Elektropop: Castle of Glass

motorfuture zum Mitsummen. Heute: Die Gläserne Manufaktur in Dresden.

Castle of Glass. Linkin Park erzählen davon, dass ein Riss im Glasschloss nicht das Ende ist. Auch VW kann davon ein Lied singen. 2001 wurde die Gläserne Manufaktur nach zweijähriger Bauphase in Dresden eröffnet. Unweit der Innenstadt, am Rande des Großen Gartens wurde die neue VW Luxuslimousine Phaeton in Handarbeit produziert. Knapp 15 Jahre und 84.235 Exemplaren später wurde die Produktion eingestellt. Zu teuer, zu wenig Nachfrage. Und das, obwohl die Gläserne Manufaktur auf eine Tagesproduktion von maximal 90 Fahrzeugen ausgelegt ist. Ob die Produktionsstätte je als Profitcenter ausgerichtet war? Fraglich. Aber die durchschnittlich knapp 25 Autos pro Arbeitstag untertrafen die Erwartungen wahrscheinlich dann doch.

Nomen est omen?

Dazu muss man unterstellen, dass der Namenspatron des Phaeton nicht die Karosserieform ist, sondern die gleichnamige Figur aus der griechischen Mythologie. Die VW-Leute überschätzten die Nachfrage nach dem Phaeton, wie dieser seine Fähigkeit zwischen Himmel und Erde überschätzte und mit dem Sonnenwagen ins Verderben raste. „Hier ruht Phaeton, der Lenker des väterlichen Wagens; zwar konnte er ihn nicht meistern, doch fiel er als einer, der Großes gewagt“, steht laut Ovid auf Phaetons Grabstein. Auch VW hat mit dem Phaeton Großes gewagt und mit der Gläsernen Manufaktur wenigstens ein großes Denkmal hinterlassen.

Wie auch immer der Phaeton zu seinem Namen kam – 2016 verließ der letzte Parade-Volkswagen die eigens für ihn gebaute Produktion in Dresden. Das 83.000 Quadratmeter große Glasschloss bekam einen (kleinen) Riss. Für die moderne Fabrik wurde eine neue Aufgabe gesucht. Vor den Blicken der Öffentlichkeit.

Die Mobilitätswende und die Elektromobilität steckten 2016 noch in ihren Kinderschuhen, die Verbraucher standen der neuen Technologie kritisch gegenüber. VW entschied sich, den e-Golf auch in Dresden zu produzieren. Erneut vor den Augen der Öffentlichkeit – die Fassade der Manufaktur des Lichts besteht aus 27.500 Quadratmeter Glas.

Ein kluger Schachzug. Die neue Technologie vor aller Augen. Inmitten der großen Stadt. Transparenz für die Technik der Zukunft. Ergänzt wird das Konzept durch tägliche Führungen und Events. Manchmal hilft der Zufall: Die Neuausrichtung der Fabrik passt besser zum gläsernen Konzept als der Ursprungsgedanke.

Von 2017 bis 2020 verließen 50.401 e-Golf die Fabrik. Seit dem 29. Januar 2021 wird der ID.3 (auch) in Dresden montiert, das erste Modell der rein elektrischen Volkswagen-ID-Familie. Momentan werden täglich 36 ID.3 in Dresden produziert. Viel zu wenig für die große Nachfrage, aber bei Engpässen in den Lieferketten ist auch ein Castle of Glass nur eine ganz normale Fabrik.

Franziska Weber