edition motorfuture: KING > Folge 53

„Was weiß ein Großstadtjunge wie du von stinkenden Misthaufen?“

„Nichts“, sagte Peter Pan. Er lächelte unsicher. „Ömer hat davon gesprochen.“

„Ömer ist euer Boss.“

Peter Pan nickte.

„Und der Misthaufen?“

„Ist ein Lackaffe.“

„Misthaufen kann man beiseite räumen, mit der Mistgabel.“ Der Detektiv war mit verblüffender Geschmeidigkeit aufgestanden. Sein massiger Körper verdunkelte den kleinen Raum. Er nahm die leeren Flaschen, und als er mit Nachschub zurückkam, sagte er beiläufig: „Bei Lackaffen genügt meistens ein leichter Klaps auf den Hinterkopf.“

 

Als die beiden Männer die Bootshaustür hörten, hatte Peter Pan gerade die letzten Sätze seiner Geschichte erzählt.

„Das ist wirklich unerfreulich“, sagte Willi Teufel.

Der Junge sah ihn an.

„Was hältst du davon, wenn ich unserem Freund einen kleinen Besuch abstatte?“

„Ömer darf nichts davon erfahren.“

„Natürlich nicht.“ Willi Teufel umarmte jetzt die Frau in der Tür zum Flur. Er sah über die Schulter auf den Jungen hinunter: „Niemand darf davon erfahren… Auch die anderen Jungs nicht, hörst du?… Das ist sehr wichtig.“

Der Junge nickte.

Er sah hinauf zu dem Mann mit der Frau im Arm. Die Frau klammerte sich wie eine Ertrinkende an den Mann. Aus seiner Froschperspektive sah Peter Pan eine Ringerskulptur, griechisch-römischer Stil. Er faltete sich jetzt ebenfalls aus seinem Sesselchen. Seine Mutter, die Hutmacherin, hatte es ihm vor vielen Jahren eingebläut. Ein junger Mann muss aufstehen, wenn er andere Menschen begrüßt. Er reichte der Frau in der Tür förmlich die Hand. Er kannte Monika Trauernicht flüchtig. Er wusste, sie war Willi Teufels Geliebte. Er wusste nicht, an welcher Stelle der Rangfolge sie stand. Und ob es überhaupt eine Rangfolge gab. Er wusste nur, dass diese Frau Polizistin war. Und dass sie eine der drei Frauen war, die regelmäßig im Bootshaus ein- und ausgingen. Er beobachtete das Paar argwöhnisch. Die Frau klammerte sich förmlich an seinen Freund Willi. Und Willi versuchte vergeblich, sie ein wenig auf Distanz zu halten. Griechisch-römisch. Vielleicht konnte man helfen die Situation ein wenig zu entspannen. Er deutete auf das Korkbrett an der Wand des schmalen Flurs. Die Fotos zweier Männer waren an das Brett gepinnt. Peter Pan deutete auf das linke Bild: „Der Mann da, wer ist das?“

„Kennst du ihn?“ Der Detektiv löste sich aus der Umklammerung seiner Freundin und nahm das Foto von der Wand.

„Nicht persönlich.“

„Aber du kennst das Gesicht.“

„Vielleicht.“

„Verkehrt er bei euch in der Szene?“

„Könnte sein, dass ich ihn da schon gesehen habe.“ Peter Pan nahm das Foto und betrachtete es nachdenklich. „Wer ist das?“

„Der Mann heißt Stanislaus King. Er ist ein milliardenschwerer Erbe, Multiunternehmer, Mäzen, Wohltäter. Ein Mann, dem das Geld förmlich aus den Ohren quillt. Ein undurchsichtiger Charakter.“

„Und wieso hängt sein Bild hier an der Wand?“

„Vor einigen Tagen wurde sein Auto vor dem Olympiastadion in die Luft gesprengt. Sein Fahrer saß im Wagen. Es ist nicht viel von ihm übrig geblieben.“

„Von wem?“

„Von Kings Fahrer.“

„Aha.“

Der Junge betrachtete nachdenklich den Mann auf dem Foto. So also sah ein Milliardär aus. Der Mann mochte ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen haben. Sein dünnes Haar fiel ihm auf die Schultern. Der reiche Mann trug eine altmodische Langhaarfrisur.

„Man hat mich, Apollonia und mich, damit beauftragt, etwas über die Hintergründe des Attentats in Erfahrung zu bringen“, sagte Teufel.

„Wer?“

„Die Vereinsspitze des 1. FC Borussia. King ist großer Borussia-Fan und -mäzen, und die Herren von der Vereinsspitze finden es gar nicht gut, dass…“

„Kann ich mir denken“, sagte Peter Pan. Er war noch sehr jung und er war nur ein einfacher Automechaniker. Aber er war nicht doof. Er begutachtete den Mann auf dem Foto.

„Du erkennst ihn wieder, richtig?“ Teufels Ton war eine Spur zu ungeduldig.

„Kann sein, dass der Typ ab und zu in der Szene auftaucht“, sagte der Junge.

„Er hat ja auch ein Haus in San Francisco“, sagte Monika Trauernicht.

„Wie bitte?“

„Stan King besitzt ein Haus in San Francisco“, wiederholte die Hauptkommissarin. „Oder jedenfalls ganz in der Nähe von San Francisco.“

„Ein Haus in San Francisco?“ Teufel entschied, die Information zunächst einmal nicht zu bestätigen, sondern als Neuigkeit zu deklarieren. Polizeitaktik für Anfänger. Er zog das Foto behutsam aus Peter Pans Hand und reichte es an die Frau weiter. Jetzt keine unnötigen Nachfragen. Jede Silbe barg die Gefahr, die frisch sprudelnde Quelle wieder zuzuschütten. Genau genommen redete Monika Trauernicht über Dienstgeheimnisse. Teufel wusste, dass sie sich dieser Tatsache stets bewusst war. Lass‘ sie reden. Es war nicht nötig zu insistieren. Monika würde in ihrer aktuellen Stimmungslage von ganz alleine mit der ganzen Geschichte herausrücken. Er war bezüglich dieser sonderbaren Entwicklung der Informationslage auch nicht wirklich überrascht. So war das in diesem Geschäft. Plötzlich fiel einem aus heiterem Himmel ein unverhofftes Puzzleteilchen vor die Füße. Dieses Puzzleteilchen aufzulesen, zu betrachten und in den Fingern zu wenden war jedes Mal ein phantastisches Erlebnis, war jedes Mal wie ein echtes kleines Wunder. Aber man gewöhnte sich auch daran. Ein langes Berufsleben hatte ihn Demut und Dankbarkeit gelehrt. Kommissar Zufall war ein zuverlässiger Kollege.

„Die Kollegen haben bei Routineermittlungen zu einem Verkehrsunfall einen Querverweis zu Stan King gefunden“, sagte die Frau.

Teufel schwieg.

„Das Unfallopfer, ein Geschichtsprofessor an der FU, hat King in dessen Haus in der Nähe von San Francisco besucht.“

⇒ Folge 54 am Montag bei motorfuture

 

 

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