Das Elektroauto ist eine harte Lektion für Politik und Wirtschaft. Wunsch und Wirklichkeit sind nicht deckungsgleich, wenn dem Verbraucher Geld und Vertrauen fehlen. Eine kritische Bilanz mit positiven Aspekten.
Das Elektroauto ist im Prinzip das beste Auto, das es je gegeben hat. Das Elektroauto bietet Antriebsleistung, Laufruhe und Energieeffizienz in sensationeller Kombination. Das Elektroauto lässt dem Verbrenner keine Chance, sieht man einmal von zentralen verbraucherrelevanten Faktoren ab: Preise, Reichweite, Ladeinfrastruktur.
Das Elektroauto hat derzeit gute Chancen, als gewaltiger Management-Flop in die Geschichtsbücher einzugehen – gefährlich für eine Schlüsselindustrie und hunderttausende Arbeitsplätze auch bei den Zulieferern sowie den Standort-Dienstleistern. Zur Erinnerung: Arbeitsplätze sind der Kitt der Gesellschaft. Sie bringen der arbeitenden Bevölkerung Lohn und Brot und Wohlstand. Die Absolutheit, mit der Politik und Wirtschaft in den vergangen Jahren auf das Elektroauto gesetzt haben, ist vor diesem Hintergrund verstörend. Die Entscheidungsgremien haben auf ein Pferd gesetzt, das noch nicht eingeritten ist.
Doch der Reihe nach.
Die „Experten“
Politiker, die von Wirtschaft und Technik im Allgemeinen und der Automobilindustrie im Besonderen so viel wissen wie der Goldfisch von der Galopprennbahn, haben in den Vorstandsetagen Transformationsseminare veranstaltet. Statt zuzuhören, haben sie Vorträge gehalten. Das mag dem Dunning-Kruger-Effekt geschuldet sein, also dem Phänomen, dass Unwissenheit und Selbstüberschätzung nicht selten eine unheilige Allianz eingehen. So weit, so schlecht. Aber das eigentliche Problem sind nicht die Schwätzer, sondern die unterwürfigen Zuhörer.
Brüssel und Berlin
In Brüssel werden absurde Ziele beschlossen – zum Beispiel das De-facto-Aus des Verbrennungsmotors in 2035 -, denen in Berlin erst dann widersprochen wird, wenn es zu spät ist. Aktuelles Beispiel sind die Einfuhrzölle auf chinesische Autos. In Brüssel glauben sie, dass die EU der Nabel der Welt ist. Der Rest der Welt macht Politik und Business mit dem Rest der Welt.
China und Co
Grüne Ideologen träumen vom Ende des Individualverkehrs. Das richtige Leben zitiert die Statistik: In China wurden im vergangenen Jahr etwas mehr als 30 Millionen Kraftfahrzeuge (PKW, LKW, Busse) produziert, in Nordamerika und Mexiko waren es 14,2 Millionen Einheiten, in Japan und Südkorea 13,2 Millionen und in Indien, Indonesien und Thailand 9,1 Millionen.
Europa? Deutschland 4,1 Millionen Fahrzeuge, Spanien 2,5 Millionen, Tschechien und die Slowakei 2,5 Millionen, Polen, Rumänien und Ungarn 1,6 Millionen, Frankreich 1,5 Millionen, UK 1 Million, Italien 880.000.
Und apropos China: Das Ende des Verbrennungsmotors wurde dort ins ferne Jahr 2060 verschoben. Im Reich der Mitte, wo das Elektroauto den großen Marsch bereits begonnen hat, unterscheidet man zwischen den konkreten Lebensbedingungen in Stadt und Land.
Tesla und die Hausaufgaben
Elon Musk, der von Pseudo- und anderen Intellektuellen an den Pranger gestellte Mega-Macher, hat den Wald und das Unterholz der Branche gerodet. Elektroauto? Schwachsinn, sagten die Platzhirsche noch vor zehn Jahren, ehe sie dann mit dem Dieselskandal 30 Milliarden Euro verbrannten. Tesla hat die Gewissheit, das Produkt Automobil sei zu komplex für Newcomer, Lügen gestraft. Umgekehrt wird jetzt ein Schuh draus: Von Tesla lernen, heißt das Elektroauto begreifen. Die Lektionen sind vergleichsweise simpel. Sie tragen die Überschriften Technologieführerschaft, Reichweite und Lade-Infrastruktur. Tesla hat den Zeitgeist auf die Räder und den gutsituierten Avantgardisten das Model S (Bild unten) in die Garagen gestellt. Straßenkreuzer und Öko-Coolness – kein Widerspruch, wenn die Akkus groß und der Strom in den markenexklusiven Ladeparks aus den Superchargern kommt.
Von Tesla lernen, heißt das Elektroauto begreifen: Model S
Elektroauto und Massenmotorisierung
Aber der Magier Musk lässt jede Menge Platz für den Wettbewerb, nämlich dort, wo die Leute mit dem Euro rechnen müssen. Das preisgünstige Elektroauto stand bislang nicht auf der Tesla-Agenda.
Gute Nachrichten für die Verbraucher
Für Verbraucher bringt die Schreckensbilanz derzeit vor allem gute Nachrichten. Das Elektroauto ist momentan im Sonderangebot – Rabatte für Neuwagen, Alles-muss-raus-Aktionen in den Gebrauchtwagenabteilungen: Leasingrückläufer stehen sich momentan bei den Händlern die Reifen platt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Das Rabatt- und Ramsch-Marketing reduziert die Preise auf Basis des insgesamt enorm hohen Listenpreisniveaus. Beispiel Porsche Taycan (Bild unten). Ein ordentlich ausgestattetes Auto steht mit 120.000 Euro in der Liste, den guten Jahreswagen gibt es schon für 70.000 Euro. Über beide Summen lässt sich nur eines sagen: verdammt viel Geld, Beträge, die mit der gern gewählten Leasing-Kalkulation unter dem Strich definitiv wachsen.
Porsche bleibt Porsche: Deftige Preise auch für Jahreswagen-Schnäppchen
Klar ist, dass der Mensch das Maß der Dinge ist. Auf dem Markt gehört dazu die Brieftasche, die immer häufiger abgewetzt und von traurigem Inhalt ist. Die Wiederbelebung des Renault 5 (Bild unten) als Elektroauto ist eine charmante Idee, die Preisgestaltung ist ernüchternd: ab 32.900 Euro.
Das Elektroauto ist in der Summe seiner Eigenschaften zu überzeugend, um als Produkt zu scheitern. Und die Aufgabenliste für den breiten Markterfolg ist bekannt: bezahlbare Preise für Produkte und Strom, reisetaugliche Reichweiten, alltagstaugliche Ladeinfrastruktur – jedes Thema für sich genommen ein dickes Brett.
Das heißt auch: Bietet den Leuten bis auf Weiteres den guten alten Verbrenner an. Ausgereift, umweltfreundlich, wirtschaftlich, bezahlbar. Das alte Geschäftsmodell aufzugeben bevor das neue funktioniert, ist keine gute Idee.
Retro-Marketing zu deftigen Preisen: Renault 5 Elektro
Fotos: motorfuture, Tesla, Porsche, Renault
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