edition motorfuture: KING > Folge 42

Er sagte: „Fußball ist also eine Droge.“

„Fußball ist zunächst einmal ziemlich banal.“

„Das Leben ist banal. Alles ist banal. Sogar das Böse.“

Die Anwältin schwieg.

Der Detektiv wiederholte: „Fußball ist also eine Droge.“

„Das neue Opium fürs Volk, sagt Jürgen. So eine Art Crack.“

Willi nickte wieder. Er mochte Jürgen Toth. Jürgen war einer der wenigen Männer, die ihm nicht sofort auf die Nerven gingen. Jürgen Toth war ein Außenseiter wie er selbst. Und seine spöttische Souveränität war nicht Überheblichkeit, sondern die Selbstgewissheit, das Leben, diesen lächerlichen Abschnitt zwischen Geburt und Tod, verstanden zu haben, wenigstens in groben Zügen.

„Jürgen sagt, der Fußball ist für viele eine Droge. Und ist trotzdem gesellschaftlicher Kitt. Aber gerade deshalb hat er auch eine große Sprengkraft.“

„Der Fußball…“

Willi Teufel sah fragend über den Tisch.

„Der Fußball! Wenn du den Leuten den Glauben an die Grundehrlichkeit ihres simplen Spieles nimmst, sagt Jürgen, wenn du den Leuten den Glauben an diesen harmlosen Spaß nimmst, woran sollen sie dann sonst noch glauben?“

Willi nickte. Jürgen war ein vernünftiger Mann. Sein Beruf hatte ihn gelehrt, sein Denken in Argumente zu gießen und diese Argumente so in Worte zu fassen, dass es auch ein Gegenüber verstehen konnte, der nicht zu intellektuellen Höhenflügen neigte. Es lohnte sich also auf jeden Fall über einen solchen Satz nachzudenken.

„Grundehrlichkeit – hat er genauer erläutert, was er damit meint?“

„Er hat den Begriff nicht erläutert, er hat mich belehrt.“

„Das kommt dir nur so vor.“

„Glaubst du?“ Apollonia lächelte wieder. Sie dachte gerne an Jürgen. Gerade an diesem Platz, dem Platz ihrer Menschwerdung, der, wie sie gerade erfahren hatte, auch ein Platz der Entmenschlichung war. Natürlich! In Berlin war das keine Überraschung. Nur, dass das früher kein Thema gewesen war. Die Stalinisten im Osten der Stadt, das war ein Thema. Und dass die Apo-Jünger die Friseure arbeitslos machten – das war im Westen ein Thema. Auf ihren Lieblingsplatz, den Jürgen in Anspielung an ihren Vater („Apo, meine Prinzessin!“) als Platz der Königin, formerly known as princess bespöttelte, waren lange Schatten gefallen.

„Willst du meine Antwort wirklich hören?“

„Rhetorische Fragen benötigen keine Antworten.“

„Da hast du ja nochmals Glück gehabt.“ Zu viele Worte um Nichts, dachte Willi. Er sagte: „Die Grundehrlichkeit des Massenphänomens Fußballsport – das war unser Thema.“

„Willi hat den roten Faden in der Hand!“

Apollonias Berliner Tonfall balancierte gerne auf dem Hochseil der Unverschämtheit.

„Also, mein Detektiv, pass‘ mal auf, die Sache ist die! Sagt jedenfalls Jürgen, mein Denker und Lenker des Stuttgarter Merkur! Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ja.“

Teufel hatte sein Telefon aus der Tasche gezogen und begonnen, seine Mails zu checken. Die Anwältin, dieses verzogene Luxusweibchen. Manchmal ging sie ihm ganz gewaltig gegen den Strich.

Apollonia Toth sagte: „Also der Fußball! Elf Leute spielen gegen elf Leute. Ein Schiedsrichter und zwei Linienrichter regeln das Spiel. Die Spieler foulen und tricksen, die Schiedsrichter machen kleinere und größere Fehler… Das Spiel ist voller Emotionen… Aber keiner der Akteure ist im Wortsinn unfair oder betrügt gar mit voller Absicht. Das ist die Grundehrlichkeit des Fußballs, sagt Jürgen. Der Deal ist, sagt Jürgen, dass es zwar zur Sache gehen kann, bis die Fetzen fliegen – aber niemals aus bösem Willen. Deshalb, sagt Jürgen, lieben die Leute den Fußball so. Der Fußball ist wie das richtige Leben! Aber unter dem Strich geht, anders als im richtigen Leben, beim Fußball alles mit rechten Dingen zu!“

 

 

Kapitel 12

Professor Pawelke war kurz angebunden. Er deutete einen Diener und einen Handkuss an, als er die Anwältin begrüßte, und den Detektiv bedachte er mit einem markigen Händedruck und einem prüfenden Blick. Eine sparsame Geste bedeutete den Gästen, Platz zu nehmen.

„Kommen Sie gut voran?“

Der Aufsichtsratsvorsitzende des 1. FC Borussia fixierte die beiden Besucher jeweils exakt zwei Sekunden lang, um den Blick dann an die geschlossene Tür zu heften. Seine Stimme war eine leise Spur zu laut, aber erstaunlich jung.

Pawelke hob die linke Hand, als Will Teufel zu einer Antwort ansetzte: „Um es vorweg zu sagen, Herrschaften…“ Er unterbrach sich, und ein charmanter Zug spielte um seinen Mund: „Ist es gestattet, verehrte gnädige Frau, wenn ich Sie in diese, nun, wie soll ich sagen, ganz und gar unzeitgemäße, um nicht zu sagen politisch unkorrekte altmodische Anredeform mit einbeziehe?“

Apollonia lächelte huldvoll zurück.

„Nun, Herrschaften, um es vorweg zu sagen, ich habe selbstverständlich vollstes Vertrauen in Ihre Arbeit, in Ihr Engagement, in Ihre Professionalität.“ Wie ein gütiger Herr, der gerade zwei Dienstboten vergattert, bedachte er Toth und Teufel mit aufmunternden Blicken. „Aber die Causa King scheint ganz offensichtlich Kreise zu ziehen, die sich selbst meinen Blickwinkeln entziehen.“

⇒ Folge 43 morgen bei motorfuture

 

 

KING. Projekt6 Band 1.

demnächst als eBook bei Kindle