edition motorfuture: KING > Folge 70

Brent Oliver nickte. Er sah über den Schreibtisch hinweg. Port Castillo, das war ein guter Mann. Louis Halfinger ebenso. Das waren Leute, denen man vertrauen konnte. Jack Store saß in seinem Sessel und schmollte. Wie eigentlich immer in letzter Zeit. Liberman, der Verteidigungsminister, war nicht bei der Sache. Der kleine, schmale Mann blätterte auf seinem Tablet in einer Beschlussvorlage. Das Thema war nicht wirklich sein Thema, obwohl er, genau genommen, eigentlich für das Problem zuständig war.

„Und die Sache mit dem Professor, mit diesem Historiker? Ein ganz normaler Autounfall?“

„Sieht so aus“, sagte Castillo. „Die technische Untersuchung des Unfallwagens hat ergeben, dass bei relativ hohem Tempo ein Hinterreifen geplatzt ist. Der linke Hinterreifen, um genau zu sein. Diese Deutschen rasen ja wie die Irren. Das Auto hat sich um einen stabilen Alleebaum gewickelt, der Professor war vermutlich sofort tot.“

„Ein geplatzter Hinterreifen.“ Der Präsident nickte. „Seit wann platzen denn plötzlich Hinterreifen?“

„Manchmal kommt das vor“, sagte Louis Halfinger humorlos. „Zum Beispiel, wenn ein Scharfschütze so einen Hinterreifen ins Visier nimmt und… Bumm!“ Der Sicherheitsberater hielt sich den Zeigefinger vor den Mund und blies den imaginären Mündungsrauch weg. „So könnte es gewesen sein.“

„Irgendwelche diesbezüglichen Spuren?“

„Fehlanzeige, Mr. President.“

„Weil die deutschen Ermittlungsbehörden nicht danach gesucht haben.“

„Ja, Sir.“

„Man könnte solche Spuren aber verifizieren, würde man gezielt danach suchen.“

„Kommt darauf an“, sagte der Geheimdienstbeauftragte und heftete den Blick auf die Klavierspielerhand des Präsidenten, die rhythmisch und scheinbar einer Melodie folgend auf der rechten Lehne des Chefstuhls spielte. Port Castillo konnte diese Oberschichten-Demokraten eigentlich nicht leiden. Das waren Schnösel, die das Leben für ein einziges großartiges Spiel hielten, Sieggarantie eingeschlossen. Typen, die in vergoldete Kloschüsseln kackten. Junge Vampire aus alten Vampirdynastien, die seit Jahrhunderten das Volk aussaugten. Man musste mit den Wölfen heulen, wenn man selber einen Stich machen wollte in diesem System, das war schon wahr. Aber man war jetzt immerhin Büttel und kein Sklave mehr. Manche Knechte machten sogar Topkarrieren. Port Castillo musste sich jeden Morgen kneifen, wenn er in den Spiegel sah. Er konnte diese jungen Demokraten-Schnösel auf den Tod nicht ausstehen, aber dieser hier, Präsident Brent Oliver, nötigte ihm Respekt ab. Harter Hund, brillanter Kopf, lernte schnell. Knallharte Hand. Hatte sehr schnell jegliche Skrupel abgelegt. Drückte sich vor keiner Entscheidung. Ließ niemals einen Zweifel, wer entschied und wer verantwortlich war. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war der Allmächtige auf Gottes Erden. Sein Wort war Gesetz und sein Wille geschah. Auch Brent Oliver hatte sich einige Anfängerfehler erlaubt. Das Problem war das Ergebnis einer solchen Schwäche. Aber er hatte das Ruder herumgerissen und alle Segel gesetzt. Volle Fahrt voraus! Man konnte arbeiten mit diesem Präsidenten. Wo gehobelt wurde, fielen Späne, und was getan werden musste, wurde getan! „Kommt ganz darauf an“, wiederholte der Geheimdienstkoordinator.

„Kommen Sie schon, Port, spannen Sie uns nicht auf die Folter.“

Der Präsident warf einen Blick über den Tisch. Er konnte diese selbstgerechten Karriere-Exilkubaner normalerweise auf den Tod nicht ausstehen. Kommunistenfresser. Sprachen zuhause nur Spanisch. Bildeten sich etwas auf ihre gefährliche Flucht ein. Konnten schon zwei Wochen nach ihrer Ankunft die amerikanische Verfassung auswendig herbeten. Klebrige US-Patrioten von der Zuckerinsel, mein Gott. Aber dieser Port Castillo, das war ein Top-Mann.

„Angenommen, man hat die Reste des geplatzten Reifens komplett aufgesammelt… Dann sind Schussspuren selbstverständlich nachweisbar.“

„Und, hat man?“

„Das glaube ich nicht, Sir. Die Polizei vor Ort ging von einem Verkehrsunfall aus und…“

„Und?“

„Und selbst für den Fall, dass die Spurensicherung ganze Arbeit geleistet hat, und das ist bei diesen deutschen Erbsenzählern durchaus im Bereich des Möglichen, selbst dann spielt das jetzt keine Rolle mehr.“

„Weil die deutschen Behörden ihre Ermittlungen eingestellt haben, nehme ich mal an.“ Der Präsident fletschte die Zähne. Na also, ging doch. Wenn es darauf ankam, spurten die preußischen Untertanen. Er lächelte über den Tisch. Jack Store war nicht nur der Vizepräsident, er war auch ein alter Freund aus Studientagen, ein Vertrauter, ein Bruder im Geiste. „Jack, kann es sein, dass du telefoniert hast?“

Jack Store verneinte die Frage mit einem angedeuteten Kopfschütteln. „John hat telefoniert.“

„Mit wem?“

„Mit seinem Kollegen.“

„Mit Freund Helm-Mut?“

„Exakt. Der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika hat den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland angerufen.“

„Und was haben die Beiden besprochen?“

„Keine Ahnung. Genau genommen habe ich noch nicht einmal Kenntnis von diesem Telefonat.“ Er deutete mit dem Zeigefinger zunächst auf den Präsidenten und legte den Finger dann vertikal über die Lippen. „Diese verdammt wichtigen Chefdiplomaten telefonieren doch ständig in der Weltgeschichte herum.“

„Das ist richtig.“ Der Präsident nickte versonnen. „Na hoffentlich wurden die Herren nicht abgehört.“

Hahaha.

⇒ Folge 71 morgen bei motorfuture

 

 

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