edition motorfuture: KING > Folge 67

Pawelke erhob sich, ging hinüber zu seinem Schreibtisch und setzte sich in den lederbezogenen Drehstuhl. Er drehte sich langsam zum Fenster. Seine Stimme klang jetzt gedämpft: „Semtex, Fahrzeugmine, Zeitzünder. Und die Täter? Irgendwelche Anhaltspunkte?“

„Nein“, sagte Teufel.

„Das LKA tappt im Dunkeln“, ergänzte Toth.

„Sagt Ihre Quelle.“

„Sagt unsere Quelle“, bestätigte Teufel.

„Und Sie? Ich habe Sie mit den Ermittlungen beauftragt, nicht das LKA.“ Pawelke hatte sich vom Fenster abgewandt und den Stuhl vorsichtig an den Schreibtisch herangezogen.

„Es ist noch ein bisschen zu früh für diesbezügliche Informationen“, sagte Teufel. „Wir bitten um Verständnis: In zwei, drei Tagen sind wir möglicherweise den entscheidenden Schritt weiter. So oder so.“

„So oder so? Das heißt, Sie haben eine Spur?“

Der Detektiv nickte: „Wir haben einen Verdacht, einen konkreten Verdacht.“

„Dann sollten Sie ein bisschen Gas geben. Ich versuche derweil, Ihnen die Konkurrenz vom Hals zu halten.“

„Die Konkurrenz?“ Toth und Teufel sprachen wie aus einem Mund.

„Herr King sitzt mir im Nacken“, sagte Pawelke und sah sich um. „Ganz unter uns: Herr King ist nicht nur ein äußerst großzügiger Mäzen des 1. FC Borussia, er kann auch ziemlich ungeduldig werden, um es mal euphemistisch zu formulieren.“

„Wir haben ihm ein bisschen auf den Zahn gefühlt“, sagte Toth.

„Das war vielleicht keine sonderlich gute Idee“, sagte der Professor. „Er will jedenfalls nicht, dass Sie weiter ermitteln.“

„Und warum nicht?“

„Er sagt, er hat seinen eigenen Mann für solche Ermittlungen. Und dann sagte er noch kryptisch, es sei auch völlig unsinnig, Sie beide ohne Not in Gefahr zu bringen.“

 

 

Kapitel 21

Die Stimmung im Oval Office war konzentriert, aber von jener müden Melancholie überlagert, wie sie sich über spätherbstliche Novembersonntage legt. Man weiß, der Sommer ist gelaufen, und die Tage sind schon kurz, und die Bäume sind kahle Skulpturen. Auf der Veranda stehen die Gartenmöbel wie feuchte Fossilien. Die Natur vor den Fenstern beginnt zu schlafen, aber die Zivilisation hat den Stillstand verwirkt. Der Mensch stirbt einen rastlosen Tod auf Raten. Der unausweichliche Montag wird sein wie jeder Montag. Das Hamsterrad wird wieder gut geölt auf Touren kommen wie alle Montage, wie alle Tage. Das Geschäft und die Verwaltung und der große Deal mit dem Wachstum kennen keine Jahreszeiten.

Die Stimmung im Oval Office war müde, aber konzentriert. Die Präsidentschaft Brent Olivers trieb ihrem Ende entgegen. Der ursprünglich so jungenhaft vitale Präsident, von den Wählern vor gut zwei Jahren für eine zweite und finale Amtszeit bestätigt, war grau geworden, seine Schultern schienen schmaler, und seine hellen Augen lagerten in veritablen Tränensäcken.

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hatte bei seinem Einzug in diese Kolonialstil-Villa aus weiß gestrichenem Holz und großer Geschichte auf das ganze Instrumentarium moderner Führung gesetzt: Dialogfähigkeit, Verbindlichkeit, Überzeugungskraft. Teamfähigkeit. Dazu emotionslose Analyse und Entschlusskraft. Tugenden, die sich allesamt um den Begriff Fairness zu gruppieren hatten.

Ein Instrumentarium, das für die Führung einer Supermacht leider nicht taugte.

Präsident Brent Oliver hatte seinen Irrtum rasch bemerkt. Für einen kurzen Moment war er verwirrt gewesen. Aber dann hatte er seinen Führungsstil kühl geändert. Der eiserne Besen erwischte jetzt zuweilen auch Unschuldige. Das war bedauerlich, aber nicht zu ändern. Man konnte die lange Liste der Intriganten nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber man konnte ihnen Angst machen. Man konnte sie bedrohen. Sie sollten in Furcht leben. Egal, wo sie gerade waren, was sie gerade taten – sie sollten in Angst und Schrecken vor Entdeckung leben. Wenn sein langer Arm sie erreichte, würde ihre Charakterschwäche mit einem leisen Pffft in die Atmosphäre entweichen, ihre Karriere würde zu Ende sein, ihr Leben zu einem kleinen grauen Nichts schrumpfen.

Die Runde im Oval Office tagte im kleinsten Kreis. Das Meeting hatte keine Tagesordnung. Es hatte noch nicht einmal einen Namen. Und es tauchte in keinem der Terminkalender der fünf anwesenden Männer auf.

⇒ Folge 68 am Montag bei motorfuture

 

 

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