieser unappetitlichen Angelegenheit ganz gewiss am ehesten gerecht, wenn man hier ein wenig auf die Bremse tritt.“

„Ich danke dir, mein Freund.“ Der Außenminister schnellte aus seinem Stuhl, drückte den dürren Senator im Vorbeigehen kurz an seine mächtige Brust, riss die Tür auf und ließ der hämmernden Hektik seiner ungeheuren staatsmännischen Bedeutung wieder ungehemmten Lauf.

Die Aufzugstür am Ende des Flurs öffnete sich, und ein Gesicht sah ihnen entgegen, und der Personenschützer an der Tür entschied, nicht einzusteigen.

„Fahren Sie bitte weiter“, sagte er.

„Gerne“, sagte der Mann im Aufzug mit einem arroganten Lächeln. „Wenn Ihro Exzellenzen erlauben.“

Freundliche Wähler sehen anders aus, dachte der Außenminister. Aber das war er ja gewohnt: Dass die allermeisten Leute alles Mögliche waren – aber keine Wähler seiner kleinen piefigen Ökopartei.

„Das Gesicht kommt mir bekannt vor“, sagte er, als sich die Aufzugstür wieder geschlossen hatte. „Kennt jemand den Mann?“

„Ich glaube, das ist Walter Knecht, Schiedsrichter-Obmann des Fußballverbandes Berlin-Brandenburg“, sagte einer der Bodyguards.

„Stimmt“, sagte der Außenminister, „gut erkannt. Der Typ nimmt manchmal im Fernsehen Stellung zu strittigen Schiedsrichter-Entscheidungen… Richtig, Männer?“

Die Männer nickten.

 

 

Kapitel 11

Toth und Teufel trafen sich in Apollonias Stammkneipe am Stuttgarter Platz, Ecke Leonhardtstraße.

Die Anwältin besuchte das Lokal seit fünfunddreißig Jahren.

Sie hatte ihre Schulzeit am Sophie-Charlotte-Gymnasium in der Sybelstraße absolviert, und sie und die Mitschüler waren in den Hohlstunden oder nach der Schule entweder durch die Unterführung rüber zum Stutte ins Café Dollinger gegangen, oder sie hatten ihren Kaffee in Tante Fraukes Tortenladen gleich um die Ecke getrunken. Im Dollinger konnte man draußen sitzen, das hatte die Wahl an vielen Tagen einfach gemacht. Außerdem hatte es in der Eckkneipe hinter dem ewig langen Tresen keine bösen Blicke gegeben, wenn die Oberstufe der Sophie-Charlotte das Lokal innerhalb weniger Minuten in eine neblige Räucherhöhle verwandelte. Apollonia kannte jeden Stuhl hier und jeden Tisch und jeden Zeitungsstock. Die Zeit war stehengeblieben am Stutte, und die jungen Menschen, die einst den Platz bevölkert hatten, waren jetzt alte Menschen, im besten Fall fortgeschrittenes Mittelalter wie Toth und Teufel. Die Jungen und die Jüngeren waren jetzt drüben in Mitte und am Prenzlauer Berg und in Pankow und in Friedrichshain und immer noch in Kreuzberg und teilweise schon in Neukölln. Der Westen Berlins war nach all‘ den aufregenden Frontstadt-Jahrzehnten in einen erschöpften Dornröschenschlaf gefallen.

Willi akzeptierte die immer gleiche Treffpunktansage – „Wenn ich in Berlin bin, dann zieht es mich an den Stutte“ – kommentarlos. Es war ihm herzlich egal, wo er sich mit der Anwältin traf, Hauptsache, sie trafen sich überhaupt. Apollonia hatte hin und wieder einen interessanten Fall in Arbeit, und manchmal erforderten ungeklärte Umstände mehr oder weniger diskrete Ermittlungen, und für diese Nachforschungen war er zuständig, seit seine zuweilen handfesten und gelegentlich grenzwertigen Methoden den bizarren Fall des Pharmagroßhändlers Paul „Speed“ Sperandio einer mindestens ebenso bizarren Lösung zugeführt hatten. Die Anwältin hielt jedenfalls große Stücke auf ihn. Legalität war mitunter hinderlich im Geschäft mit der Illegalität. Und der Detektiv kannte nicht nur alle Tricks, er war auch bereit, sich selbst ab und zu aufs Drahtseil zu schwingen. Willi Teufels Motivation war das Honorar und das war ein starker Antrieb.

Toth und Teufel waren ein gutes Team. Die Anwältin kannte alle Grenzlinien zwischen Recht, Gesetz und Wirklichkeit, und der Ex-Polizist bewegte sich in den teilweise beträchtlichen Grauzonen mit der routinierten Verschlagenheit des einsamen Fährtenlesers und Fallenstellers.

„Sie haben die Ermittlungen also eingestellt.“

⇒ Folge 37 morgen bei motorfuture

 

 

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