Paris und die Kunst des Lebens: Nationalstolz in Geschenkverpackung.
Der Kaiser trägt die prächtigsten Kleider, solange der Hofstaat jubelt. Die Untertanen wissen es besser: Der Kaiser ist nackt, er weiß wenig von seinem Land, er regiert es schlecht. Doch die Untertanen wagen keinen Widerstand, und die wenigen Widerständigen werden geächtet, solange der Hofstaat huldigt.
Man kann die Metapher in Szene setzen, dann sieht man das scheinbar Unsichtbare. Die Illusion der Moderne zum Beispiel, die Menschheit könne über Wasser gehen. Oder das düstere Haus der Geschichte, das stets dem Untergang trotzte. Schließlich das Denkmal siegreicher Schlachten, den Kriegen und seinen Kriegern gewidmet. Die Nation ist die Grande Nation.
Der Kalender des Westens schreibt derweil das Jahr 2021.
Das scheinbar Unsichtbare sichtbar zu machen, ist das Privileg der Philosophen und der Künstler.
Der Meister der Verwandlung durch Verhüllung jongliert mit der eigenen Existenz, die gewissermaßen aus zwei Existenzen zusammenfließt – zusammenfloss. Es gibt sie, diese Konstellationen: ein Paar, eine Person. Christo und Jeanne-Claude sind am selben Tag geboren, am 13. Juni 1935. Christo Vladimiroff Javacheff in Gabrowo, Bulgarien, Jeanne-Claude Denat de Guillebon in Casablanca, Marokko. Man trifft sich im Paris der 50er-Jahre, Eheschließung 1961, Einswerdung die folgenden Jahrzehnte. Christo ist der Objektkünstler, Jeanne-Claude Muse und Organisatorin. Das Duo dementiert. Künstlerisch ist man eine Einheit, zwischen Idee und Umsetzung passt kein Zeichenblatt Papier. Das Produkt ist Objektkunst im großen Maßstab, die Verpackung von Landschaften, Gebäuden, ganzen Inseln. Die Idee ist perfekt: Enthüllung durch Verhüllung. Der schöne Schein stellt die Fragen nach dem Dahinter. Was ist das, was wir jetzt in anderem Licht betrachten?
Der Arc de Triomphe zu guter Letzt, die Insel im Kreisverkehr auf dem Place Charles de Gaullle, dem großen Stern mit seinen zwölf Straßenstrahlen.
Die Umsetzung auch hier spektakulär technisch. Kunsthandwerk. Stoffbahnen aus der Hightech-Weberei, Statik vom Ingenieurbüro, Verarbeitung durch Kletterspezialisten.
Die eigentliche Kunst aber ist die Idee, das Verhandlungsgeschick. Den französischen Museumsbehörden die Erlaubnis abzuringen – lasst ihn uns mal einpacken, euren Triumphbogen, den kriegerischen Stolz der Nation seit fast 200 Jahren. Wie sieht er denn aus, kunstvoll verpackt wie ein Geschenk, ins Licht der reflektierenden Hülle getaucht, so weiß und plötzlich so anders.
Sehr schön, sagen die Pariser. Sie gehen wie immer ihrer Wege, fahren über den großen Stern, treffen sich am großen Stern, verteilen sich am großen Stern. Aus allen Richtungen, in alle Richtungen, man legt doch an den Wochentagen nicht eine Schlagader der Stadt still, nur weil ein Wahrzeichen der Nation für ein paar Tage Kunst sein soll.
Christo und Jeanne-Claude sind tot, der Neffe Vlad hat das letzte Vermächtnis inszeniert. Eine großartige Verbeugung vor den Gräbern, noch einmal ein kleines Geschenk für die Menschheit.
Fotos: motorfuture, Sabine Baur