edition motorfuture: KING > Folge 56

Krause investierte nur in Sanierungsgebieten. Meistens hatte er den Bauantrag schon in der Tasche, wenn er mit dem Bauamt sprach. Und meistens wurden seine Anträge, die peinlichst genau jede noch so kleine Bauvorschrift erfüllten, nach kurzer Zeit genehmigt. Berlin brauchte Wohnraum. Und der Immobilienentwickler Dr. Krause hatte teure Anwälte.

 

Teufel steuerte sein Traumschiff vorsichtig durch den schmalen Torbogen, der das Hofgrundstück von der Straße trennte. Die milchverglasten Stahltore der Firma Ömers Autodienst waren allesamt geöffnet. Zwischen den Toren und vor den Toren und in der Werkstatt selbst standen die Kundenautos dicht an dicht. Wollte man ein Fahrzeug bewegen, musste man zuerst drei oder vier andere rangieren. Dieser Zustand des ganz offensichtlich nur mühsam zu beherrschenden Chaos stand in bizarrem Gegensatz zur Hoffläche im Vorfeld der Werkstatt. Der große asphaltierte Parkplatz mit den markierten Stellflächen lag völlig brach. Ebenso die Stellplätze entlang der beiden Zufahrten aus Richtung Süden und Richtung Westen. Kein parkendes Auto zu sehen. Alle Stellplätze frei. Der Hof gewissermaßen eine Parkplatz-Fata-Morgana für die im Blech erstickenden Schrauber in Ömers Werkstatt.

Teufel parkte den 116er sehr knapp und sehr korrekt an der Einfriedungsmauer der westlichen Zufahrt. Er stieg aus und klappte mit der Hand den linken Außenspiegel ans Fahrzeug. Er griff in seiner Lederjacke nach dem Zellophan des Tabakbeutels. Er ging um den Wagen herum und besah sich eines der Warnschilder. Parken verboten. Unbefugt abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig entfernt. Die Grundstücksverwaltung. Ein stilisierter Kran mit Abschlepphaken auf einem kleinen Extraschild daneben. Teufel trat ein paar Schritte zurück. Identische Schilderkombinationen vor jedem Stellplatz die beiden ganzen langen Zufahrtsmauern hinauf und hinunter. Das waren zwanzig blockierte Stellplätze, mindestens. Er ging zur Hofmitte, wo ebenfalls gut zwanzig Parkplätze mit weißen Linien markiert waren. Die Ansage war dort an einer hohen Metallstange montiert. Parken auf dem kompletten Gelände verboten. Unbefugt abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig entfernt. Die Grundstücksverwaltung.

Teufel sah hinauf zu dem Schild. Auf dem Nachbargrundstück standen zwei alte Kastanien mit ihren dichten dunklen Kronen, und der Himmel über Berlin trug ein sehr helles Blau mit weißen Fäden. Teufel sah hinüber zum Lärm der Werkstatt. Die rot lackierten Tore standen allesamt offen, und an den Hebebühnen und in den Gruben standen Männer in roten Overalls, und Teufel sah, dass auch zwei junge Frauen darunter waren, und er sah einen Jungen, der gerade aus einem verglasten Büro kam, und dieser Junge überragte alle anderen, und das war sein Junge, Peter Pan.

„Haben Sie Probleme mit Ihrem Wagen?“ Aus dem Schatten der Werkstatt war jetzt ein Mann getreten, der statt des Overalls einen Arbeitsmantel trug. Ebenfalls in rot. Über der linken Brusttasche war ein Name eingestickt. Ömer„Kann ich Ihnen helfen?“

„Nein“, sagte der Detektiv.

„Brauchen Sie einen Ölwechsel, einen Kundendienst?“

„Nein, danke.“

Der Mann im roten Mantel kam näher. Er hatte ein undefinierbares Alter. Er sagte: „Sie können hier nicht parken, das ist Privatgelände.“

„Ich weiß“, sagte Teufel. Er ließ den Mann stehen und ging an seinem Wagen vorbei die westliche Zufahrt hinunter.

„Sie können hier nicht parken“, rief ihm der Mann hinterher. „Fahren Sie Ihren Wagen weg.“ Es klang jetzt ärgerlich. Ärgerlich und unfreundlich.

 

Der Detektiv sah den Wisch schon im Torbogen der Einfahrt, als er nach einer halben Stunde zurückkam. Hinter dem Scheibenwischerpaar seines prächtigen alten Mercedes – die Wischer überlappten sich wie ein müdes Liebespaar – steckte ein gelbes Blatt Papier, in der Mitte gefaltet.

Kostenwarnung… Strafantragsdrohung…. Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB… Auftrag zum Umsetzen Ihres Fahrzeugs… Ich erteile Ihnen hiermit einen Grundstücksverweis… blablabla.

Teufel sah hinüber in den Werkstattlärm. Keine Spur von Peter
Pan. Keine Spur vom Chef im roten Arbeitsmantel. Er nahm den Zettel, faltete ihn ein weiteres Mal und verstaute ihn in seiner Hemdtasche.

Es war kurz vor Mittag, als er die Büroetage Ecke Kudamm, Schlüterstraße betrat. „Mein Name ist Teufel, Willi Teufel. Ich möchte zu Herrn Krause.“

„Haben Sie einen Termin, Herr…“

„Teufel, Willi Teufel. Nein ich, habe keinen Termin, das heißt…“ Der Detektiv langte über den niedrigen Tresen des Empfangs und griff sich den aufgeschlagenen Terminkalender der Sekretärin. Er malte einen Kreis um die Ziffern 12.00, und dahinter notierte er seinen Namen: Willi Teufel, Privatdetektiv. Dann legte er die Kladde zurück, lächelte freundlich und sagte: „Wenn Sie mich jetzt bitte anmelden.“

⇒ Folge 57 morgen bei motorfuture

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

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