edition motorfuture: KING > Folge 49

Der Mann am Klavier klang gereizt. Er hatte seinem wichtigsten Auftraggeber, der sich mit den Jahren zu einer Art Freund entwickelt hatte, von dem Treffen abgeraten. Lass‘ sie ermitteln, wenn es den Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden beruhigt. Lass‘ sie ein bisschen im Dreck wühlen. Sie sind auf der dunklen Seite des Mondes, und dort müssen sie auch bleiben, und keiner weiß das besser als du selbst. Und das ist auch der Grund, warum es keinen Sinn macht, mit ihnen zu reden. Kesselring ist tot, zum Glück hat es nur ihn erwischt. Lewandowski ist tot. Vermutlich ist das auch gut so. – Du bist zynisch, hatte King ihn angefahren. – Vielleicht bin ich das. Vor allem aber weiß ich, dass die Dienste über Leichen gehen. Der Professor war das schwächste Glied in der Kette, eine wandelnde Zeitbombe. Jeder konnte sehen, dass er sich nicht abfinden konnte mit den Tatsachen. – Er war im Wort. – Er war Wissenschaftler, Historiker, eine Koryphäe seines Fachs. Es gab nur diesen einen Weg, sein Schweigegelübde sicherzustellen. – Du bist zynisch, hatte King wiederholt. – Ich bin Realist, hatte Hoffmann erwidert. Realisten leben länger. Sei dankbar, dass du nicht im Fond gesessen hast, als dein Auto in die Luft geflogen ist. Rede mit deinem Freund, dem Senator. Mache ihm ein für allemal klar, dass er sich auf uns verlassen kann. Sage ihm, dass wir die Botschaft verstanden haben. Sage ihm, er soll den ewig gültigen Treueschwur in die entsprechenden Kanäle geben. Vielleicht haben wir Glück, und sie lassen uns am Leben. – Du malst den Teufel an die Wand. – Jetzt bist du zynisch, hatte er erwidert, Kesselring und Professor Lewandowski sind tot, mausetot, und das ist ein Fakt. – Und Stanislaus King hatte ihm zwar ein schmales Lächeln geschenkt, aber dennoch auf dem Treffen mit diesem komischen Duo Toth und Teufel bestanden. Kann ja nichts schaden, die beiden Vögel ein bisschen auszuhorchen, oder? Keine Frage, King war beunruhigt. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Der Milliardär hatte Angst.

„Verhör?“ Die Gegenfrage von der Couch hatte einen höhnischen Unterton. „Sie waren Polizist, ich war Polizist. Wir beide wissen, was ein Verhör ist. Und wie man ein Verhör führt. Und wie die Fragen eines Verhörs klingen.“

„Wenn Sie wissen, dass ich Polizist war, dann…“

„Ich mache nur meine Hausaufgaben“, unterbrach Teufel. „Auf Herrn Kings Wagen wurde ein Anschlag verübt. Herr Kings Fahrer wurde dabei getötet. Zum Tatzeitpunkt tagte der Freundeskreis des 1. FC Borussia. Der Aufsichtsratsvorsitzende…“

„Ist ja gut“, sagte Friedo Hoffmann, „geschenkt.“ Er hob beide Hände, ganz so, als ziele der Kollege auf dem Sofa mit einer Pistole auf ihn. Doch die belustigte Miene gerann jäh. Die jetzt wieder graue Maske sprach: „Ich bin ebenfalls ein begeisterter Hausaufgabenerlediger. Die Kulisse raunt den Namen King ein zweites Mal.“

„Die Kulisse?“ Teufels Tonfall war spöttisch. „Das müssen Sie mir erklären.“

„Nein, das muss ich nicht“, sagte der Mann am Klavier kalt. „Manchmal ist die Kulisse ein winziges Schlafzimmer in einem idyllischen Bootshaus an der Havel.“

„Sie sind ja ein richtig fleißiger Hausaufgabenerlediger.“ Teufels Spott klirrte jetzt ein wenig. „Aber als Musterschüler haben Sie sicherlich gelernt, dass zu viel Phantasie ernsthafter Ermittlungsarbeit eher abträglich ist.“

„Ihr Liebesleben interessiert mich nicht.“

„Das ist auch besser so.“ Teufels Spott war jetzt eine Drohung.

„Die Kulisse raunt den Namen King ein zweites Mal“, wiederholte Hoffmann sachlich.

„Ich kann das bestätigen.“

Kings Detektiv nickte. „Zurück zu Kesselring. Der Mann war ein absoluter Einzelgänger. Vor der Tat, bei der Tat und danach im Gefängnis auch.“

„Keine Seilschaften, keine Freundschaften, keine Knastkumpane…“

„Nichts bekannt.“

„Ein Einzelgänger“, wiederholte Teufel versöhnlich, „ein harter, unnahbarer Einzelgänger.“ Er nahm vorsichtig die Kaffeetasse hoch und trank bedächtig einen Schluck.

„Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen.“ Stanislaus King drehte den Kopf und sah hinüber zum Klavier. „Ich denke, du gibst mir recht, Friedo, wenn ich Kesselring als kalt, abweisend, unsympathisch beschreibe.“

„Er war einer jener Typen, die man sich besser nicht zum Feind macht.“

„Und trotzdem haben Sie ihn eingestellt?“ Apollonia Toth hob ihren Kopf wie ein Vögelchen.

„Trotzdem oder gerade deshalb“, sagte der Milliardär. „Ein Mann wie Kesselring hätte woanders niemals ein Bein auf die Erde bekommen. Er war ein Typ zum Fürchten. Und wie gesagt: Wir haben recherchiert, im Gefängnis hat er sich tadellos geführt. Und ich habe ihn mir noch einmal sehr genau angeschaut, nachdem Herr Hoffmann grünes Licht gegeben hatte. Ich weiß, dass ich ein Misanthrop bin, hat er gesagt. Aber das heißt nicht, dass Sie sich nicht jede Sekunde, die Sie mich bezahlen, auf mich verlassen können. Für den Mann, den ich als Chef akzeptieren kann, würde ich eine Kugel fangen, hat er gesagt.“

„Was er in gewisser Weise ja dann auch getan hat“, sagte die Anwältin.

Die drei Männer starrten die Frau an.

„Takt ist nicht gerade ihre Stärke“, sagte Willi Teufel.

„Sie ist ganz offensichtlich Berlinerin“, sagte Stanislaus King.

„Zurück zum Thema“, sagte Friedo Hoffmann, dem die zierliche Frau mit dem losen Mundwerk leidtat. „Auf Kesselring war absolut Verlass, das kann man doch so sagen, Stan, oder?“

„Absolut! Er ist kein einziges Mal zu spät gekommen, er ist perfekt gefahren, er hatte gute Manieren, er war diskret und er ist stets mit distanzierter Höflichkeit aufgetreten.“

„Und er hatte keine Freunde“, ergänzte Teufel.

„Ich habe in seinem Umfeld jedenfalls nichts dergleichen entdeckt“, sagte Hoffmann. „Und wenn ich es recht überlege: Ich habe den Mann nur ein einziges Mal bei einem echten, offenen Lachen ertappt.

⇒ Folge 50 morgen bei motorfuture

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

demnächst als eBook bei Kindle