edition motorfuture: KING > Folge 54

„Die Kollegen haben bei Routineermittlungen zu einem Verkehrsunfall einen Querverweis zu Stan King gefunden“, sagte die Frau.

Teufel schwieg.

„Das Unfallopfer, ein Geschichtsprofessor an der FU, hat King in dessen Haus in der Nähe von San Francisco besucht.“

„Ein Geschichtsprofessor… San Francisco… Ein Verkehrsunfall…“ Teufel wiederholte die Informationen so bedächtig, wie man Gegenstände in der Hand wendet und betrachtet, die man nicht sofort identifizieren kann.

„Ja, der Mann lehrte neuere deutsche Geschichte an der FU. Er war wohl so eine Art Koryphäe für die Geschichte des Dritten Reichs. Er ist auf einer Landstraße in Brandenburg mit seinem Privatwagen ohne Beteiligung Dritter gegen einen Alleebaum geprallt und wurde dabei tödlich verletzt.“

Teufel ließ die Information wirken. Eine einsame Brandenburger Allee. Im Schatten. Vielleicht im Regen. Ein zerstreuter Professor am Steuer eines Wagens. Er hörte das Krachen. Dieses unglaubliche Getöse. Blech, das mit großer Energie verformt wird, erzeugt einen höllischen Knall. Dazu die Explosion des Glases, die Explosion der Fenster und Scheinwerfer.

Er sagte: „Gab es weitere Passagiere in diesem Wagen?“

„Nein.“

„Was war das für ein Wagen?“

„Ein japanischer Mittelklasse-Kombi, älteres Modell.“

„Ein altes Auto.“

„Ja, aber der Wagen war technisch in Ordnung. Fahrwerk und Bremsen waren in Ordnung, sagt die KTU.“

„Hat es geregnet zum Zeitpunkt des Unfalls?“

„Nein, die Straße war trocken. Ein sonniger Tag. Schnurgerader Straßenverlauf. Glatter Straßenbelag. Asphalt.“

„Kein Unfallgegner?“

„Die Kollegen haben jedenfalls keine diesbezüglichen Spuren gefunden.“

„Verstehe.“

Teufel hob den Kopf und berührte mit der linken Hand sein Kinn. Da blieb eigentlich nur eine Schlussfolgerung: „Verdacht auf Suizid?“

„Selbsttötung, Fremdverschulden, banaler Verkehrsunfall – such‘ dir was aus. Der Dauerdienst geht raus in solchen Fällen, schon wegen der ganzen Versicherungsgeschichten. Aber das weißt du ja selber.“

Teufel nickte wieder. Ja, der Dauerdienst musste raus bei schweren Personenschäden mit ungeklärten Unfallhergängen. King und dieser Verkehrstote… King in der Lederszene… Das eine hatte mit dem anderen vermutlich nichts zu tun. Obwohl, wer wusste das schon. Kommissar Zufall, dieser gefürchtetste aller Verbrecherfeinde, hatte ihm zwei Schnipsel vor die Füße geworfen. Schnitzeljagd.

„Und wie sind eure Leute auf die Verbindung des Unfallopfers zu Stanislaus King gestoßen?“

„Ein Bild. Ein vergilbtes Foto. Das Foto steckte in der Ticketlasche der Sonnenblende des Unfallwagens.“

„In der Ticketlasche der Sonnenblende?“

„Ja, der Professor hatte das vergilbte Foto an seine Sonnenblende gepinnt. Wenn er die Blende herunterklappte, sah er das Foto.“

„Auf dem die beiden Männer zu sehen sind, dieser Professor und Stanislaus King.“

„Auf dem vier Männer zu sehen sind. Das Unfallopfer, dieser Milliardär und außerdem zwei weitere Männer. Auf der Rückseite des Abzugs ist der Entstehungsort des Fotos notiert: Stan Kings Haus in Irgendwas bei San Francisco, Ca.

„Ca. für Kalifornien.“

„Genau. Die Spurensicherung hat das Foto sichergestellt, weil eben dieser King mit drauf ist. Kings Wagen war ja kurz zuvor am Olympiastadion in die Luft geflogen. Die Kollegen hielten das wohl für einen komischen Zufall, und vermutlich deshalb haben sie das Foto eingesackt.“

„In der Tat ein merkwürdiger Zufall“, sagte Teufel. „Die beiden anderen Männer, weiß man wer das ist?“

„Kann ich dir nicht sagen, vielleicht gibt es dazu einen Vermerk in den Akten. Ich habe das Bild bei Kosmowski auf dem Schreibtisch gesehen.“

Teufel nickte.

„Kosmowski sagt, die KTU geht davon aus, dass ein Reifen des Unfallautos geplatzt ist, an der Hinterachse.“

„An der Hinterachse?“

„Ja, an der Hinterachse. Kosmowski sagt, die KTU-Leute hätten erklärt, dass ein Auto bei höheren Geschwindigkeiten die Seitenkräfte verliert, wenn ein Reifen an der Hinterachse platzt. Das Auto wird dann unkontrollierbar.“

„Du sagtest eben, der Wagen war in Ordnung.“

„Ja, das ist das, was die Kollegen von der KTU aufgeschrieben haben. Fahrwerk, Bremsen, Lenkung – alles in Ordnung.“

„Nur die Reifen nicht.“

„Die Reifen geben den Kollegen in der Tat ein Rätsel auf. Die Reifen des Wagens waren noch ziemlich neu. Gutes Fabrikat, gutes Profil, neuwertige Reifen.“

„Wie kann ein neuer Reifen platzen?“

„Zu wenig Luft, ein spitzer Gegenstand auf der Fahrbahn, möglicherweise ein Fabrikationsfehler.“

„Sagt Kosmowski.“

„Sagt die KTU, sagt Kosmowski.“

„Lass‘ mich raten.“ Teufel legte die Hand auf die Schulter der Frau. Er sah ihr in die Augen. Sie hatte das Parfüm aufgelegt, das er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Er roch ihren Atem. „Ihr habt den Fall abgeschlossen, richtig?“

„Richtig.“ Monika Trauernicht sah Teufel dankbar an. Sie legte eine Hand auf seine Hand auf ihrer Schulter. „Es deutet alles auf einen tragischen Unfall hin. Keine Hinweise auf Fremdeinwirkung.“

„Ein Schuss“, sagte Teufel. „Könnte man einen Schuss auf den geplatzten Reifen nachweisen?“

„Keine Ahnung“, sagte die Kommissarin. „Es ist, wenn ich das in der Lagebesprechung richtig verstanden habe, nicht viel übrig geblieben von diesem Reifen.“

„Und das Opfer, der Professor?“

„War wohl ein komischer Kauz. Hat sich kaum um seine Studenten gekümmert. Saß wochenlang nur im Archivkeller oder in seiner Hütte in Brandenburg. War ein komischer Heiliger… Aber nicht suizidgefährdet. Sein persönliches und berufliches Umfeld schließt das definitiv aus.“

„Dieses Bild…“ Teufel drückte sanft die Schulter der Frau.

„Ich kann dir eine Kopie machen“, sagte die Kommissarin. „Vorausgesetzt, die Akte liegt noch auf Kosmowskis Schreibtisch. Gut möglich, dass er noch nicht dazu gekommen ist, den Abschlussbericht zu schreiben.“

Teufel drückte sanft die Schulter der Frau.

„Wenn mich nicht alles täuscht, ist dieser Typ da ebenfalls mit auf dem Bild.“

„Wer?“

„Dieser Typ da.“ Monika Trauernicht deutete auf ein weiteres Foto an Teufels Pinnwand.

„Bist du sicher?“

„Ziemlich sicher.“ Die Frau nahm das Foto von der Wand und betrachtete es mit ihrem Polizistenblick. „Wer ist der Mann?“

„Das ist der Privatbulle von Stansilaus King“, sagte Teufel. „So eine Mischung aus Bodyguard, Sicherheitsberater und Türsteher. Der Mann heißt Friedo Hoffmann.“

⇒ Folge 55 morgen bei motorfuture

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

demnächst als eBook bei Kindle