edition motorfuture: KING > Folge 30

Eigentlich müsste der Kerl ja bei ihm antanzen. Brav antreten, eine Stunde im Vorzimmer warten, dann den Kotau machen, die Weisung in Empfang nehmen und wieder abzischen.

Eigentlich.

Aber was heißt das schon: eigentlich.

Eigentlich ist ja nur die adverbiale Verbrämung der Unverbindlichkeit und Orientierungslosigkeit unserer Zeit. Jeder nach seiner Fasson. Jeder und jede und alle miteinander, wie es gerade passt. Redefreiheit, Meinungsfreiheit. Wahlrecht für jeden Kretin. Kalter Fettgestank über den Stammtischen, seit es durchgeknallten Egozentrikern erlaubt wird, in lächerlichen Volksbefragungen hanebüchene Forderungen wie ein Rauchverbot in geschlossenen Räumen durchzusetzen. Nicht, dass es ihm etwas ausmacht. Er raucht seine Cohiba wo immer ihm der Sinn danach steht. Wenn dieser alte Mann, den sie, nachdem er in Deutschland die nachhaltige Schuldenpolitik eingeführt hat, allen Ernstes als Weltökonom verehren, wenn sich also dieser alte Mann in den Studios der öffentlich-rechtlichen Sender vor laufenden Kameras eine Zigarette nach der anderen reinziehen kann, dann wird er wohl bei Sale e Tabacchi in der Rudi-Dutschke-Straße ein opulentes Mahl mit einer Cohiba Club abrunden dürfen. Gäste, die sich gestört fühlen, können ja rausgehen. Ist ihm sowieso lieber. Es geht aber keiner raus. Die Leute tuscheln, wenn er mit seiner Entourage einläuft, Personenschützer vorn, Personenschützer hinten und jeweils einer, der die Flanken abdeckt. Eigentlich ist Scheiße. Jeder macht dann, was er will. Das hat ihm früher schon nicht gepasst, als sie die Häuser der Spekulanten besetzten. So eine Besetzung – das war ein militärisches Unternehmen, das Hingabe verlangte, Disziplin, Unterordnung. Wo wären wir damals hingekommen, wenn jeder besetzt hätte, wo es ihm gerade einfiel und wie es gerade passte?

Günther, dieser Streber. Treibt sich jetzt seit über drei Jahrzehnten in der Politik herum und macht immer noch einen auf Moral. Grüne Werte hier, Basisideologie dort und das Parteiprogramm als Neues Testament, mindestens. Und dazu das widerliche Gutmenschentum, das zehn Kilometer gegen den Wind nach Brokkoli stinkt und nach Lauch, gedünstet natürlich.

Scheiße!

Schneider fühlt sich den ganzen Tag schon exakt so wie er seit frühester Herrgottsfrühe aus der Wäsche schaut. Griesgrämig, beleidigt, verdammt nochmal. Schlecht gelaunt. Er kann sich ja selbst kaum anschauen bei seiner Rasiermesser-Rasur vom Allerfeinsten – schärfster Solingen-Stahl mit herrlichem Perlmuttgriff, und die Rasierseife bezieht er aus dieser Spezialfabrik in der Provence, wo die Römer schon Schaum schlugen, als sich die teutonischen Kameraden in den Wäldern noch gegenseitig Holzknüppel über die Schädel zogen. Okay, nichts gegen einen ordentlichen Holzknüppel, vulgo Baseballschläger, aber diese ganze Nummer ist doch eine peinliche Provinzposse, oder? Dass ausgerechnet die Karre dieses blasierten Kriegsgewinnler-Erben Stan King in die Luft fliegt wundert doch wirklich niemanden. Wahrscheinlich eine Feindesliste fett wie das Berliner Telefonbuch. Solche Leute sind doch verhasst ohne Ende. Reich, auf Rosen gebettet, rücksichtslos. Ja, der Karl-Heinz, der steht auf den King. Wenn dieser Billionär anruft, dann unterbricht der Karl-Heinz schon mal eine Kabinettssitzung. Der Stan! Wird vermutlich wieder mal auf irgendeinen sozialen Friedhof ein paar zig Millionen scheißen. Der Stan, das ist vielleicht ein schräger Vogel, hahaha… Aber ein Guter ist das, echt ein Guter. Scheiß‘ auf die Guten! Er, Schneider, ist Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und damit ein Wichtiger, ein echt Wichtiger. Und jetzt soll er mit Günther, dieser Fundi-Flasche, über ein brennendes Auto reden. Bufff!! Das passiert schon mal, dass so eine Karre plötzlich in Flammen steht… Ausgerechnet mit Günther, diesem Büroklammer-Sortierer. Gut, John persönlich hat ihn in dieser Angelegenheit angerufen. Aber das macht die Sache nun wahrlich nicht besser. Sag‘ deinen Freunden da vor Ort mal, sie sollen Feierabend machen. Einfach mal die Füße auf den Tisch legen. Nicht immer im großen Bottich rühren. Die Scheiße wird schon von selber trocken. Das macht die Sache nun wirklich nicht besser. Er kann John ja wohl kaum sagen, was Sache ist: Dass das hier nämlich nicht Amerika ist. Und dass wir es hier nicht mit dem FBI und auch nicht mit der CIA zu tun haben, sondern mit der ganz normalen Bullerei. Und nur so nebenbei: mit der deutschen Bullerei. Hier wird nämlich nichts unter den Tisch gekehrt, John, hier wird gearbeitet. Und zwar mit Disziplin und nach Recht und Gesetz, und zwar so lange, bis die Arbeit beendet ist. Soll er das ernsthaft seinem amerikanischen Kollegen sagen, dem Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, dem Außenminister der Supermacht also, die der Welt sagt, wo es lang geht, und er, Schneider, ist nebenbei mit dabei, wenn die Weltmacht der Welt sagt, sagen muss, wo es lang geht… Oh nein, das wird er ganz bestimmt nicht tun, denn John ist nicht nur sein persönlicher Freund, John und sein Chef, dieser gottverdammte Wichtigtuer Brent Oliver, sind selbstverständlich auch die allerbesten Buddys von Karl-Heinz, und Karl-Heinz, der Chefkoch der wichtigen Europa-Filiale, reagiert mitunter impulsiv, wenn seine Kellner die Glocke aus der Küche überhören.

Und außerdem, na klar, würde John jeden konstruktiven Debattenbeitrag sofort und selbstverständlich mit diesem ganz speziellen Pawlowschen Naserümpfen quittieren, soll heißen, er würde ganz einfach und ganz schnell mal in die geräumige Klischeetruhe aus stabilem deutschem Eichenholz greifen: Aha, Ordnung und Disziplin, Recht und Gesetz, bis die Arbeit getan ist… Verstehe, haha. Damit habt ihr Jungs schon ganz andere Probleme gelöst, hahaha, der Ofen muss rauchen, hahaha, ist es nicht so?

Und Karl-Heinz würde ihn zur Seite nehmen und sagen: Sach mal, Alter, willst du jetzt große Politik machen, oder willst du Zimperliese spielen?

Nein, dann lieber das Gespräch mit Günther.

 

⇒ Folge 31 morgen bei motorfuture

 

 

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