edition motorfuture: KING > Folge 78

Das Gesicht des Professors war jetzt weiß wie ein Leichentuch. Er hustete ein krächzendes Lachen. „Herrschaften, könnte es sein, dass Ihre Fantasie mit Ihnen durchgeht?“

„Leider nein“, sagte Teufel mit seinem Polizistenblick. Und Apollonia Toth ergänzte: „Fakten sind Fakten. Wir verstehen natürlich, dass Sie anhand der Beweislage nicht gerade erfreut sind…“

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein“, sagte Pawelke. Er hatte sich wieder gefangen. „Fakten sind jedenfalls keine Beweise. Und vielleicht noch nicht einmal Indizien. Was wir überhaupt nicht haben, ist ein Motiv. Was zum Beispiel hatte Frau Schulz mit diesem Chauffeur zu tun?“

„Sie haben zum Beispiel gemeinsam vor dem Motorrad des Mannes posiert. Lachend und händchenhaltend“, sagte die Anwältin.

„Sie meinen, die beiden waren ein Paar?“

„Das müssen wir Frau Schulz fragen. Die Vermutung liegt jedenfalls nahe“, sagte die Anwältin.

„Und das wäre auch ein Motiv?“

„Wenn es eine persönliche Beziehung gab und wenn diese Beziehung nicht funktioniert hat, dann wäre das ein Motiv.“

„Das klassische Motiv Beziehungstat? In Verbindung mit einem veritablen Sprengstoffanschlag? Wilde Theorien!“ Wieder das gequälte Gackern, das Gelächter sein wollte.

 „Die meisten Tötungsdelikte sind Beziehungstaten“, sagte Teufel sachlich.

„Sie argumentieren mit Behauptungen, Vermutungen.“ Der Professor klang jetzt ärgerlich. Ärgerlich und ungeduldig.

„So wäre es, gäbe es nicht diese Aussage Ihrer Assistentin“, sagte die Anwältin.

„Kommen Sie schon, Frau Toth, klären Sie mich auf!“

„Ich bin gerade dabei. Frau Schulz hat erklärt, Sie habe Herrn Kesselring nur sehr flüchtig gekannt. Sehr flüchtig, das waren ihre Worte. Wie man eben Leute kennt, mit denen man ab und zu auf rein dienstlicher Basis Kontakt hat.“

Pawelke schwieg. Was für eine Schnapsidee, sich dieses schräge Ermittlerpaar ans Bein zu binden. Wie war er nur auf diese absurde Idee gekommen? Statt einfach die Polizei ihre Arbeit machen zu lassen. Oder auch nicht. Lieb Kind hatte er sich bei diesem Großkotz machen wollen. Bei ihm und beim gesamten Aufsichtsrat. Herr King ist ein großzügiger Mäzen. Ohne ihn gäbe es den 1. FC Borussia vielleicht schon gar nicht mehr. Jedenfalls nicht in der Bundesliga. Wir werden alles tun, bei der Aufklärung dieses schändlichen Anschlags mitzuwirken. Das sind wir Herrn King schuldig. Hohles Gewäsch eines alten Schwätzers. Was interessierte ihn King? Überhaupt: Was interessierte ihn der 1. FC Borussia? Seine ewige Wichtigtuerei. Seine Profilneurose. Sein gepolsterter Sitz auf der VIP-Tribüne. Sein beschilderter Parkplatz in der Tiefgarage: Aufsichtsratsvorsitzender, Prof. Dr. Pawelke. Ganz vorne, direkt beim Aufzug. Er konnte nicht damit aufhören. Er wollte seinen Namen in der Zeitung lesen. Er wollte in die Mikrofone sprechen, die ihm die Kamerateams unter die Nase hielten. Er sonnte sich im Glanz des Vereins, des Profisports, der Stars. Nur Buben waren das, diese Kicker. Aber Stars waren sie, Stars in der Manege einer verblödeten Öffentlichkeit. Pawelke sah hinüber zum Besuchertisch. Er hatte nicht die Absicht, die Flinte ins Korn zu werfen. Er war der Auftraggeber. Er war der Boss im Ring.

Er sagte: „Also gut, einmal angenommen Sie haben Recht – und nebenbei bemerkt: Ich schätze Ihre Arbeit sehr, Sie haben einen guten Job gemacht –, also angenommen, Sie haben Recht: Können wir den Tathergang beweisen?“

Toth und Teufel tauschten einen Blick, und die Anwältin sagte: „Ein Geständnis von Frau Schulz wäre sicherlich hilfreich.“

„Soll das ein Witz sein?“

„Nein, Herr Professor Doktor Pawelke“, sagte die Anwältin förmlich.

„Und Sie glauben, Frau Schulz ist uns mit einem Geständnis so einfach behilflich?“

„Ja, das glauben wir“, sagte der Detektiv.

„Das glauben Sie also“, höhnte der Professor. Diese Anwältin war wirklich lästig. Und dieser Schnüffler war impertinent. „Sie glauben also, wir konfrontieren meine Assistentin mit der Indizienlage, und sie wird Ihre Theorie so mir nichts dir nichts bestätigen. Also einen Mord gestehen. Denn das wäre es ja: Mord!“

„Frau Schulz ist eine Mörderin, eine verurteilte Mörderin“, sagte Teufel.

„Und deshalb wird sie ganz sicher keinen weiteren Mord gestehen. Sie würde in einem Urteil nämlich Sicherungsverwahrung bekommen und nie wieder auch nur einen Schritt in Freiheit tun.“

„Vielleicht will sie das gar nicht.“ Teufels Stimme war leise, aber klar, und sein Blick war ausdruckslos.

⇒ Folge 79 morgen bei motorfuture

 

 

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