edition motorfuture: KING > Folge 18

er Detektiv nickte und erhob sich für einen Mann seines Alters und seiner Gewichtsklasse erstaunlich geschmeidig.  „Na dann schönen Dank.“

„Keine Ursache.“ Der Notar hatte sich ebenfalls erhoben und bot jetzt geschäftsmäßig seine rechte Hand an. Sein Blick pendelte zwischen dem Smartphone, das auf dem Schreibtisch blinkte, und dem stämmigen Besucher. Dann sagte er: „Ich bin froh, Herr Teufel, dass es der Hund so gut getroffen hat.“

 

Verdammt.

Teufel war nicht wählerisch, aber langsam wurde es selbst ihm zu viel. Er fühlte eine bislang unbekannte Müdigkeit, und er wusste, es war nicht gut, in seiner Situation müde zu werden.

Das Theater mit Monika machte die Sache nicht besser. Private Probleme hatten aus der unkomplizierten Liebhaberin innerhalb weniger Wochen zunächst ein Nervenbündel und dann die anhänglichste Frau der Welt gemacht. Monika Trauernichts Ehemann hatte die Scheidung eingereicht – „Wegen dieses jungen Flittchens, das Schwein!“ –, und nun suchte sie selbst neuen Familienanschluss.

Das aber war nicht der Deal gewesen.

Willi wusste es, Monika wusste es auch, aber nun sollten die Karten neu gemischt werden. Plötzlich sprach sie von Liebe, von Vertrautheit, von Geborgenheit. Ja im Bett, dachte Willi. Alles war besprochen gewesen, und plötzlich war die Abmachung angeblich nichts weiter als ein weiterer bitterer Beleg für männliche Verantwortungsflucht und teuflischen Egoismus.

Verdammt.

„Du bist ebenfalls ein Schwein“, hatte Monika vor wenigen Tagen aus heiterem Himmel erklärt, die böse funkelnden Augen voller Hass und das hübsche Gesicht eine Fratze.

„Selbstverständlich“, hatte Willi mit Ruhe in der Stimme und Zorn in der Seele geantwortet.

Nie zuvor hatten sie gestritten. Sie hatten sich geliebt, und sie hatten sich gemocht, und sie hatten sich verständig unterhalten. Jeder hatte mit dem anderen geredet, und jeder hatte dem anderen zugehört. Und danach war jeder seiner Wege gegangen. Monika war nach Hause gefahren, nach Reinickendorf zu ihrem Polizisten-Ehemann mit Pensionsansprüchen, und Willi war allein zurückgeblieben (im eigentlichen Sinn jedenfalls).

Das war der Deal gewesen.

 

Monika Trauernicht stand vor der Tür, und ihr Versöhnungsangebot waren eine zerknirschte Miene, zwei Flaschen Pfälzer Riesling und neue Wäsche am Leib. „Die wird dir gefallen, mein Satansbraten“, sagte sie aufgekratzt.

„Ganz bestimmt“, sagte er matt.

„Ich hab‘ an der Tür geklingelt“, sagte sie triumphierend und wedelte mit dem nicht benutzten Haustürschlüssel vor seiner Nase herum.

„Ja, das ist mir aufgefallen, deshalb habe ich dir auch geöffnet.“

„Geöffnet, was…“

„Na, die Tür.“ Teufel war unkonzentriert. Er schaute auf die Filzpantoffeln hinunter, die er im Bootshaus trug, Pantoffeln wie bei einer Schlossbesichtigung. Die würde er bald nicht mehr brauchen.

„Geöffnet, mein Schatz“, korrigierte die Frau und umarmte den Mann so ungestüm und linkisch, wie ein Kindergartenkind sein liebstes Stofftier umklammert.

Böser Teddy, guter Teddy.

„Das ist ein Zeichen. Es soll heißen: Ich respektiere deine Privatsphäre!“

„Natürlich tust du das.“

Teufel widerstand dem Impuls, der Umarmung zu entgehen, und er spürte die weiche Weiblichkeit, die gegen seinen Körper drückte, und er roch Monikas Duft, und er nahm die beiden Weinflaschen und sagte: „Die müssen in den Kühlschrank.“

„Und ich muss ins Bett“, sagte die Frau und verschwand im winzigen Schlafzimmer des Bootshauses mit den Bullaugenfenstern zur Havel hin.

Sie respektiert deine Privatsphäre.

 

Danach:

Guter Sex, schlechter Sex…

Sex istNa ja.

Der eigene Körper ist der größte Feind des jungen Mannes, und wenn du Frieden geschlossen hast mit diesem Feind, bist du alt geworden, mein Freund, ein alter Mann.

Danach: diese und jene Gedanken.

Teufel hörte seinen flachen Atem.

Es wäre besser, ganz mit dem Rauchen aufzuhören.

Er spürte den Atem der Frau auf seiner Brust. Sie tat ihm leid in ihrer Verzweiflung. Er hatte sie ins Herz geschlossen, aber er liebte sie nicht. Er spürte ihre Hand an seiner schlaffen Männlichkeit.

Material wie ein alter Feuerwehrschlauch.

Monika war zärtlich. Sie hatte ihre Fingernägel in einem dunklen Rot lackiert.

Sie lackiert ihre Nägel für dich.

Sie krault dir die Eier.

Du möchtest alleine sein.

„Du bist so still“, sagte sie.

„Ich bin ganz ruhig“, antwortete er.

Du bist nicht ruhig. Das Gegenteil ist der Fall. Du machst dir Sorgen.

„Du bist nicht ruhig, du bist besorgt. Worüber machst du dir Sorgen?“

„Nein, mein… Schatz. Ich bin nicht besorgt. Worüber sollte ich mir Sorgen machen?“

Natürlich spürt sie, dass du Sorgen hast.

Sie kennt dich, auch wenn du es nicht wahrhaben willst.

Ein zufriedener Teufel liegt nach einem guten Fick anders auf dem Bett als ein beunruhigter Teufel nach einem schlechten Fick.

„Das Geschäft geht schlecht, ist es das?“

„Ja, das heißt, nein.“

„Ja oder nein?“

Mein Gott, der Hund… Den habe ich ganz vergessen…

Erzähle ihr von dem Hund, das lenkt sie ab.

Nein, erzähle ihr nicht von dem Hund. Sonst träumt sie womöglich noch von einem gemeinsamen Leben mit einem Jack Russell Terrier.

„Gestern wurde mein völlig demoliertes Girokonto mit zehn Tagessätzen Vorschuss aufgepäppelt.“

„Lass‘ mich raten.“

Die feuchte Frau löste sich von ihm und fingerte mit der rechten Hand nach der Zigarettenschachtel, dem Feuerzeug und dem Aschenbecher auf dem Fußboden. Teufel betrachtete ihre Schulter, ihr Haar und ihren Rücken.

Sie ist schön. In gewisser Weise.

Draußen spielte der Fluss an den Holzbohlen im Ufergrund. Schmatzende Geräusche wie von Saugnäpfen. Die Wildgänse riefen leise. Bald würden sie ihre Köpfe ins Gefieder betten. Das aufgeregte Abendgebet der anderen Wald- und Wasservögel. Teufel konnte die einzelnen Arten bis zum heutigen Tag nicht unterscheiden, geschweige denn benennen. Die Vögel und die Pflanzen hier draußen – warum hatte die Natur so viele Arten erschaffen? Die Natur in ihrer sinnlosen Vielfalt war unheimlich, und das Göttliche dieser Vielfalt war eine einschüchternde Geste. Die Frösche im Schlamm. Meterlange Zungen, die nach Fliegen schnappten. Willi hörte das Quaken, ein Konzert der Physik, durch die Luft getragen durch die Physik, aufgefangen und physikalisch weiter verarbeitet von winzigen Membranen seines Trommelfells und neuronal in seinen Bewusstseinsstrom gespült, auch dieser Transport ein physikalischer Vorgang, befeuert mit dem Treibstoff der Chemie, den sein Körper mit unvorstellbarer Präzision produzierte. Hormone, Transmitterstoffe, Schleim und Blut. Immer die richtige Dosis zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Der Frosch, die Physik, der menschliche Körper, beseelt durch einen Geist namens Bewusstsein. Das waren beunruhigende Zeichen einer Wirklichkeit, deren Ursprung ihm und dem übrigen Rest der Menschheit für immer verschlossen bleiben würde. Wir sind Bewohner einer Modelleisenbahn, und die Kinder, die mit uns spielen, freuen sich, weil wir so böse sind. Oder sind die Kinder so böse und werfen uns wie Zinnsoldaten durchs Zimmer? Die Brise vom Wasser her. Das warme Abendlicht flutete die Bullaugen und tauchte die blauen Wände des Zimmerchens für die schönsten Minuten des Tages in gelbes Rot.

Acht Quadratmeter Frieden, und die Frau an seiner Seite schwieg und rauchte.

Dann sagte sie: „So viel Geld kommt normalerweise nur aus Stuttgart.“

„Aus Berlin via Stuttgart.“

Die Frau schwieg. Sie lehnte mit dem Rücken an der schwedenblau gestrichenen Bretterwand hinter dem Bett. Sie rauchte langsam, Zug für Zug. Sie rauchte mit Genuss. Ihre schweren von der Sommersonne marmorierten Brüste zogen an den schmalen Schultern.

Du willst eigentlich nicht auf diese Titten verzichten.

„Es geht um das Bombenattentat, richtig?“

 

⇒ Folge 19 am Montag bei motorfuture

 

 

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