edition motorfuture: KING > Folge 44

„Sobald die Schlapphüte im Spiel sind, wird die Lage unübersichtlich“, bestätigte Teufel mit regloser Miene.

Er hatte während seiner aktiven Dienstzeit die eine oder andere Aufführung beobachten können, die hinter den Kulissen gespielt worden war. Aber er war immer nur Polizist gewesen. Es war klar, dass dieser Kunde hier in einer anderen Liga spielte.

„Wenn Sie mir jetzt bitte Ihren aktuellen Ermittlungsstand referieren“, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende des 1. FC Borussia. Er bedachte Teufel mit einem kalten Blick und Toth mit einem spöttischen Lächeln. „Das ist ja der eigentliche Grund Ihres freundlichen Besuches.“

 

Frau Schulz war nicht im Haus. Die Chefsekretärin hatte sich krank gemeldet.

„Wenn sie krank ist, wird sie zu Hause sein“, sagte Teufel. „Wenn sie nicht todkrank ist, wird sie mit uns reden.“

Er wählte die Nummer ihres Festnetzanschlusses. Frau Schulz nahm nicht ab, und es lief auch kein Band. Er wählte die Nummer ihres Mobiltelefons. Frau Schulz nahm nicht ab, und es lief auch kein Band.

„Macht nichts, dann fahren wir eben rüber zu ihr.“

„Wir werden keine kranke Frau belästigen“, sagte Apollonia Toth.

„Doch das werden wir“, sagte Willi Teufel.

 

Frau Schulz wohnte in Schmargendorf in einem unscheinbaren Zweifamilienhaus aus den dreißiger Jahren. Das verwitterte Klingelbrett aus Messing war in die bröckelnde Sandsteinmauer neben dem Gartentor eingelassen. Eine mächtige Hecke schirmte das Haus von der Straße ab. Teufel drückte den Klingelknopf. Keine Reaktion. Er drückte den Klingelknopf ein zweites Mal. Keine Reaktion. Er spähte in den Garten. Die Fenster des Erdgeschosses und des ersten Stockwerks waren mit Gardinen verhängt, weißen einfachen Gardinen im unteren, verspielten Häkelgardinen im oberen Stock. Die Gardinen bewegten sich nicht.

„Vielleicht ist sie beim Arzt“, sagte Apollonia.

„Sie ist im Haus“, sagte Willi.

„Woher willst du das wissen?“

„Sie versteckt sich.“

„Wieso sollte sie sich verstecken?“

„Das sollten wir herausfinden.“ Teufel öffnete die Tür des alten Mercedes und sah noch einmal prüfend zu dem Haus hinüber. Das Haus lag scheinbar verlassen hinter der mächtigen Hecke. Der Detektiv zwängte sich vorsichtig auf den Sitz hinter dem großen Lenkrad. Die Tür des alten Mercedes schloss satt.

„Frau Schulz meldet sich normalerweise nie krank“, sagte er und startete den Wagen.

„Wer sagt das?“

„Ihre Kollegin sagt das.“

„Und was hat das zu bedeuten?“

„Das werden wir herausfinden.“

Teufel öffnete das Schiebedach. Er sah noch einmal hinüber zum Haus. Der Süd-Südwest jagte das löchrige Wolkenband am Himmel. Hinter den Gardinen der Dachgaube blitzte ein Sonnenstrahl in einem Stück Glas. „Sie ist Brillenträgerin“, murmelte der Detektiv.

„Was sagst du?“ Die Anwältin reckte das Kinn und machte Grimassen. Sie prüfte im Spiegel der Sonnenblende den Pflegezustand ihres Gesichtchens.

„Sie ist Brillenträgerin“, wiederholte Teufel. „Frau Schulz ist Brillenträgerin.“

 

 

Kapitel 13

Das Phänomen Berlin ist eine Geschäftsidee. Arm aber sexy? Da lachen sich selbst die Hühner in den Geflügelzuchtabteilungen der Schrebergartenvereine schlapp. Berlin ist frisch, fromm, fröhlich, frei. Die Stadt wischt die Dreieinigkeit der bösen Vergangenheit – Oberste Heeresleitung, Adolfs Nazis, Stalins Erben – mit dem Staubwedel beiseite wie lästige Flusen, die aus einer schmutzigen Welt ständig durchs geöffnete Fenster wehen. Kann man nichts machen, weg mit dem Zeug. Berlin ist Hauptstadt des ersten wirklich freien Deutschlands, immerhin. Das bringt jährlich zweieinhalb Milliarden Euro Bundesergänzungszuweisungen in die Stadt. Berlin ist sein eigenes Bundesland – mit Landesregierung, Senatsverwaltung, Beamtenapparat, dem vollen Programm. Das spült nochmals dreieinhalb Milliarden aus dem Länderfinanzausgleich in die Kasse. Dreißig Prozent der städtischen Ausgaben sind damit finanziert, das kann sich doch sehen lassen. Berlin ist nicht doof, oh nein, geben mag selig machen, aber nehmen macht satt. Und, zugegeben: Die Chuzpe der Berliner Finanzausgleichseintreiber, mit fremdem Geld einen solch‘ gewaltigen Stadtkoloss zu organisieren, ist auch bewundernswert. Es genügt ja nicht, das Geld einzusammeln, man muss es schließlich auch ausgeben. Der ständige Ritt auf der Rasierklinge funktioniert nur dann, wenn du dich selber wichtiger nimmst als den Rest der Welt.

Und im Grunde genommen bringt es das ja auf den Punkt: Was auf der Welt ist wichtiger als die eigene Existenz?

 

Walter Knecht zum Beispiel.

⇒ Folge 45 morgen bei motorfuture

 

 

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