„Die Formel E ist der höchste Ausdruck von Effizienz und Innovation in der Automobilindustrie“

5 Fragen an Giovanni Clemente. Der Formel-E- und Formel-1-Renningenieur des italienischen Bremsenherstellers Brembo über den Reiz des Neueinstiegs in eine neue Rennserie und den Paradigmawechsel in der Automobilindustrie.

 

Giovanni Clemente, in der Formel E gibt es viele Einheitsteile für die Teams, die Bremsen gehören dazu. Seit dieser Saison bremsen die 22 Formel-E-Boliden mit Ihren Brembo-Bremsen. Warum sind Sie in die Formel E eingestiegen?

Brembo ist natürlich ständiger Innovation verpflichtet. In der Formel E sehen wir ein wertvolles, mobiles Labor für die Entwicklung von Elektrotechnik-Technologien, die die eigentliche Herausforderung der Zukunft – wenn nicht sogar der Gegenwart – in der Automobilindustrie darstellen. Deshalb ist Brembo als einziger Lieferant des gesamten Bremssystems (einschließlich Carbonscheiben und –pads) an den Chassis-Lieferanten Sparks Racing Technology in die Formel E eingestiegen. Das ist eine absolut neue und belebende Herausforderung für Brembo: zum einen die Herausforderung in eine neue vollelektrische Serie einzusteigen und zum anderen der zeitgleich Einstieg mit der neuen Rennboliden-Generation, die leistungsstärker als das Vorgängermodell ist.

 

Wie schätzen Sie den Wissenstransfer von der Rennstrecke auf die Straße ein? Wieviel Formel-E-Entwicklung fließt direkt in die Serienentwicklung ein?

Die Formel E ist der höchste Ausdruck von Effizienz und Innovation in der Automobilindustrie und bietet eine interessante Entwicklungsplattform für Brembo-Bremskomponenten. Die Rennserie wird es Brembo in den kommenden Jahren ermöglichen mit technischen Lösungen zu experimentieren, die dann in die spezifischen Anforderungen von Elektroautos übertragen werden können.

 

Die Automobilindustrie verändert sich im Moment. Was bedeutet der Paradigmenwechsel weg vom Verbrenner hin zur Elektromobilität in Bezug auf die Serienproduktion für Ihr Unternehmen?

Die Zeiten ändern sich, der Zusammenhang ändert sich, und Brembo wird die neuen Technologie-Herausforderungen aktiv mit vorantreiben. Die Welt schaut genau auf die Entwicklungen in der Automobilindustrie, und Elektrofahrzeuge werden ein zunehmend signifikanter Teil unserer Mobilität. Das ändert nichts an der Notwendigkeit qualitativ hochwertiger Bremssysteme. Die Stichworte sind  Sicherheit, Effizienz und Zuverlässigkeit.

 

Bezieht sich Ihr Technikbeitrag ausschließlich auf die Komponenten der klassischen Reibungsbremse oder ist Brembo direkt oder indirekt auch in die Umsetzung der Rekuperationsfunktionen eingebunden? Und: Inwiefern unterscheiden sich die Bremsen in der Formel E und in der Formel 1?

Brembo hat speziell für den neuen Formel-E-Boliden der zweiten Generation ein komplettes Bremssystem entwickelt: Scheiben, Bremssättel, Bremsklötze, Bremsglocke und Tandempumpe. Die Scheiben sind aus Karbon und haben ungefähr den gleichen Durchmesser wie in der Formel 1, sind aber dünner und haben weniger Belüftungsöffnungen. Der Monobloc-4-Kolben-Bremssattel, der extra für die Formel-E-Autos entwickelt wurde, ist aus einer maschinell bearbeiteten oxidierten Aluminiumlegierung gefertigt und ist kleiner und leichter als die vernickelten 6-Kolben-Bremssättel in der Formel 1. Deshalb sind die Bremsklötze auch kleiner. Bei den Bremssätteln stand maximale Gewichtsreduzierung im Lastenheft. Die Bremssättel müssen optisch natürlich auch der visuellen Sprache der Autos entsprechen, für die sie konzipiert wurden. Diese Saison konnten die Teams die Rekuperationsfunktionen, Brake-by-Wire-Technologie und ihre jeweiligen Nutzungsfunktionen selbst entwickeln. Ab der sechsten Saison könnte es aber Synergien zwischen den einzelnen Teams und Brembo geben, die sich der Brake-by-Wire-Technologie widmen. Wir arbeiten sehr eng mit allen Teams, um sie bei allen Fragen rund um unser Bremssystem und die Umsetzung auf das Rekuperationssystem der Autos zu unterstützen.

 

Ist es als Zulieferer ein Vorteil, wenn alle Teams mit der gleichen Bremstechnik fahren, oder belebt Konkurrenz das (Entwicklungs-)Geschäft?

Das Formel-E-Auto der zweiten Generation ist viel leistungsstärker als sein Vorgänger. Die wirklich wichtige Herausforderung für Brembo ist die Entwicklung von Wettkampfbremsen, die ihrem Wesen nach stets das bestmögliche Gleichgewicht zwischen den gegensätzlichen Anforderungen an Leistung, Sicherheit, Gewicht, Haltbarkeit, konstanter Effizienz und erschwinglichen Kosten darstellen müssen.

 

Franziska Weber