Bislang meisterlich, in Zukunft weltmeisterlich

Rückblick auf die 6. Formel-E-Saison. António Félix da Costa und sein Team DS Techeetah feiern Fahrer- und Teammeisterschaft. Fahrerkarussel dreht sich für nächste Saison. Formel E wird FIA-Weltmeisterschaft.

Die Corona-Pandemie hat ihre brutalen Bremsspuren auch in der Formel E hinterlassen. Die vollelektrische Rennserie musste ihre sechste Saison mit einem kompakten Finale in Berlin beenden. Auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof gingen zwischen dem 5. und 13. August an 9 Tagen 6 Rennen auf 3 verschiedenen Streckenlayouts an den Start. „Die 6 Rennen in 9 Tagen in Berlin waren der außergewöhnliche Abschluss einer ebenso außergewöhnlichen Formel-E-Saison“, sagt BMW-Motorsport-Chef Jens Marquardt. „Wir sind froh, dass wir die Saison auf der Rennstrecke abschließen konnten, wenn auch leider ohne unsere Fans.“

Da Costa und DS Techeetah meisterlich

António Félix da Costa heißt der aktuelle Champion der vollelektrischen Rennserie. Bereits zum dritten Mal in Folge stellt damit DS Techeetah den Formel-E-Champion (2018 und 2019: Jean-Éric Vergn, 2020: da Costa) und verteidigt zudem den Team-Titel mit 244 Punkten vor Nissan (167 Punkte) und Mercedes (147 Punkte). „Ich bin sprachlos“, sagt da Costa nach dem Gewinn der Meisterschaft. „Ich habe in meinem Leben einige wichtige Rennen gewonnen, aber nie eine FIA Meisterschaft. Und diese Serie hat 24 Fahrer, die ganz oben stehen können. Es ist also unglaublich, hier zu gewinnen.“

In Zukunft weltmeisterlich

Der Portugiese ist damit auch der letzte Formel-E-Champion — ab der kommenden Saison erhält die Formel E erstmals den Status einer FIA-Weltmeisterschaft. „Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, wie sich die Serie entwickelt“, sagt Porsche-Pilot André Lotterer. „Wenn man sieht, wie viele Premiumhersteller vertreten sind, zeigt das, wie relevant und wichtig die Formel E ist. Der Wettbewerb ist extrem hoch. Daher denke ich, dass der Status einer Weltmeisterschaft auf jeden Fall angemessen ist.“

11 Rennen, 8 Sieger

Doch der Reihe nach. Auch die sechste Formel-E-Saison musste aufgrund der Corona-Pandemie nach fünf Rennen pausieren. Ein Blick zurück. Der letzte Lauf vor der fünfmonatigen Pause findet am 29. Februar in Marrakesch (Marokko) statt. António Félix da Costa setzt sich mit seinem Sieg an die Spitze des Fahrerklassements und gibt diesen bis zum letzten Saisonrennen nicht mehr ab.

Wie bereits in den vergangenen Jahren schafft die Formel E, was man in anderen Rennserien vermisst: ein ausgeglichenes und konkurrenzfähiges Fahrerfeld an den Start zu bringen. Nach 5 Rennen gibt es 5 Sieger (Sam Bird, Alexander Sims, Maximilian Günther, Mitch Evans und António Félix da Costa). Am Ende der Saison gibt es nach 11 Rennen 8 verschiedene Sieger. In Berlin reihen sich Jean-Éric Vergne, Oliver Rowland und Stoffel Vandoorne in die Siegerliste ein. Champion da Costa siegt in der sechsten Formel-E-Saison dreimal, BMW-Pilot Maximilian Günther steht zweimal ganz oben auf dem Podest.

Warum das so ist? Die Formel E setzt aufgrund von Kostenreduktion viele Gleichteile ein, einzig den Antriebsstrang entwickeln die Teams selbst. Außerdem sorgt das Qualifying-Format (die bestplatziertesten Fahrer starten zuerst) für wechselnde Poleposition-Anwärter, da die erste Qualifyinggruppe mit den schlechtesten Grip-Verhältnissen zurecht kommen muss. Vor allem die Teams der ersten Quali-Gruppe versuchen deshalb ihre Fahrer so spät wie möglich auf die Strecke zu schicken. Dass diese Taktik nicht immer aufgeht, haben Sébastien Buemi, António Félix da Costa, Lucas di Grassi und Jean-Éric Vergne am eigenen Leib erfahren, als alle noch aktiven Formel-E-Champions beim vorletzten Lauf in Berlin im Qualifying zu spät über die Startlinie fahren. „Wenn man in Gruppe eins eine Chance haben will, muss man so spät wie möglich auf die Strecke gehen“, sagt Audi-Pilot di Grassi.

Qualifying-Format, Attack-Modus, Energiemanagement

Außerdem zeigte sich beim Saisonfinale in Berlin einmal mehr, dass die Taktik beim Einsetzen des Attack-Modus, für dessen Aktivierung die Fahrer die Ideallinie verlassen müssen, rennentscheidend sein kann.

Und, ganz spannender und entscheidender Punkt bei den Formel-E-Boliden: Das Energiemanagement ist der Schlüssel zum Erfolg. Nachdem Günther in Marrakesch den späteren Rennsieger da Costa in der letzten Runde aufgrund knapper Energiereserven ziehen lassen muss, hat er bei seinem Heimsieg in Berlin die Nase knapp vor Virgin-Pilot Robin Frijns – der BMW-Pilot hatte in Vergnes Windschatten geduldig Energie gespart. „Maximilian ist einmal mehr unglaublich clever und ruhig gefahren, hat im Windschatten von Vergne Energie gespart und dann ein tolles Manöver gesetzt“, sagt BMW-Teamchef Roger Griffiths nach dem achten Saisonrennen.

In der sechsten Saison setzt sich Champion da Costa mit einem starken Start mit zwei Siegen in Berlin deutlich von seinen Konkurrenten ab, da die Fahrer, die vor der Rennpause die Top Ten gebildet haben, in Berlin teilweise zu Beginn, teilweise auch gar nicht an ihre Leistungen anknüpfen können. „Es ist sehr schade, dass eine Saison, die in Diriyah so gut für mich begonnen hat, so zu Ende gegangen ist“, sagt Alexander Sims. „Ich konnte hier in Berlin einfach nicht die Pace abrufen, die ich vorher in der Saison hatte. Als wir hierhergekommen sind, dachte ich, dass wir um einen Top-3-Platz in der Fahrerwertung kämpfen könnten. Dann so weit zurückzufallen, ist ziemlich bitter.“ Konstanz führt bei dem ausgeglichenen Fahrerfeld zum Erfolg. „Die vielleicht größte Überraschung waren die großen Schwankungen der Teams von einem zum anderen Rennen. Es war klar, dass das beständigste Team am Ende ganz oben stehen wird“, sagt Porsche-Formel-E-Einsatzleiter Amiel Lindesay. „Aber die Unterschiede, die wir manchmal sogar innerhalb einzelner Teams gesehen haben, waren teilweise sehr groß und nur schwer zu erklären.“

Mercedes mit Vandoorne Vizeweltmeister, Porsche auf Platz 8

Porsche und Mercedes haben ihre Rookiesaison in der Formel E absolviert. Während Mercedes auf ein Jahr Rennerfahrung des Kundenteams HWA Racelab aufbauen konnte, startete Porsche ohne Rennerfahrung in die vollelektrische Serie. Das zeigt sich auch in den Ergebnissen. Während Mercedes die Saison mit einem Doppelsieg in Berlin auf Rang 3 der Teamwertung und mit Stoffel Vandoorne als Vizemeister beendet, landet Porsche auf Rang 8 der Teamwertung. „Alles in allem können wir mit unserem Saisonabschluss und unseren finalen Platzierungen in der Meisterschaft zufrieden sein. Aber es ist auch klar, dass wir in der Saison 7 weitere Fortschritte erzielen müssen, um die Lücke zur Spitze zu schließen“, sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. „Zum Abschluss möchte ich DS Techeetah und António Félix da Costa herzlich zum Gewinn der beiden Titel gratulieren: in dieser Saison haben sie die Messlatte gelegt, die sich jeder zum Ziel gesetzt hat.“

Porsche hatte sich vor der Rookiesaison Podestplätze als Ziel gesetzt, André Lotterer konnte mit zwei zweiten Plätzen Vollzug melden. Für die kommende Saison ist die Zielsetzung höher: „Wir haben viele Erfahrungen gesammelt, die uns für die bevorstehenden Aufgaben noch stärker machen werden. Fest steht: Porsche fühlt sich in der Formel E wohl“, sagt Porsche-Motorsportchef Fritz Enzinger. Und: „Unser Ziel für die neue Saison sind Siege.“ Um das zu erreichen ändert Porsche sein Fahrer-Lineup: Neel Jani verlässt das Team und wird durch Pascal Wehrlein ersetzt, der bis vor der Rennpause im März im Mahindra-Cockpit saß. „Wir freuen uns sehr, Pascal in der Porsche-Familie begrüßen zu dürfen. Er hat in seinen jungen Jahren viel Erfahrung in unterschiedlichen Rennserien gesammelt und dort immer wieder glänzen können“, sagt Enzinger. „Gleichzeitig bedanken wir uns bei Neel Jani für seinen außerordentlichen Einsatz. Er hat einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklungsarbeit für unser Formel-E-Projekt geleistet und damit großen Anteil an den Erfolgen des TAG Heuer Porsche Formel-E-Teams in der abgelaufenen Saison.“

Das Fahrerkarussell dreht sich

Direkt nach Saisonschluss hat das Fahrerkarussell in der Formel E bereits ordentlich Tempo aufgenommen:

  • Felipe Masssa verlässt Venturi.
  • Sam Bird wechselt nach sechs Jahren von Virgin zu Jaguar.
  • Birds Cockpit im Virgin-Boliden übernimmt Nick Cassidy, der beim diesjährigen Rookie-Test in Marrakesch die schnellste Zeit auf die Bahn brachte.
  • Mahindra startet mit einem völlig neuen Fahrerduo, denn neben Wehrlein verlässt auch Jerôme D’Ambrosio das indische Team. Erster Mahindra-Neuzugang ist Alexander Sims, der in den vergangenen beiden Saisons Formel-E-Erfahrung im BMW-Boliden gesammelt hat .

Final ist das Fahrerfeld knapp fünf Monate vor Saisonbeginn im Januar 2021 aber noch nicht.

Wird René Rast nach den guten Ergebnissen in Berlin weiterhin im Audi-Cockpit sitzen? Findet Daniel Abt nach seiner unglücklichen Aktion bei der virtuellen ABB Formula E Race at home Challenge ein neues Team? 

Dass die Formel E spannenden Rennsport bietet, zeigt auch das mediale Interesse. Ab der kommenden Saison überträgt ProSiebenSat.1 alle Rennen live. Die „ran“-Motorsport-Crew von Sat.1 wird bei den Rennen vor Ort sein und die Fans mit allen Neuigkeiten und Reaktionen aus dem Fahrerlager versorgen.

2021: 14 Rennen in 12 Metropolen

Der vorläufige Rennkalender der siebten Formel-E-Saison steht schon fest. Am 16. Januar starten die zwölf Teams und 24 Fahrer in Santiago de Chile (Chile) in die Saison 2021, die 14 Rennen in 12 Metropolen umfasst. Auch Berlin steht wieder im Kalender – wie bislang in jeder Formel-E-Saison. Die deutsche Hauptstadt ist damit auch die heimliche Formel-E-Hauptstadt.

Formel E Saison 2019/2020: alle Rennen, alle Ergebnisse

 

 

Franziska Weber