edition motorfuture: KING > Folge 39

„Aber?“ Die Anwältin hatte sich eine Sonnenbrille mit pechschwarzen Gläsern vor die Augen geschoben. „Von welchem eigentlichen Aspekt redest du?“

„Ermittlungstaktik!“

Apollonia Toth schwieg.

„Ermittlungstaktisch können wir vermutlich eine ganze Menge herausholen, wenn wir die Informationslage im Moment nur dosiert weitergeben.“

„Aha, versstehe. Das heißt, du wirst mich sicherlich gleich im Detail aufklären.“

„Natürlich, meine Liebe.“

Der Detektiv genoss den Moment. Er wusste, seine professionelle Expertise war wieder einmal unverzichtbar.

Er sagte: „Wenn wir diesen Pawelke, den Herrn Professor, in den kompletten aktuellen Ermittlungsstand einweihen, dann wird er möglicherweise gewaltig Krach schlagen. Politk, Ermittlungsbehörden, Sportverbände, Medien… Das ganze Programm.“

„Und wenn Pawelke Krach schlägt, ist die Gefahr groß, dass sich das LKA durch den öffentlichen Druck gezwungen sieht, mit Volldampf weiter zu ermitteln.“

„Das ist der Punkt“, sagte Teufel und sah sich um.

Die Anwältin sah sich ebenfalls um. Sie hatte gelernt, dass ihr Recherchespezialist nichts ohne Grund tat.

„Werden wir beobachtet?“

„Nein, aber sicher ist sicher.“

„Hättest du die Güte, mich endlich einzuweihen?“

„Selbstverständlich.“ Der Detektiv beugte sich über den Tisch und sagte mit gedämpfter Stimme: „Wir haben es möglicherweise mit einer Namensverwechslung zu tun.“

„Mit einer was?“

„Ja, du hast ganz richtig gehört: mit einer Namensverwechslung.“

Die Anwältin schob die Brille ins Haar. Sie musterte den Mann an der anderen Tischseite. Wie er wieder aussieht. Wie ein ungemachtes Bett. Wie ein Detektiv aus einem Dreigroschenroman. Die Haare zu lang für sein Alter. Dieser graue Dreitagebart. Diese Lederjacke. Wie das Abziehbild eines vergilbten Klischees.

„Das LKA ist auf einen zweiten King gestoßen“, sagte der Detektiv.

„Wie bitte?“

„Das LKA ist auf einen zweiten King gestoßen, der als mögliches Opfer in Frage kommen könnte.“

„Sagt dein Informant…“

„Das ist jedenfalls der aktuelle Ermittlungsstand.“

Die Anwältin überlegte.

Sie sagte: „Umso unverständlicher, dass die Ermittlungen – wie sagtest du? – auf Eis gelegt sind.“

„Im Prinzip hast du recht. Aber vielleicht wurden sie ja gerade deshalb auf Eis gelegt.“

Apollonia Toth nickte. „Du meinst, weil diese Ermittlungen andere Ermittlungen behindern. Wichtigere Ermittlungen.“

„Zum Beispiel.“

„Was könnte wichtiger sein als ein Mord?“

Die Anwältin hatte nur laut gedacht, und sie gab sich die Antwort selbst: „Zum Beispiel sehr weit gediehene Ermittlungen im Zusammenhang mit Terrorismus. Oder organisierter Kriminalität.“

Sie suchte Teufels Blick.

„Mein Informant sagt, dass der zweite King in Abhörprotokollen der SO-Kollegen auftaucht.“

„SO, das ist die Abteilung für schwere und organisierte Kriminalität beim BKA, richtig?“

„Korrekt.“

„Das heißt, das Bundeskriminalamt hat seine Hände auf dem Fall.“

„Kann man so nicht sagen.“

Der Detektiv war gerade mit dem Versuch gescheitert, sich eine Zigarette zu drehen. Er zerkrümelte das Ergebnis, ein unförmiges Etwas aus Zigarettenpapier und hellbraunen Tabakfasern, zwischen den Fingern und ließ die Reste auf den Boden fallen.

Die Anwältin sah ihn an: „Kann man so nicht sagen… Was soll das heißen?“

„Das heißt, das LKA Berlin ermittelt in einem Fall, der möglicherweise zufällig, möglicherweise auch nicht, eine Querverbindung zu einem BKA-Fall herstellt.“

„Zu einem wichtigeren Fall…“

„Wenn die BKA-Abteilung SO ermittelt, dann ist diese Schlussfolgerung erlaubt.“

Willi Teufel griff sich auf dem Tisch Apollonia Toths Zigarettenschachtel und fummelte umständlich eine Zigarette heraus. Wieder scheiterte er – diesmal beim Versuch der Brandstiftung. Der Wind war zu böig, vielleicht war Teufel auch zu ungeschickt. Er murmelte Verwünschungen, erhob sich, ging ins Lokal hinein, zündete die Zigarette an und kam wieder zurück. „Wenn die SO-Leute beim BKA an einem Fall arbeiten, dann ist das ein dickes Brett.“

„Das BKA hat gegenüber den Landeskriminalämtern aber keine Weisungsbefugnis.“

„Nein, hat es nicht… Aber unabhängig von möglichen Rivalitäten oder innerbehördlichen Reibereien wird das LKA Berlin die SO-Leute tendenziell unterstützen und nicht behindern. Polizeidienststellen können sich noch so uneinig sein – die strukturelle und vor allem finanzielle Schlagkraft der organisierten Kriminalität schweißt die unterbezahlten Beamten an ihren Sperrmüllschreibtischen zusammen.“

Die Anwältin nickte wieder. „Diese Namensverwechslung… Dieser andere King: Wer soll das sein?“

„Ein hohes Tier bei den Schiedsrichtern.“

Teufel ließ seine Worte wirken.

Toth sah ihn mit großen Augen an.

„Bei den Schiedsrichtern?“

„Bei den Fußballschiedsrichtern. Dieser andere King soll ein hohes Tier bei den Fußballschiedsrichtern sein.“

„Was du nicht sagst.“ Die Anwältin lächelte. „Wenn die SO-Leute in Wiesbaden ermitteln, dann geht es also um Wettmanipulation im großen Stil.“

„Reine Spekulation. Aber naheliegend.“ Der Detektiv zögerte. „Bislang bin ich allerdings davon ausgegangen, dass sich das BKA ausschließlich um Waffen- und Drogengeschäfte kümmert. Und um Terrorismus natürlich.“

„Wetten sind nichts anderes als eine Psycho-Droge“, sagte die Anwältin. „Und noch etwas: Der Fußball selbst ist mittlerweile so etwas wie eine Droge.“

„Wer sagt das?“

„Jürgen sagt das.“

⇒ Folge 40 morgen bei motorfuture

 

 

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