edition motorfuture: KING > Folge 38

Sie sagte: „Heute Nachmittag wirst du mich in Hochform erleben.“

„Da wird sich der Herr Professor Pawelke aber freuen.“

„Wir müssen noch ein bisschen Futter für ihn vorbereiten.“

„Natürlich, der Kunde ist König.“

„Es lebe der König!“ Apollonia Toth befühlte die schlaffer werdende Haut an ihrem Hals. „Können wir unser Material ein wenig frisieren?“

„Ich denke schon.“

Teufel sah hinauf in den Himmel über Charlottenburg. Die Wolken waren grau und trugen Regen. Auffrischender Wind aus West-Südwest trieb sie vor sich her. Gegenüber ratterte im Hochparterre eine S-Bahn vorbei. Alter Zug auf alten Gleisen. Die Häuser ringsum – alle deutlich über hundert Jahre alt; Bürgerhäuser so alt und gepflegt, als habe es den Kampf um Berlin nie gegeben.

„Der Termin mit dieser Frau Schulz, steht der?“

„Ja, wir können direkt im Anschluss an das Pawelke-Gespräch mit ihr reden.“ Toth streifte Teufel mit einem Blick aus den Augenwinkeln. „Wissen wir etwas über die Frau?“

„Noch nicht.“

„Hat ja auch Zeit…“

Die Anwältin sah auf den Platz. Aus der Ferne betrachtet war ihre Heimatstadt so groß. Und der Kiez vor Ort war so klein. Aber wenn man weiterwollte, woanders hin, in einen anderen Bezirk, war Berlin noch viel größer als jede andere Stadt in Europa, abgesehen von London und von Moskau natürlich.

Sie sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns diese Frau weiterbringen wird.“

„Warten wir’s ab.“ Willi spielte den Profi. „Wichtigen Zeugen ist oft gar nicht klar, was sie wirklich gesehen haben. Man muss mit ihnen reden, um es herauszufinden.“

Auf dem Platz gab es jetzt Geschrei. Eine tote Taube war einer Touristin direkt auf den Kopf gefallen und hatte sich mit ihren toten Taubenkrallen im dichten Haar der Frau verfangen. Die Touristin schrie hysterisch und schüttelte sich vor Entsetzen, und ihre Begleiter versuchten mit hilflosen und angewiderten Bewegungen, den toten Taubentorso aus dem wirren Vogelnest auf dem Kopf der Frau zu lösen.

„Vermutlich vergiftet“, sagte Toth trocken.

„Hab ich schon öfter hier in der Stadt beobachtet“, antwortete Teufel. „Die Dinger fallen plötzlich einfach vom Himmel.“

„Wenn das Gift wirkt, zack: Herzinfarkt.“ Die Anwältin bewegte ihre Handkante auf Kehlkopfhöhle. „Die Ermittlungen sind also auf Eis gelegt. Das heißt, das LKA und die Staatsanwaltschaft haben noch nicht einmal den Hauch einer Spur.“

„Offiziell wird das die Lesart sein.“

„Und inoffiziell?“

„Sieht es ein bisschen anders aus.“

Willi Teufel zögerte. Er überlegte, welche Informationen er vor dem Gespräch mit dem Borussia-Aufsichtsrat preisgeben wollte, ohne Apollonia in Versuchung zu führen. Die Anwältin neigte dazu mit Details zu prahlen, die für den Mandanten möglicherweise noch gar nicht relevant waren. Und es war einfacher, eine Information zunächst zurückzuhalten, als einen wie auch immer gelagerten Mitteilungsdrang in einem laufenden Gespräch zu stoppen.

Er sagte: „Wir können den Herrn Professor ein bisschen mit Insiderwissen anfüttern.“

„Nämlich?“

„Du solltest das konkrete Informationsmanagement aber mir überlassen.“

„Das was?“

„Nenne es, wie du willst. Und spar dir dein spöttisches Lächeln.“

Teufel litt nicht gerade unter Minderwertigkeitskomplexen, aber Apollonia Toth war klein, selbstbewusst und penetrant.

„Du weißt, was ich meine, und dabei wollen wir es belassen“, sagte der Detektiv.

„Was soll das werden, ein Werbeauftritt in eigener Sache?“

Das überhebliche Anwaltslächeln verhängte Apollonias gut geschnittenes Gesicht um die großen Augen herum mit Blasiertheit. Sie sieht mal wieder gut aus, dachte Willi. Aber sie ist zu dünn. Zu klein und zu dünn. Es ist ja nichts dran an ihr. Sie ist klein und mager, ein alt gewordenes Kind.

„Keine schlechte Idee“, antwortete er. „Schaden würde es ganz bestimmt nicht.“

Die Frau schwieg. Sie kannte die eigentliche Antwort ja. Sie war manchmal blasiert. Und nur selten begriffsstutzig. Und niemals dumm.

„Vor allem aber möchte ich verhindern, dass du zu viel redest“, sagte der Detektiv.

„Sind deine Informationen so brisant?“

„Na ja, wie man’s nimmt. Sie sind in gewisser Weise überraschend. Aber das ist ja nur ein Aspekt.“

„Verstehe.“ Die Anwältin nickte. „Lass‘ uns die Informationslage ein wenig strecken und damit die Auftragsdauer und die Abrechnung.“

„Honorarschneiden nennt man das, glaube ich.“ Teufels Blick war ausdruckslos. „So bescheiden, wie die Geschäfte momentan laufen, käme mir das nicht ganz ungelegen. Aber…“

„Aber?“ Die Anwältin hatte sich eine Sonnenbrille mit pechschwarzen Gläsern vor die Augen geschoben. „Von welchem eigentlichen Aspekt redest du?“

„Ermittlungstaktik!“

⇒ Folge 39 am Montag bei motorfuture

 

 

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