edition motorfuture: KING > Folge 76

„Du gehst beim Chinesen essen. Du verlangst die Rechnung. Im Kästchen befinden sich nicht nur Kassenbon und Quittung, sondern auch ein Geldbündel.“

„Und wo esse ich?“

„Bei unserem Vertragschinesen.“ Robert Rasic lächelte wieder. „Er kocht übrigens ausgezeichnet.“

Die Schiedsrichterin schwieg. Sie sah über den Tresen. Sie wendete den Kopf nach links und rechts. Sie sah an die Decke. Der Geräuschpegel hier unten war zuverlässig hoch. Niemand interessierte sich für sie. Niemand hörte ihnen zu.

„Und wie kommt Ihr auf mich?“

„Du bist intelligent, sehr intelligent. Du bist zuverlässig, sehr zuverlässig.“

„Und ich bin gierig.“

„Gierig sind wir doch alle.“

Robert Rasic erhob sich und legte einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen. Er nahm Mandy Müllers Hand und deutete einen Handkuss an. Dann verließ er das Lokal.

 

 

Kapitel 25

Teufel war draußen in Rosenfeld gewesen. Er hatte den Mietvertrag für das Häuschen in der Reihenhaussiedlung unterschrieben. Der Landgerichtspräsident a.D. trug ein Jackett aus abgewetzter grauer Wolle. Er hatte sich eine dünne Krawatte umgebunden. Der Kragen seines Hemdes war zu groß und flatterte. Das Häuschen roch nach fremden Menschen. Teufel hatte den Mietvertrag unterschrieben. Er hatte auf die Hände des alten Richters geschaut. Die Haut vom Leben gegerbt. Wie Cellophan. Übersät mit dunklen Flecken. Eine akkurate Unterschrift. Hart aufs Papier gedrückt. Dazu eine Ansage, von der Teufel nicht wusste, ob sie ein Geschenk oder eine Demütigung war: „Ich erlasse Ihnen die Kaution. Pawelkes Wort ist wie eine Bürgschaft. Passen Sie gut auf mein Häuschen auf.“

Das Reihenhäuschen.

Hier würde er in Zukunft wohnen. Draußen im Südosten der Stadt. Gemeinsam mit Rühmann, dem Hundchen. Den Daycruiser würde er an einem Steg an der Müggelspree festmachen. Immerhin, der Weg zum Boot war kurz, nur ein paar Kilometer. Teufel war froh, dass er ein Dach über dem Kopf hatte. Aber er hatte schlechte Laune.

Ein Gemütszustand, den er mit Apollonia teilte. Sie wollte im Streit um Julia, der verhätschelten Tochter ihres Mannes, nicht nachgeben. Oder sie konnte nicht. Das war gefährlich. Gefährlicher, als sie es sich eingestehen mochte. Ihre Ehe war aus scheinbar heiterem Himmel in eine gefährliche Schieflage geraten.

Jürgen war wütend.

„Ich bin enttäuscht!“

Du bist kindisch!

Apollonia hatte ihre Erwiderung hinuntergeschluckt. Das verwirrte sie fast noch mehr als der göttergleiche Zorn des Gatten. Die Angst vor Konsequenzen machte sie sprachlos. Eine Dimension der Hilflosigkeit, die sie nicht für möglich gehalten hatte.

 

Das war die Stimmungslage, als sie dem Aufsichtsratsvorsitzenden Bericht erstatteten.

Professor Pawelke schwieg lange.

Teufel hatte ihm sein Smartphone hinübergeschoben, mit dem er das gerahmte Foto auf dem Sideboard in der Wohnung der Ex-Terroristin dokumentiert hatte. Schulz und Kesselring Arm in Arm vor einer Kawa Z 750. Lachend. Neben dem Foto, scheinbar achtlos abgelegt, ein Flug-Ticket. Ein One-Way-Ticket nach Vietnam.

Pawelke schüttelte leise den Kopf. Er war fassungslos. Seine müden Augen wanderten hinüber zu Teufel, aber seine Stimme war erstaunlich hart: „Sie sind bei Frau Schulz eingebrochen.“

„Ich habe mich umgesehen.“

„Meine alte Tante hätte sich zu Tode erschrecken können, wenn sie den Einbruch bemerkt hätte.“

„Die alte Dame ließe sich nicht einmal vom richtigen Teufel ins Bockshorn jagen.“

Pawelke schickte wieder einen müden Blick über den Tisch: „Das heißt, Sie haben sie gesehen.“

„Ja, das habe ich. Sie hat mich im Treppenhaus überrascht, aber ich konnte sie mit einer Lüge beruhigen.“

„Mit einer Lüge. Erst brechen Sie ein und dann…“

„Detektive lügen, drohen, verletzen Persönlichkeitsrechte“, sagte Apollonia Toth kalt. „Sie sind darin uns Anwälten nicht ganz unähnlich.“

„Sind sie das?“

„Sie haben uns damit beauftragt, die Wahrheit herauszufinden.“

„Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Wollen Sie mir das sagen?“

„Wir haben die Fakten, die der Staatsanwalt braucht, um Frau Schulz anzuklagen. Und Sie haben den Nachweis, dass Ihnen das Schicksal Ihres Mäzens am Herzen liegt. Das ist doch der Grund, warum Sie uns mit den Ermittlungen beauftragt haben.“

Der Aufsichtsratsvorsitzende erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel. Er ging hinüber zu seinem Schreibtisch und ließ sich in den schwarzen lederbezogenen Chefstuhl fallen. Es war besser, ein wenig Abstand zu diesen Leuten zu halten. Er sah hinüber zu der Sitzgruppe, wo die beiden Besucher saßen. Beide nach vorne gebeugt, die Unterarme auf den Schenkeln. Angespannt. Die Anwältin hatte die Hände wie zum Gebet gefaltet. Der Detektiv erwiderte seinen Blick unverfroren. Der Mann war eine vierschrötige Figur mit einem verschlossenen Gesicht. Seine abgewetzte Lederjacke roch nach Armut und Gewalt.

Pawelke räusperte sich: „Also gut, Herrschaften, das LKA hat seine Ermittlungen eingestellt. Dem Vernehmen nach war auch das BKA in den Fall eingeschaltet.“

„Das BKA schaltet sich bei Terrorismusverdacht automatisch ein“, sagte Teufel.

„Das weiß ich“, sagte der Professor. „Der Verdacht auf Terrorismus scheint mir angesichts der Umstände aber etwas weit hergeholt, meinen Sie nicht?“

„Nein, das meinen wir nicht“, sagte der Detektiv. „Der Wagen von Herrn King wurde mit einer Ladung Semtex in die Luft gejagt, mit Semtex und vermutlich einem professionellen Fernzünder.“

„Einem Fernzünder? Bei unserem letzten Gespräch haben Sie von einem Zeitzünder geredet.“

„Das ist korrekt.“ Teufel sah hinüber zum Schreibtisch. Der Professor hatte einen präzisen Verstand. Und ein gutes Gedächtnis. „Die kriminaltechnische Untersuchung des Sprengsatzes hat ergeben, dass die Auslösung mit Hilfe eines hochprofessionellen Fernzünders erfolgte. Die in der Peripherie angebrachte Armbanduhr war nur ein Fake.“

„Sagen Ihre Quellen.“

„Sagen meine… sagen unsere Quellen.“

Pawelke nickte. Seine müde Miene signalisierte Anerkennung. „Ihre Informationskanäle hinein in die Polizeibehörden funktionieren offenbar blendend. Respekt! Dann wissen Sie sicherlich auch, warum das LKA den Fall zu den Akten gelegt hat.“

„Nein, das weiß ich… das wissen wir nicht. Die Ermittler beim LKA wissen es ja selber nicht.“

„Haben Sie eine Vermutung?“

„Anweisung von oben, von ganz oben, sagen meine… sagen unsere Quellen.“

„Von oben, von ganz oben“, wiederholte Pawelke. „Dann muss…“ Der Satz blieb unvollständig. Die beiden Worte schwebten im Raum wie ein böses Omen.

⇒ Folge 77 morgen bei motorfuture

 

 

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