„In Zukunft wird das Auto nicht mehr von außen nach innen gestaltet, sondern von innen nach außen.“ Audi-Chefdesigner Marc Lichte über die Entwicklung des Automobildesigns in Zeiten der Elektromobilität.
„Mit der Elektromobilität hat sich das Auto in seiner Konstruktion bereits grundlegend verändert. Nicht mehr der Motor bildet das visuelle Kraftzentrum, sondern der große Batterieblock im Unterboden. Hinzu kommen die Möglichkeiten der Digitalisierung und vor allem das automatisierte Fahren. Dadurch wird sich das Automobil in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Ein Wandel, der sich wahrscheinlich nur mit dem Epochenwechsel vergleichen lässt, den die Ablösung der Kutsche durch das Auto markierte.“
… über die Herausforderungen für das Automobildesign:
„Das lässt sich ganz anschaulich erklären: Wir haben das Automobil in seinen 135 Jahren eigentlich immer von außen nach innen gestaltet. Sprich: Am Anfang stand die Frage, in welchem Fahrzeugsegment sich das Modell positionieren soll und welches Aggregat es antreibt. Auf diese Weise kamen wir zum Karosseriekonzept und damit zum Exterieurdesign. Erst wenn das alles fix war, haben wir uns mit der Gestaltung des Innenraums beschäftigt.
Mit dem automatisierten Fahren verändert sich ein elementarer Punkt, der bislang in allen Autos weltweit unabänderlich schien: Der Fahrer muss in Zukunft nicht mehr permanent das Lenkrad in der Hand halten. Ohne aktive Fahraufgabe gewinnt er neue Freiheiten und kann seine Zeit selbst gestalten. Arbeit, Unterhaltung oder Entspannung. All das ist möglich. Und gleichzeitig gewinnen wir ja – ohne Lenkrad und Pedalerie – auch neue Gestaltungsmöglichkeiten für das Interieur und – ganz banal – mehr Platz, ein besseres Raumgefühl. Für die Nutzer_innen wird der Innenraum so zum persönlichen Freiraum, für uns Designer_innen zum neuen gestalterischen Nukleus des Automobils. Der Designprozess beginnt also mit der Frage, wer in einem neuen Modell Platz nehmen soll und was er dort alles machen möchte. Eine Kehrtwende um 180 Grad: In Zukunft wird das Auto nicht mehr von außen nach innen gestaltet, sondern von innen nach außen.“
… über den Slogan „Von innen nach außen“:
„Es geht hier nicht um einen Slogan, sondern um ein neues Grundverständnis von individueller Mobilität. Ein Beispiel: Stellen Sie sich eine klassische Luxuslimousine vor – über fünf Meter lang, getönte Scheiben und schwarz lackiert. Wo sitzen hier die Kund_innen? Auf dem Fahrersitz? Nein, sie sitzen hinten rechts im Fond, nutzen vielleicht das Rear-Seat-Entertainment, während Chauffeur_innen den Wagen lenken. Wenn aber nun in Zukunft die Fahraufgabe wegfällt, dann wäre es für Kund_innen doch viel attraktiver, gleich in der ersten Reihe Platz zu nehmen in einem gemütlichen Sessel mit freier Sicht nach außen oder auf ein großes Onboard-Entertainment, wie sie es sich auch für zuhause wünschen. Das ist für mich First Class Traveling.“
… über das Ende der eierlegenden Wollmilchsau:
„Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die verschiedenen Fahrzeugmodelle in Zukunft wesentlich stärker voneinander unterscheiden werden. Vorbei die Zeit, als das Automobil ein Kompromiss war zwischen vielen einander zuwiderlaufenden Ansprüchen, eine Art eierlegende Wollmilchsau. Stattdessen wird es mehr und mehr Autos geben, die mit ihrem gesamten Konzept auf einen bestimmten Einsatzzweck oder Use Case zugeschnitten sind. Sei es die Kurzstrecke in der Großstadt oder die schnelle Runde auf der Rennstrecke.“
Ziemlich konventionell, aber betörend schön: Marc Lichtes Elektrowagen Audi e-tron GT. Foto: Audi
Unser Aufmacherbild: Kraftzentrum Batterieblock. Foto: Volkswagen