edition motorfuture: KING > Folge 48

„Sie sagten, der Mann habe ein Fälscherkarriere hinter sich?“ Die Anwältin übersah den Anflug von Ärger, den sie bei King ausgelöst hatte.

„Sicher“, sagte der Hausherr knapp. „Aber ich denke, das soll heute nicht unser Thema sein.“

„Er ist ein großer Künstler“, sagte die Anwältin.

„Ist er nicht. Und das weiß er auch.“ King zeigte ein schmales Lächeln. Seine Augen waren sehr hell und sehr grau. „Er ist ein großartiger Handwerker. Wahrscheinlich nahezu perfekt. Er kopiert wie ein Weltmeister. Aber er verfügt über keinerlei eigene künstlerische Ausdruckskraft.“

Apollonia Toth schwieg. Sie hasste Belehrungen. Sie sah hinauf zu dem grandiosen Ölgemälde, das in seinem üppigen Rahmen wie ein echter Rembrandt leuchtete.

„Er hat sich neben den Garagen ein kleines Atelier eingerichtet. Mit raumhohen Fenstern. Er kann den Pazifik sehen und die Seemöwen hören und die Unendlichkeit riechen, wenn er malt. Aber er malt keine eigenen Bilder. Er kopiert nur. Er kopiert Stile. Sie können einen Picasso von ihm haben oder einen Monet oder eben einen Rembrandt…“

„Teuer?“

King musterte die Anwältin: „Der Mann verkauft nicht. Er malt bloß. Manchmal verschenkt er ein Bild.“ Er deutete mit einer sparsamen Kopfbewegung in Richtung Treppenaufgang.

„Ich nehme an, das ist die Bedingung für Ihr Resozialisierungsprogramm.“

Apollonia Toths Stimme klang jetzt eine Spur zu scharf. Sie konnte es im Nachklang selbst hören, aber der Milliardär nickte nur gönnerhaft. Er deutete mit der linken Hand auf eine zweiflügelige Tür und, als sie den Salon erreicht hatten, auf eine Sitzgruppe vor einem Kamin.

„Nehmen Sie Platz… Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?“

„Nein danke.“ Apollonia Toth setzte sich.

„Kaffee“, sagte Willi Teufel, „Kaffee wäre nicht schlecht. Und wenn ich vielleicht ein Glas Sprudelwasser haben könnte.“

Er setzte sich ans andere Ende der breiten Couch und wartete, bis sich der Milliardär in einem voluminösen Sessel aus rotbraunem Leder niedergelassen hatte. Der andere Mann war stehen geblieben und lehnte jetzt mit verschränkten Armen an einem Flügel, der auf gläsernen Füßen in der Mitte des Raumes schwebte wie ein schwarz poliertes Ufo. Der Mann war nicht sehr groß, aber sehr kompakt, und er hatte eine starke physische Präsenz. Er hatte sich mit seinem Namen vorgestellt – Friedo Hoffmann –, ansonsten aber jede Grußformel vermieden, und Stanislaus King hatte ergänzt: „Herr Hoffmann ist mein Detektiv, Sicherheitsberater, Beschützer, suchen Sie sich etwas aus.“

„Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Herr King?“ Willi Teufel beugte sich vor und griff nach dem Wasserglas, das eine ältere Dame im grauen Kostüm gemeinsam mit dem Kaffee auf einem Silbertablett serviert hatte.

„Kommt ganz darauf an.“

Der Milliardär fixierte ihn jetzt, und Teufel wich seinem Blick aus und sah hinüber zu dem Mann am Klavier, der ihn förmlich mit Blicken durchbohrte.

„Sie haben ein Faible für Resozialisierungsprogramme, kann man das so ausdrücken?“

„Nein“, sagte Stanislaus King kalt.

„Wie gesagt, ich will Ihnen nicht zu nahe treten“, sagte Teufel vorsichtig, „aber…“

„Aber was? Ich nehme an, Sie spielen auf den armen Kesselring an.“

„Ich habe mich mit der Vergangenheit des Opfers beschäftigt“, sagte Teufel geschäftsmäßig, „dafür werde ich bezahlt.“

„Obwohl das nicht nötig wäre“, sagte der Mann am Klavier.

„Kesselring war ebenfalls ein ehemaliger Straftäter“, sagte Apollonia Toth. „Schwerer Raub in Verbindung mit schwerer Körperverletzung, nicht gerade ein Kavaliersdelikt.“

„Er hat seine Strafe abgesessen“, sagte King. „Ich bin kein Gutmensch, aber ich bin der Meinung, man muss den Leuten eine Chance geben, wenn sie zurück in die Gesellschaft wollen.“

Toth und Teufel tauschten einen kurzen Blick, und die Anwältin sagte: „Ich… Wir finden diese Haltung durch und durch honorig, aber…“

„Aber was?“ Jetzt unterbrach der Mann am Klavier. „Zunächst einmal: Man muss sich solche Großzügigkeiten leisten können. Herr King kann sie sich leisten. Und dann: Sie glauben doch nicht, dass ich Herrn Kesselring und sein Umfeld nicht nach allen Regeln der Kunst unter die Lupe genommen habe, bevor er seinen Job hier antreten durfte.“

„Und?“ Teufel sah hinüber zum Flügel.

„Soll das ein Verhör sein?“

Der Mann am Klavier klang gereizt. Er hatte seinem wichtigsten Auftraggeber, der sich mit den Jahren zu einer Art Freund entwickelt hatte, von dem Treffen abgeraten. Lass‘ sie ermitteln, wenn es den Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden beruhigt. Lass‘ sie ein bisschen im Dreck wühlen. Sie sind auf der dunklen Seite des Mondes, und dort müssen sie auch bleiben, und keiner weiß das besser als du selbst.

⇒ Folge 49 am Montag bei motorfuture

 

 

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