edition motorfuture: KING > Folge 51

„Ludwig Conrad hatte auch keine persönlichen Feinde“, sagte Friedo Hoffmann düster.

„Das stimmt.“

Der Milliardär stemmte sich aus dem Sessel und ging hinüber zum Flügel. Er packte den Mann am Klavier freundschaftlich an den Schultern. Er sah ihm direkt in die Augen. Er sagte: „Ludwig Conrad, das ist ein ganz anderes Thema. Und: Er hat überlebt.“

Hoffmann nickte: „Natürlich ist das ein ganz anderes Thema. Ich meinte nur…“

„Ich hab‘ dich schon verstanden.“

Stanislaus King ging um das Instrument herum, setzte sich auf den Klavierstuhl und klappte den Klaviaturdeckel hoch. „Man kann auch ohne persönliche Feinde in schreckliche Gefahr geraten.“ Er spielte den Trauermarsch Chopins an, nur ein paar Takte. „Du denkst an die großen bösen Mächte, ich weiß.“ Er spielte Beethovens Mondscheinsonate an.

Friedo Hoffmann stand reglos am Klavier.

Sein Blick traf die Augen der Anwältin.

Apollonia Toth suchte vergeblich nach einer Regung in diesem Männergesicht. Die Zeit hat ihn hart gemacht. Er sieht aus wie ein Mann, der einen anderen Mann erschießen könnte.

King spielte Jimi Hendrix an: All along the Watchtower. Er sagte: „Der große Dieb…, erlaubt sich seine Späßchen.“

„Bob Dylan“, sagte Willi Teufel von der Couch herüber. „Hendrix hat es perfektioniert.“

„Aha, ein Rock-Bruder im Geiste.“ Kings Klavierspielerhände klappten den Deckel zu. Wieder dieses schmale Lächeln.

„Dylan und Hendrix müssen sich jedenfalls nicht hinter Beethoven und Chopin verstecken.“

Teufel suchte einen passenden Anschluss.

Er sagte: „Dieser Ludwig Conrad…“

„Wer?“ Die Stimme des King-Detektivs krachte wie ein Gewehrschuss.

„Der Mann von dem Sie eben geredet haben“. Willi Teufel, selbst ein Meister der Polizeirhetorik, blieb völlig unbeeindruckt. „Sie haben eben von einem Mann namens Ludwig Conrad geredet. War das auch ein Komponist?“

„Nein“, sagte Hoffmann, „das war ein Junge, der nicht Fußball spielen durfte.“

„Vielleicht wäre es ja nützlich, Sie würden uns in Ihr Geheimnis einweihen“, sagte Teufel.

Der Milliardär saß mit den hängenden Schultern des Klavierspielers auf dem Klavierstuhl.

Das Gesicht des Detektivs war eine Maske.

Die Maske sagte: „Wir sollten die Herrschaften nicht länger aufhalten.“

 

Toth und Teufel schwiegen die ersten Kilometer im Wagen.

Schließlich erreichten sie die Stadtautobahn.

Der Detektiv fuhr.

Die Anwältin grübelte.

Sie wussten jetzt, dass es eine Faktenebene gab, von der sie ausgeschlossen bleiben sollten.

Der Milliardär Stanislaus King und sein Detektiv Friedo Hoffmann hatten beschlossen, ihr Geheimnis für sich zu behalten.

Es ging ganz offensichtlich um Leben und Tod. Willi Teufel beobachtete, wie die mächtige Motorhaube seiner alten S-Klasse das graue Band der Straße schluckte. Dieser King und sein Bodyguard, das waren zwei Männer, denen die Selbstgewissheit aus jeder Pore platzte. Wenn solche Männer Angst hatten, dann mussten höhere Mächte im Spiel sein.

 

Kapitel 15

Der junge Mann war ein Riese. Er trug eine schwarze Lederhose und ein ebenfalls schwarze Lederweste über einem weißen Hemd. Das dunkle lange Haar des Hünen war zu einem Pferdeschwanz gebunden und sein Jungengesicht war glatt und verschlossen. Der Riese klopfte schüchtern an die dunkel gemaserte Holztür des Bootshauses, und Willi Teufel erkannte ihn an diesem schüchternen Klopfen.

„Komm‘ rein, die Tür ist offen.“

Der junge Riese – das war Peter Panke. Alle Welt nannte ihn Peter Pan. Peter Pan war schwul, er war Lederfetischist, und seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Automechaniker in einer Werkstatt in Tempelhof.

Willi Teufel lächelte, als sich der jungenhafte Riese durch die schmale und niedrige Holztür zwängte. Er liebte diesen Jungen wie einen eigenen Sohn, und der Junge erwiderte die Zuneigung immer noch mit scheuer Verwunderung. Er begann jetzt zu verstehen, warum er von Zeit zu Zeit an den fremden Vater dachte, der ihn verlassen hatte, als er noch ein kleines Kind gewesen war.

Der Detektiv streckte seine rechte Hand zur Begrüßung aus, und mit der linken tätschelte er freundschaftlich den Oberarm des Besuchers. „Schön, dich zu sehen. Ich hole uns ein kaltes Bier. Du trinkst doch ein Bier mit?“

„Gerne“, sagte der Riese, „eines kann ich mir leisten, vielleicht zwei, ich muss nachher ja noch fahren“.

„Wir trinken Tannenzäpfle, null-drei“, sagte Teufel, der sich bereits in der winzigen Speisekammer am Kühlschrank zu schaffen machte. „Ein oder zwei kleine Tannenzäpfle kannst du dir auf jeden Fall erlauben.“

„Aus deiner Heimat“, sagte der Junge. Er hörte das leise Klirren der Flaschen.

„Aus meiner ehemaligen Heimat“, sagte Teufel und stellte die bereits geöffneten Flaschen auf den Tisch. Keine Gläser.

„Berlin ist jetzt deine Heimat“, antwortete der Junge nachdenklich. Er wartete, bis der Ältere seine Flasche nahm und ihm zuprostete, und dann nahm er ebenfalls seine Flasche und prostete mit einer unbeholfenen Geste zurück. Seine Hand war so groß, und die kalte beschlagene Flasche sah aus wie ein Spielzeug in dieser Hand.

„Schön, dass du mich besuchen kommst“, wiederholte Teufel. Er schmeckte den Hopfen und die Kälte auf der Zunge, und er sah die Flasche an und nickte anerkennend mit dem Kopf. Er hatte den Jungen bei ihrer ersten Begegnung schlecht behandelt, und er hatte sich später aufrichtig geschämt für diesen Missgriff, wie ein ausgewachsenes Arschloch hatte er sich benommen, und der Junge hatte ihn zusätzlich beschämt, als er seine Entschuldigung mit einer ganz beiläufigen Selbstverständlichkeit angenommen hatte. Kann ja mal passieren. – Nenne mich bitte Willi. – Sehr gerne… Willi. Ich bin Peter Panke, aber alle Welt nennt mich Peter Pan. Selbst meine Mutter nennt mich Peter Pan, sie sagt, das ist der Name, der besser zu mir passt. Seit diesem Tag waren sie Freunde, und ihre Freundschaft hatte die respektvolle Ernsthaftigkeit jener Freundschaften, die manchmal zwischen Vater und Sohn wachsen, und die unzerstörbar bleiben, die auch dann unzerstörbar bleiben, wenn der Ältere weiß, dass ihm der Jüngere über den Kopf gewachsen ist, denn das ist der Lauf der Dinge.

⇒ Folge 52 morgen bei motorfuture

 

 

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