Inseln im Strom: Echt jetzt?

Du bist nicht allein. Es gibt doch Whatsapp, Twitter, SMS. Und Fratzenbuch. Und wenn das Smartphone streikt?

Das war wirklich krass. Früher, also vor zehn Jahren, gab es das Smartphone noch nicht. Das muss schlimm gewesen sein. Man konnte sich nicht mitteilen, man konnte sich nicht verabreden, man konnte nicht kommunizieren. Man wusste nicht, wo man die Hände lassen sollte beim Kinderwagenschieben, beim im Café sitzen, beim Autofahren. Die meisten von uns erinnern sich ja noch. Steinzeit! Man fragt sich, wie die Leute ihr Geld verdienten, Geschäfte machten, sich fortpflanzten.

Ich behaupte ja, es gab auch eine Zeit ohne Klopapier, aber niemand interessiert sich dafür.

Ich persönlich beobachte die Smartphone-Junkies mit einer Mischung aus Befremden und Bedauern. Diese armen Leute! Was würden sie ohne ihre digitale Krücke machen? Wäre ihnen langweilig? Wären sie einsam? Würden sie wieder damit anfangen die Welt zu betrachten?

Für coole Typen wie mich ist das Smartphone ein Arbeitsgerät. Man hat es, man nutzt es. Over. Kürzlich war ich auf der Autobahn unterwegs. Nach einer guten Fahrstrecke fiel mir ein, einen Anruf zu erledigen. Ich drückte das Telefonsymbol am Bordbildschirm, aber Auto und Smartphone waren nicht verbunden. Unruhe machte sich breit. Etwas funktioniert nicht, obwohl es funktionieren muss! Ich nahm das Telefon aus der Ablageschale und es grinste mich grellgelbneonfarben an. Normalerweise ist der Bildschirm im Ruhezustand schwarz. Ich drückte die Ein/Aus-Taste. Das Telefon grinste gelb. Kleine schwarze Buchstaben sendeten Botschaften. Die Unruhe wuchs. Ich steuerte den nächsten Parkplatz an, weil ich ein verantwortungsbewusster Fahrer bin. Das Telefon grinste immer noch grellgelbneonfarben. Die Botschaft lautete: RecoverySafetyBoost – oder so ähnlich. Connect USB-Cable to your computer – oder so ähnlich. Ich drückte die Ein/Aus-Taste. Das Telefon grinste sein höhnisches Gelb. Die Unruhe steigerte sich. Connect USB-Cable to your computer. Ich hatte kein USB-Kabel. Ich hatte keinen Computer. Ich hatte nur ein Smartphone, das nicht funktionierte. Kein Telefon, keine E-Mails, kein Whatsapp, kein Garnix. Ich konnte niemanden erreichen. Ich war nicht erreichbar. Ich war nicht auf Sendung! Mitten in der Welt und doch ganz allein. Wenn das Smartphone streikt, macht sich auch bei Technik-Verächtern Panik breit. Das Telefon grinste gelb. Ich fummelte die Abdeckung vom Gehäuse, zog den Akku aus der Halterung, zum Glück kein iPhone. Ich drückte den Akku zurück und betätigte die Ein/Aus-Taste. Ein Summen signalisierte Funktion. Das Gerät verlangte geschäftsmäßig den Pin. Ich meldete mich an. Die Netzverbindung war gut. Bluetooth war aktiviert, der Bordcomputer meldete Verbindung. Puuhh! Gibt es ein schöneres Wort für Erleichterung?

Ich erledigte meinen Anruf und schaltete das Radio ein. Interessante Informationen beim Deutschlandfunk.

  • Die Schlafmohn-Ernte in Afghanistan wird in diesem Jahr auf 9000 Tonnen geschätzt. Das sind 87 Prozent mehr als im Vorjahr. Angebaut und geerntet wird vor allem dort, wo die Taliban wieder das Sagen haben. – Ich erinnerte mich an den Satz des Verteidigungsministers, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt. Ich erinnerte mich an eine aktuelle Kostenschätzung: Der NATO-Einsatz in Afghanistan hat bislang mindestens 1000 Milliarden US-Dollar gekostet. Ich fragte mich, wieviele Schüsse Heroin aus 9000 Tonnen Schlafmohn synthetisiert werden können.

Aber da gab es schon die nächste Infos:

  • Die kostenlose Jodtabletten-Verteilaktion in Aachen ist erfolgreich beendet worden. 14.000 Haushalte haben das Angebot genutzt. Sie können jetzt mit Jodtabletten ihre Schilddrüsen schützen, sollte das benachbarte belgische Atomkraftwerk Tihange in die Luft fliegen.
  • Jeder fünfte Lehrer in Deutschland ist schon einmal von einem Schüler körperlich angegriffen worden. Geschlagen, geschubst, angespuckt. Besonders die Grundschullehrer sind mit einer Geschlagen-geschubst-angespuckt-Quote von 33 Prozent übel dran.
  • Die Friedhofsverwaltungen kämpfen vermehrt mit dem Wachsleichen-Phänomen. Tote verwesen nicht, weil man sie in ungeeigneten Erdschichten beerdigt. Und wenn man sie dann nach wenigen Jahren wieder ausgräbt, weil man Platz für neue Tote braucht, hat man ein Problem, dessen finale Lösung aber nicht näher erläutert wurde.

Echt jetzt?

Ich schaltete das Radio aus. Mein Bedarf an Nachrichten war gedeckt. Der Verkehr rollte störungsfrei, und ich fuhr gemächlich auf der rechten Spur. Ich warf einen Blick auf den Bordbildschirm. Telefon verbunden. Na also, geht doch.

 

Hugo von Bitz