edition motorfuture: KING > Folge 61

… dazu ein kleiner Schlüssel, nicht viel größer als der Briefkastenschlüssel. Teufel konnte diesen Schlüssel nicht zuordnen. Er tastete nach dem Smartphone in seiner Jackentasche. Er tätschelte den Kopf des Hundchens. Er suchte die stählernen Augen der Frau. Er sagte: „Ich weiß, es ist ungewöhnlich. Aber dürfte ich Sie um ein Schälchen Wasser für den Hund bitten? Ich glaube, das Tier hat Durst und…“

„Schon gut“, sagte Frau Schulz und war bereits an der Tür: „Einen Moment, ich bin gleich zurück.“

Teufel nickte. Er hörte das Klappern der Frauenschuhe auf dem Flur. Er zog das Smartphone aus der Tasche, beugte sich über den Schreibtisch, zoomte den Schlüsselbund heran und drückte den Auslöser, zoomte den kleinen Schlüssel in den Fokus und drückte erneut den Auslöser.

 

Der Hund tat ihm den Gefallen und beugte sich über die Wasserschale. Er schlabberte lustlos, ehe er sich mit seinen feuchten Augen wieder auf den Boden legte.

„Vielen Dank“, sagte der Detektiv.

„Stellen Sie Ihre Fragen, und dann hauen Sie ab.“

Teufel sah den Hass, und er fragte sich, wie die Herren des 1. FC Borussia das Tagesgeschäft mit diesem Eiszapfen ertrugen. Er streichelte den Kopf des unglücklichen Hundchens, das an seiner Seite leise winselte.

Er sagte: „Kannten Sie Herrn Kesselring?“

„Natürlich kannte ich ihn. Er war der Fahrer von Herrn King.“

„Ich meine, kannten Sie ihn näher?“

„Sie armer Mann.“ Die Lippen der Sekretärin waren ein schmaler Strich. „Sie denken, die Lohnsklaven fraternisieren miteinander.“

„Ich denke viel, und die Erfahrung lehrt mich noch mehr. Zum Beispiel, dass Leute, die sich beruflich begegnen, zuweilen auch persönliche Kontakte pflegen.“

„Nein“, sagte Frau Schulz.

Ihre Stimme war hart, und ihre farblosen Augen waren kalt, und ihre Verachtung für den Detektiv war grenzenlos. Die meisten Sklaven waren willenlos. Aber Sklaven, die ihre Mitsklaven im Auftrag der Herren kontrollierten, überwachten, beaufsichtigten und im Zaum hielten, waren schlimmer als die Sklavenhalter selbst.

„Das heißt, Sie kannten Herrn Kesselring, aber Sie kannten ihn nicht persönlich.“

„Gehen Sie jetzt“, sagte Frau Schulz. „Ich habe den Mann nicht in die Luft gesprengt. Und die zwei Morde, für die man mich in den Knast geschickt hat, wurden mir nie nachgewiesen.“

„Natürlich nicht.“ Teufel erhob sich, und das Hundchen an seiner Seite winselte leise.

„Schauprozesse, Herr Bulle, zeichnen sich nicht zuletzt dadurch aus, dass die Klassenjustiz immer exakt das gewünschte Urteil spricht.“

„Die Klassenjustiz. Natürlich.“ Teufel nickte wieder. „Darf ich, äh, noch eine persönliche Frage stellen?“

„Meinetwegen, aber dann hauen Sie endlich ab.“

„Nun… ich frage mich, wie es kommt, dass Sie Ihre, wie sagt man, Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach Ihrer Haftentlassung ausgerechnet bei einem so konservativen Club wie dem 1. FC Borussia in einem so geldverseuchten Geschäft wie dem Profifußball ertragen?“

„Sie armer Mann.“

Frau Schulz schüttelte ratlos den Kopf.

„Was hat die Revolution mit dem Sport zu tun?“

„Profisport!“

„Papperlapapp. Es ist egal, mit welcher Arbeit Lohnsklaven durch das Kapital ausgebeutet werden. Entscheidend ist das Prinzip.“

„Das Problem ist, dass Sie vermutlich recht haben“, sagte Teufel nachdenklich.

Die kleine graue Frau hob ihr ungefiedertes Vogelköpfchen: „Das Problem ist die Gier. Die Gier ist die Schlinge um den Hals der Menschheit.“

Teufel nickte. Er sah bescheiden aus in seiner abgewetzten Jeans und den altertümlichen Cowboystiefeln, und die Lederjacke war mit ihrem Besitzer alt geworden.

„Auch Bullen werden ausgebeutet“, sagte die Frau. „Und Privatbullen sowieso.“

Teufel nickte.

„Ich werde Ihre letzte Frage beantworten, und dann gehen Sie. Bitte!“

Teufel nickte.

„Gelegenheit macht Diebe“, sagte die Frau. „Das ist der Grund, warum ich hinter diesem Schreibtisch sitze.“ Und nach einer kurzen Pause: „Pawelkes spießige Schwester ist mit meinem spießigen Bruder verheiratet.“

„Ist Ihre Vergangenheit hier im Verein bekannt?“

„Selbstverständlich. Bis hinunter zum Zeugwart sind alle ganz stolz darauf, einem gefallenen Engel wieder zum Fliegen zu verhelfen.“

„Einem was?“

„Sie haben mich schon richtig verstanden. Das ist jedenfalls Pawelkes Legende. Er sagt, sie selbst kann gar nichts dafür, sie ist nur in schlechte Gesellschaft geraten.“

„Glaubt er das, oder…“

„Gehen Sie jetzt“, sagte Frau Schulz. „Mein Schwippschwager mag arrogant erscheinen, und er ist reaktionär bis in die Knochen. Früher habe ich gesagt, er gehört an den nächsten Ast geknüpft. Heute weiß ich, er hat ein großes Herz.“

 

 

Kapitel 18

Diesmal war es der Chef gewesen, der das Uferhotel draußen in Rahnsdorf als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Ein ruhigeres, verschwiegeneres Plätzchen fand sich in ganz Berlin nicht. Und genau das war es, was er jetzt brauchte: ein ruhiges, verschwiegenes Plätzchen, um dem Mädchen Mandy auf den Zahn zu fühlen.

⇒ Folge 62 morgen bei motorfuture

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

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