edition motorfuture: KING > Folge 80 und Schluss

Der bullige Mann mit der abgewetzten Lederjacke lehnte an seinem Mercedes, den er am Gehweg direkt vor der Gartentür geparkt hatte. Er hatte die Arme vor der Brust gekreuzt. Niemand würde ohne seine Erlaubnis durch diese Tür gehen. Er starrte zu Boden. Es gab einen Auftrag, den er jetzt zu Ende bringen musste. Erfolgreiche Polizeiarbeit war Drecksarbeit bis zum bitteren Ende. Wenn man den Täter hatte, konfrontierte man ihn mit den Ermittlungsergebnissen. Man hörte sich all‘ die Ausflüchte und Lügen an. Man sah in menschliche Gesichter, hinter denen sich einsame Seelen und fremde Schicksale verbargen. Man hörte sich die Verzweiflung an. Oder die Wut. Man feilschte mit den Tätern um die Wahrheit. Die Abgebrühten riefen nach ihrem Anwalt. Die Schwachen brachen zusammen. Man nahm den Leuten ihre Selbstbestimmung, sobald man sie überführt hatte. Gute Polizisten wussten das. Gute Polizisten quittierten ein Geständnis niemals mit einem Triumphgefühl. In seltenen Fällen stellte sich ein Gefühl der Zufriedenheit ein. Psychopathen mussten weggeschlossen werden. Die Köpfe der organisierten Kriminalität mussten abgeschlagen werden. Man war froh über solche Teilerfolge, aber man wusste, dass die Köpfe der Hydra nachwuchsen und dass die Natur ständig neue Verrückte produzierte. Die meisten Täter aber waren Menschen wie du und ich. Das galt auch für Mörder. Polizisten sahen in die Abgründe der menschlichen Existenz. Gute Polizisten übten sich in Demut. Viele Polizisten waren gute Polizisten.

Teufel starrte zu Boden, und er hörte, dass sich die Haustür am Ende des schmalen Wegs zur Gartentür schloss. Er hörte die kurzen Schritte der Frau. Er hörte die Rollen des Koffers, den die Frau hinter sich herzog. Er hob den Kopf. Frau Schulz erwiderte seinen Blick, als sie das Türchen öffnete. Für den Bruchteil einer Sekunde regte sich ihr Fluchtinstinkt. Sie sah nach links und nach rechts die Straße hinunter, und sie spielte mit dem Gedanken, den Mann zu erschießen. Sie tätschelte ihre Handtasche, die an der rechten Schulter hing. Der Griff zur Waffe und die Schüsse würden eine einzige fließende Bewegung sein. Sie würde den Mann zweimal in die Brust und zweimal in den Kopf schießen. Sie würde ihn mit absoluter Sicherheit töten, so kurz war die Distanz, der Bulle stand keine vier Schritte entfernt. Aber die Frau verwarf den Gedanken. Vermutlich war es die größere Strafe für diesen Typen, weiter existieren zu müssen.

„Ich sehe, Sie verreisen.“ Die Stimme des Detektivs klang freudlos.

„Sie sind ein guter Beobachter.“

„Wohin geht es denn?“

„Dahin und dorthin.“

„Vielleicht auch nach Vietnam?“

„Warum denn nicht?“ Frau Schulz lächelte. „Ich wusste gar nicht, dass Sie Pole sind.“

„Pole oder Nicht-Pole, was macht das für einen Unterschied?“ Teufel versuchte es ebenfalls mit einem Lächeln. „Es mag uns ja manches trennen, aber die Internationale singen wir vermutlich beide gerne.“

„Was Sie nicht sagen!“ Frau Schulz wandte sich unschlüssig nach rechts. Ihr roter BMW war nur wenige Meter die Straße hinunter geparkt, aber die Garage mit dem nützlichen Tarn-Golf stand auf dem Nachbargrundstück linker Hand. „Uns trennt nicht manches, sondern alles.“

„Mag sein“, sagte der Detektiv. „Aber das spielt auch keine Rolle.“ Mit einer trägen Bewegung stieß er sich von der Wagenflanke ab. Er stellte sich der Frau breitbeinig in den Weg. „Ich fürchte, ich muss Ihre Reisepläne stören.“

„Tatsächlich?“

„Ich muss Sie bitten, uns zur Dienststelle des LKA in der Keithstraße zu begleiten.“

„Und warum sollte ich das tun?“ Frau Schulz hatte den Rollkoffer auf dem Gehweg abgestellt. Sie befühlte die Handtasche an ihrer rechten Schulter.

„Wir können das in meinem Wagen besprechen.“ Teufel öffnete die Beifahrertür, und Apollonia Toth stieg aus, nickte Frau Schulz zu, ging um den Wagen herum und stieg im Fond auf der Fahrerseite wieder ein. „Bitte sehr!“, sagte der Detektiv.

Frau Schulz musterte ihn und warf einen unentschlossenen Blick auf den Koffer. Dann nahm sie im Wagen Platz. Sie wartete, bis Teufel ebenfalls eingestiegen war. Dann sagte sie: „Es geht um Kesselring, richtig?“

„Warum haben Sie den Mann umgebracht?“ Apollonia Toth hatte sich nach vorn gebeugt. Ihre Ellbogen stützten sich auf die Lehnen der beiden Vordersitze. Ihr Gesicht war wie eine Maske zwischen den beiden Kopfstützen.

„Ich habe den Mann umgebracht, weil der Mann ein Arschloch war“, sagte Frau Schulz.

„Man hätte viel zu tun, würde man alle Arschlöcher umbringen“, sagte Teufel.

„Das ist wahr.“ Frau Schulz starrte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Sie wollte dem Atem dieser aufdringlichen Anwältin aus dem Weg gehen. „Mir ging es aber nur um dieses Arschloch. Alle anderen Arschlöcher sind mir längst egal.“

„Das ist ein Geständnis“, sagte Teufel, „es wäre schön, wenn Sie das in der Dienststelle des LKA wiederholen könnten. Oder gleich beim Staatsanwalt“.

„Das wird nicht nötigt sein“, sagte Frau Schulz. Sie befühlte die Handtasche, die auf ihrem Schoß abgestellt war. „Sie haben meine Aussage bereits auf Band, da wette ich einen Zahltag drauf.“

„Haben wir nicht“, log die Anwältin.

„Ist auch egal“, sagte die Mörderin. Ihr Lächeln schien jetzt echt. „Toth und Teufel – was für eine kuriose Kombination. Aber Ihre Arbeit ist nicht schlecht, das muss man Ihnen lassen.“

„Das Motiv! Das Motiv würde mich interessieren“, sagte die Anwältin.

„Wissen Sie, was mir einfällt, wenn ich den Namen Teufel höre?“ Frau Schulz starrte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Sie wollte dem Atem der Anwältin aus dem Weg gehen.

Toth und Teufel sahen sich an.

„Der Teufel hat die weitesten Perspektiven für Gott, deshalb hält er sich von ihm fern: – der Teufel nämlich als der älteste Freund der Erkenntnis.“

Toth und Teufel tauschten erneut einen Blick.

„Nietzsche. Jenseits von Gut und Böse. Ich habe Philosophie studiert, als mir dämmerte, dass Revolution besser ist als ein kleinbürgerliches Leben im großbürgerlichen Elfenbeinturm.“

„Kesselring und Sie waren ein Liebespaar“, sagte die Anwältin humorlos.

„Nennt man das so in Ihren Kreisen? Wir haben gefickt. Er hat es mir besorgt, gut besorgt!“

„Und dann?“ Teufel war nicht sonderlich interessiert an den Details. Ein Mord war ein Mord, und ein Geständnis war ein Geständnis, und das Motiv änderte nichts an der brutalen Tatsache des Tötungsvorgangs.

„Er hat eine Jüngere gefunden. Er hat mich verlassen. Er hat mich nicht mehr gefickt.“

„Und deshalb musste er sterben?“

„Nein, er musste sterben, weil er ein Arschloch war! Ein Arschloch weniger – eigentlich eine gute Tat.“

„Begleiten Sie uns freiwillig zur Polizei, oder muss ich die Notrufnummer wählen?“

Die Frau sah ihn an. Ihre kalten Augen glänzten. Sie war jetzt die Ruhe selbst. „Ich möchte noch einmal hoch in meine Wohnung. Ein menschliches Bedürfnis. Die Aufregung, Sie verstehen.“

„Selbstverständlich.“ Der Detektiv musterte die Mörderin. Sie war offensichtlich im Reinen mit sich und der Welt. „Sie haben nichts dagegen, wenn wir Sie begleiten. Eine Vorsichtsmaßnahme. Sie verstehen.“

„Ich nehme an, ich habe keine andere Wahl. Vielleicht lässt es sich einrichten, dass Sie mich auf dem Klo alleine lassen.“

Teufel nickte. Er wollte die Sache rasch zu Ende bringen. Diese Person beunruhigte ihn. Frau Schulz war eine Philosophin, die über Leichen ging.

 

Im Treppenhaus erwartete sie die streng riechende alte Frau, Pawelkes Tante. „Ich denke, Sie verreisen? Jetzt haben Sie Besuch? Was ist denn mit Ihnen los?“ Und nach einem verächtlichen Blick auf den Detektiv: „Ah, der Pole ist ja auch wieder unterwegs.“

„Verpiss dich in deine Höhle, alte Hexe“, zischte die Mörderin und an Toth und Teufel gewandt: „Es ist erstaunlich, welchen Gestank ein einzelner Mensch verbreiten kann.“

Dann ging alles ganz schnell.

Frau Schulz war mit ihrer Handtasche kaum im Badezimmer verschwunden, als der Schuss fiel.

Toth und Teufel fanden die Tote auf ihren Knien vor der Toilette. Ihr Hals lag mit dem Kehlkopf auf der Klobrille. Ihr Kopf hing in die Keramikschüssel. Das Einschussloch an der rechten Schläfe war dunkel eingefärbt. Am Zeigefinger der rechten Hand baumelte noch die Waffe. Wie an einem seidenen Faden.

„Aufgesetzter Kopfschuss“, sagte Teufel sachlich. Er beugte sich über die Leiche: „Makarov, Kaliber neun Millimeter. Standard-Dienstpistole des Ostblocks“.

An den Fliesen neben der Toilette klebte Blut und gelbliches Gewebe. Apollonia Toth würgte.

„Geh in die die Küche, wenn du kotzen musst“, sagte Teufel. Er schob die Anwältin aus dem Badezimmer. „Die Spurensicherung wird nachher hier arbeiten, und es ist nicht gut, wenn jemand frisch ins Waschbecken gekotzt hat.“

„Ich reiß mich am Riemen“, sagte Toth und begann zu weinen. „Sie hat sich selber hingerichtet.“

„Ja.“

„Du hast gewusst, dass sie es tun würde.“

„Ich habe es geahnt.“

„Aber du hast es nicht verhindert.“

„Nein.“                                                                               

 

 Ende

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

demnächst als eBook bei Kindle

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MAN. Projekt6 Band 2.

demnächst als Fortsetzungsroman bei motorfuture

„Aber sicher, das Problem. Es gibt ja auch noch das Problem. Gut, meine Herren, fangen wir mit dem unerfreulichsten aller unerfreulichen Themen an.“

Die müden Augen des amerikanischen Präsidenten wanderten über den ausladenden Schreibtisch. Wenn man von dieser Sache erfährt, fühlt es sich im ersten Augenblick an, als leide man unter Wahnvorstellungen, hatte er an dieser Stelle einmal ausgeführt. Von einem Schock zu reden würde den Sachverhalt nicht richtig wiedergeben, hatte er damals gesagt, immer noch überwältigt vom Abgrund dieser… Hölle. Gott, steh uns bei! Nein, das war kein Alptraum. Ein Alpträume ist etwas, aus dem man früher oder später erwacht. 

>>> MAN. Projekt6 Band 2.