edition motorfuture: KING > Folge 60

Frau Schulz sah den Hund gleichgültig an. Dann traf ihr hasserfüllter Blick den Detektiv.

„Kommen Sie endlich zur Sache. Was wollen Sie?“

„Nun, ich habe ein wenig recherchiert“, sagte Teufel.

„Sie haben in meinem Privatleben herumgewühlt. Das wollen Sie sagen.“

„Es war die letzten fünfzehn Jahre nicht sehr privat, ihr Privatleben.“

„Seit drei Jahren ist es wieder privat, sehr privat“, sagte die Frau mit dem Gesicht aus grauem Stein. Sie bedachte Teufel und den unglücklichen Hund mit einem abschätzigen Blick. „Schnüffler sind Abschaum.“

Abschaum.“ Teufel schüttelte leise den Kopf. „Komisch, nicht wahr?“ Er ließ das unappetitliche Wort einige Sekunden in der abgestandenen Büroluft stehen. Abschaum. Dann sagte er: „Ihr Radikalinskis seid doch alle gleich.“

Das hasserfüllte Gesicht schwieg.

„Abschaum, Bodensatz, Verräter, Revisionisten. Wie es gerade passt.“ Teufel tätschelte den Kopf des verschüchterten Vierbeiners zu seinen Füßen. „Und dann ab mit dem Abschaum ins Lager. In den Steinbruch, in die Stollen. Oder wenigstens in den Bau.“

„Du weißt ja nicht, was du redest, Bulle.“

Teufel neigte den Kopf. Er forschte in dem grauen Gesicht. Er forschte nach einer menschlichen Regung jenseits des Hasses, der Frau Schulz ganz offensichtlich um den Verstand gebracht hatte.

„Glotz‘ mich nicht so an, Bulle.“

„Ich bin kein Bulle mehr“, sagte Teufel sachlich. „Leider. Das System hat mich um meine Pensionsberechtigung gebracht.“

„Das System hat mich um mein Leben gebracht“, antwortete die Sekretärin.

„Sie sind eine verurteilte Mörderin“, sagte Teufel.

„Ich bin eine in einem Schauprozess verurteilte Mörderin. Keine Beweise, nur Indizien.“

„Na klar.“

Teufel sah an der Frau vorbei. Er starrte die Wand an. Er betrachtete die Struktur der weißen Raufasertapete. Albert Speer war wahrscheinlich kein Freund der Raufaser gewesen. Zu kleinbürgerlich… obwohl.

Obwohl, obwohl, obwohl.

Das ganze Leben ein einziges Obwohl. Dieses Gespräch in diesem schlecht gelüfteten kleinen Vorzimmer in diesem Nazi-Stadion zum Beispiel. Das war doch ein Witz. Die Frau vor ihm… Eine übergeschnappte Terroristin, genauso größenwahnsinnig wie Hitler, Speer und die ganze Bande, wenn auch nicht annähernd so erfolgreich. Ein paar dieser ungewaschenen Typen hatten ernsthaft geglaubt, mit ein paar geklauten Autos und Pistolen ein Land voller reaktionärer, wutschnaubender, gewalttätiger Alt-Nazis aus den Angeln zu heben. Banküberfälle, wilde Schießereien, brutale Entführungen und lächerliche Schnitzeljagden wie aus einem billigen B-Movie.

Der Detektiv scannte den Raum, den Arbeitsplatz der Frau mit seinem Polizistenblick. Das kahle Büro schien selber hasserfüllt. Außer einem Kalender des Borussia-Trikotsponsors Air Brandenburg keine Bilder an der Wand. In der Ecke stand ein Ficus Benjamini mit feindseligen Blättern. Auf dem halbhohen Schrank neben der Tür zum Chefbüro lagen drei mit Unterschriften bekritzelte Fußbälle. Die akkurat beschrifteten und ausgerichteten Ordner im Schrank standen still wie eine Kompanie. Ein Flachbildschirm auf dem Schreibtisch und ein Telefon. Davor ein einsamer Kugelschreiber auf einer blauen Plastikunterlage mit dem FC-Borussia-Wappen. Eine Postmappe war das einzige Zeichen tätiger Betriebsamkeit. Der Deckel der geöffneten Mappe lehnte an vier weitere aufeinander gestapelte Mappen, die noch – oder schon wieder? – geschlossen waren. Eine schwungvolle Signatur mit dunkelblauer Tinte am unteren Ende der DIN-A4-Seite auf dem roten Zwischendeckel. Das weiße Stück Papier lag auf einem braunen Briefumschlag. Teufels Blick fiel auf den kleinen Rucksack, der auf dem Sideboard neben dem Schreibtisch stand. Vor dem Rucksack lagen ein Handy und ein Schlüsselbund. Die Schlüssel an einer Blechmarke mit dem FC-Borussia-Logo: zwei Haustürschlüssel unterschiedlicher Formate, ein Briefkastenschlüsselchen, ein zierlicher Autoschlüssel mit einem winzigen BMW-Propeller in der schwarzen Kunststoffkappe, dazu ein kleiner Schlüssel, nicht viel größer als der Briefkastenschlüssel. Teufel konnte diesen Schlüssel nicht zuordnen. Er tastete nach dem Smartphone in seiner Jackentasche. Er tätschelte den Kopf des Hundchens. Er suchte die stählernen Augen der Frau. Er sagte: „Ich weiß, es ist ungewöhnlich. Aber dürfte ich Sie um ein Schälchen Wasser für den Hund bitten? Ich glaube, das Tier hat Durst und…“

⇒ Folge 61 morgen bei motorfuture

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

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