edition motorfuture: KING > Folge 73

So ein Haus- oder Wohnungseibruch ist wirklich keine große Sache. Der Einbrecher benötigt ein stabiles Nervenkostüm, und er braucht vor allen Dingen Ruhe. Ein ungestörter Einbruch ist ein Kinderspiel.

Teufel war früh aufgestanden. Er hatte das Fensterchen der Bootshauskombüse geöffnet und dem allmorgendlichen Naturspektakel gelauscht. Der frühe Tag atmete noch die Feuchtigkeit der Nacht, und der Fluss und der Wald hallten von den Stimmen der Vögel. Teufel trank Kaffee, und er sah mit strengem Blick zu Rühmann hinunter, der zu seinen Füßen nervös zitterte. „Ich nehme dich mit, aber du musst auf jeden Fall die Schnauze halten, okay.“ Teufels tiefe Stimme. Das Hundchen schien zu nicken. „Es wird nicht gebellt, okay?“ Rühmann bestätigte die Ansage mit einem hastigen Wuff.

 

Luftlinie war Frau Schulz‘ Wohnung in Schmargendorf nur ein paar Steinwürfe entfernt vom Bootshaus, aber im Grunewald gibt es keine Querverbindungen, und so fuhren Teufel und das Hundchen auf der Havelchaussee Richtung Südwesten, nahmen am Waldfriedhof Zehlendorf die B 1 Richtung Nordosten, um schließlich an der Drakestraße links abzubiegen und die Pacelliallee hinaufzufahren. Der alte Sechszylinder summte. Rühmann saß auf dem Beifahrersitz und schwieg. Hin und wieder sah er hinüber zum Chef hinter dem Lenkrad. Wenn Ruhe vereinbart war, war Ruhe. Auf ihn war Verlass.

Teufel parkte den Wagen am Ende der Straße. Er wartete eine Dreiviertelstunde. Frau Schulz verließ das Haus kurz vor acht. Ein tragisches Gesicht mit dünnem Haar. Sie trug eine rote Jacke über ihren Jeans und darüber einen hellen Mantel. Sie ging ein paar Schritte und stieg dann in einen alten, aber gepflegten Dreier-BMW aus den frühen neunziger Jahren. Eine ältliche Sekretärin auf dem Weg zur Arbeit.

Teufel wartete weitere dreißig Minuten im Wagen. Sicherheit ging vor. Vielleicht war Frau Schulz nur um die Ecke zum Bäcker gefahren, Frühstücksbrötchen holen. Oder sie hatte etwas vergessen und kehrte auf halbem Weg um. Doch Frau Schulz hatte nichts vergessen. Und ihr Frühstücksbrötchen würde sie in ihrem Büro auf der Geschäftsstelle des 1. FC Borussia Berlin essen – wenn überhaupt. Frau Schulz sah nicht nach Frühstück aus. Und auch nicht nach Brötchen. Frau Schulz sah aus wie eines jener Wunderwesen, die sich von Luft ernähren, ausschließlich von Luft. Von Luft und Hass. Nach einer halben Stunde wusste der Detektiv, dass die Luft rein war.  Er öffnete die Fahrertür, sah den Hund scharf an und legte den Zeigefinger an die Lippen. Rühmann winselte leise und legte den Kopf auf seine Vorderpfoten. Auf ihn war Verlass.

 

Frau Schulz wohnte in einem Zweifamilienhaus aus den dreißiger Jahren. Das verwitterte Klingelbrett aus Messing war in die bröckelnde Sandsteinmauer neben dem Gartentor eingelassen. Eine mächtige Hecke schirmte das Haus von der Straße ab. Teufel drückte den Klingelknopf der Erdgeschosswohnung. Keine Reaktion. Er drückte den Klingelknopf ein zweites Mal. Keine Reaktion. Er spähte in den Garten. Die Fenster des Erdgeschosses und des ersten Stockwerks waren mit Gardinen verhängt, weißen einfachen Gardinen im unteren, verspielten Häkelgardinen im oberen Stock. Die Gardinen bewegten sich nicht. Das Schloss der braungebeizten Eingangstür war mit zwei raschen Griffen geöffnet. Die Leute waren wirklich leichtsinnig. Teufel sah sich um. Ein enges müdes Treppenhaus. Verstaubte gerahmte Bilder von Landschaften an der Wand. Ein roter Läufer auf der Treppe, fixiert mit Messingstäben. Der Geruch der Jahrzehnte in der Luft. Bratenfett und Menschenschweiß und Kohlrouladen. Saure Äpfel aus dem Garten. Das Knarren der Holztreppe unter seinen Füßen. Die verwunschene Zeit nistete in diesen Mauern. Teufel roch die alte Frau, noch bevor sie ihre Wohnungstür im Erdgeschoss öffnete.

„Was machen Sie hier, junger Mann?“

„Ich bin ein Kollege von Frau Schulz. Sie hat wichtige Unterlagen vergessen, die heute in einer Vorstandssitzung benötigt werden.“

„Unterlagen?“

„Ja, Frau Schulz hat mich gebeten, die Unterlagen zu holen, weil sie die Sitzung vorbereiten muss.“

„Haben Sie geklingelt?“ Die alte Frau musterte ihn mit bösen Augen. „Wieso haben Sie geklingelt, wenn Sie einen Schlüssel haben?“

„Weil mich Frau Schulz darum gebeten hat. Sie wollte nicht, dass Sie sich erschrecken, wenn ich plötzlich so unvermittelt im Treppenhaus stehe.“

„Tatsächlich? Das glaube ich nicht.“

„Gnädige Frau?“

Der Detektiv ging die Treppe wieder hinunter und betrachte die alte Dame, die als verwitterter Rest eines langen Lebens vor ihm stand. Die Frau war vermutlich an die hundert und sie roch säuerlich und streng.

„Paczinski“, sagte er und streckte die Hand aus. „Pawel Paczinski.“

„Sind Sie Pole?“ Die alte Dame ignorierte seine Hand.

„Ja“, log der Detektiv.

„Alles voller Polen“, seufzte die Frau. „Polen, Russen, Türken. Neger.“ Sie sah Teufel verschwörerisch an: „Frau Schulz ist ein schlechter Mensch, müssen Sie wissen.“

„Nun, ich…“

„Keine Widerrede, junger Mann! Sie sind vielleicht Pole, aber Frau Schulz ist ein schlechter Mensch! Sie ist eine Terroristin. Man sagt, sie sei eine Mörderin!“

„Und warum wohnt sie dann hier?“

„Weil es mein Neffe so will!“

⇒ Folge 74 morgen bei motorfuture

 

 

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