Große Koalition mit Beschleunigungsgesetz für Infrastrukturprojekte – weniger Bürokratie, Bürgerbeteiligung via Internet, zügiger Rechtsweg.
Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, stabile Preise und außenwirtschaftliches Gleichgewicht gehören zu den wichtigsten Zielen der Wirtschaftspolitik. Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum bilden dabei die Investitionen. Besonders eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist Voraussetzung für die Mobilität von Waren und Personen.
Die Öffnung der Grenzen in Europa und die Einführung des Euro in den 90er-Jahren hatten erstaunliche Nebenwirkungen: Wachstumskräfte verlagerten sich aus Deutschland in andere Länder. Teilweise wurde das mit dem einsetzenden Bauboom in den neuen Ländern kompensiert, insgesamt ging die Bauleistung aber seit 1995 zurück. Der Auftragseingang im Tiefbau ist erst seit dem Abgang der rot-grünen Bundesregierung 2005 steil angestiegen und mit ihm die Investitionsquote (plus zehn Milliarden Euro). Er hat 2017 im öffentlichen Tiefbau mit einem Umsatz von 24 Milliarden Euro und 180.000 Beschäftigten wieder den Stand von 1995 erreicht. Und der Umsatz steigt weiter, wie die zahllosen Baustellen auf den Autobahnen zeigen.
Trotzdem wird beklagt, dass zu wenig investiert wird, Projekte nicht vorankommen.
24 Milliarden Euro Investitionen
Grund für permanente Verzögerungen im Infrastrukturbereich sind nicht nur Klagen von Naturschützernbei den Verwaltungsgerichten, sondern auch Planungsversagen der öffentlichen Hand, also bei Bund, Ländern und Kommunen. Die Autobahn A 20 in Schleswig-Holstein zum Beispiel ist eines der vielen Beispiele für krasse Planungsmängel und kompromisslose Naturschützer: Seit 2012 ruht die dringend erwartete Verlängerung von Bad Segeberg zum geplanten Elbtunnel bei Glückstadt.
Die Beispiele in anderen Bundesländern sind zahlreich – von der Elbvertiefung für die Schifffahrt bis zur Stromnetztrasse von Hamburg nach Bayern.
Grundgesetzänderung
Die mangelhafte Arbeit einzelner Bundesländer bei der Verbesserung der Fernstraßen-Infrastruktur hat jetzt den Bund veranlasst, mit einer Änderung des Grundgesetzes die Verantwortung für die Straßenbauverwaltung zu übernehmen. Bis zum 31.12.2020 dürfen die Länder noch in Auftragsverwaltung planen, dann geht die Verantwortung für Planung, Bau, Betrieb, Erhalt und Finanzierung der Autobahnen auf den Bund oder von ihm eingesetzte Privatgesellschaften über. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) nennt dies die „größte infrastrukturpolitische Reform der letzten Jahrzehnte“.
Koalition beschließt Planungsbeschleunigung
Das genügt den Koalitionären im Bund aber nicht. Union und SPD nahmen in die Vereinbarung zur Fortsetzung der großen Koalition im Frühjahr 2018 einen Passus zur Beschleunigung anstehender Infrastrukturvorhaben auf. Am 8. November beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Koalition und der AfD gegen die Stimmen von FDP, Grünen und Linke ein Planungsbeschleunigungsgesetz. Bürokratie soll abgebaut werden, Bürgerbeteiligung gestärkt und der Klageweg zügiger abgeschlossen werden. Verkehrsminister Scheuer: “Die Planungs- und Genehmigungsverfahren werden einfacher, effizienter, transparenter und schneller.“ Und: „Rekordmittel sollen schnell in konkrete Sanierungs-, Aus- und Neubaumaßnahmen fließen.“
Einfach ist anders
Um zu verstehen, ob dieses Gesetz seinem Anspruch genügen kann, muss man sich zunächst vor Augen halten, wie bisher der Weg zu einer neuen Autobahn oder einer Verbreiterung einer Bundesstraße verläuft.
- Das Fernstraßengesetz enthält einen Plan, welche Projekte realisiert werden sollen. Vorausgegangen ist ein jahrelanges Ringen von Bund und Ländern über die jeweils bevorzugten Fernstraßen, Wasserstraßen und Schienenwege. Deren Aus- oder Neubau soll nach Stufen erfolgen, die in einem Bedarfsplan bezeichnet sind, der sich nach den vorhandenen Mitteln im Bundeshaushalt richtet.
- Die Vorplanung dient als konzeptionelle Planungsstufe zur Linienfindung im Raumordnungsverfahren, untersucht Varianten und analysiert den Planungsraum. Anschließend bestimmt der Bundesverkehrsminister die neue „Linie“.
- Die Entwurfsplanung dient der lage- und höhenmäßigen Konkretisierung der präferierten Linie. Aus ihr entsteht der Vorentwurf mit einem landschaftspflegerischen Begleitplan zur Berücksichtigung der Eingriffe nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Artenschutzrechtliche Belange und FFH-Verträglichkeit (Fauna-Flora-Habitat) werden untersucht. Die Umweltverträglichkeit wird geprüft. Der Vorentwurf muss die Frage bejahen, dass die geplante Trasse umweltgerecht, leistungsfähig und wirtschaftlich ist.
- Dann folgt das eigentliche Planfeststellungsverfahren. Im Gesetz ist vorgeschrieben, dass neue Straßen nur gebaut werden dürfen, wenn der aus Zeichnungen, Berechnungen und Erläuterungen bestehende Plan vorher festgestellt wurde. Zweck ist es offenzulegen, dass alle berührten öffentlichen und privaten Belange abgewogen und widerstreitende Interessen ausgeglichen wurden. Vor der Feststellung sind die öffentliche Auslegung der Pläne, Erörterungen und gegebenenfalls Änderungen gesetzlich vorgeschrieben. Das Verfahren endet mit dem Planfeststellungsbeschluss. Gegen ihn kann geklagt werden. Klageberechtigt sind Gemeinden, einzelne Bürger und – seit der Einführung des Verbandsklagerechtes – auch Verbände.
- Schließlich folgen Ausführungsplanung, Vergabe und Bau.
Schlanker, schneller, transparenter
Das neue Gesetz sieht die folgenden Änderungen vor:
- Doppelprüfungen sollen vermieden und Schnittstellen reduziert werden. Die Anhörungs- und die Planfeststellung wird in einer Behörde, dem Eisenbahnbundesamt, zusammengeführt.
- In bestimmten Fällen kann vor Erlass des Prüfzentrums für Bauelemente (PfB) mit vorbereitenden Maßnahmen oder Teilmaßnahmen begonnen werden. Projektmanager können eingeschaltet werden (!).
- Der Vorhabenträger wird verpflichtet, alle Planungsunterlagen auch im Internet zu veröffentlichen.
- Last not least: Der Rechtsstreit wird auf eine Gerichtsinstanz beschränkt. Im Verfahren vorgebrachte Tatsachen müssen spätestens zehn Wochen nach Klageerhebung vorgetragen werden.
Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.