Nach der Saison ist vor der Saison

Die Formel E startet im Januar in ihre zehnte Saison, die Vorbereitungen der Teams laufen bereits auf Hochtouren. Ein Besuch bei Nissan in Le Mans.

Elf Teams und 22 Fahrer starten am 13. Januar 2024 in Mexiko Stadt (Mexiko) in die zehnte vollelektrische Saison, der Vorsaison-Test findet bereits vom 24. bis 27. Oktober 2023 in Valencia (Spanien) statt. 16 weitere Rennen stehen im vorläufigen Saisonkalender – erstmals gibt es ein Rennen in Tokio (Japan). Die Formel E verändert ihren Saisonkalender jährlich, die bisherigen 116 Formel-E-Rennen fanden in 30 unterschiedlichen Metropolen statt, einzig Berlin war in jeder Saison Austragungsort von mindestens einem Rennen.

Zur Erinnerung: Formel-E-Chef Alejandro Agag und sein Team hatten sich bei der Gründung ein neues Konzept für die Rennserie überlegt, das neue Zielgruppen ansprechen sollte. Das Ergebnis: Formel-E-Rennen sind Tagesevents auf temporären Stadtkursen, die den Rennsport zu den Zuschauern bringen und viel Rahmenprogramm für die gesamte Familie bieten sollen.

Petrolheads und Laufkundschaft

Bleibt die Frage, ob die Idee funktioniert. Denn obwohl die Serie bereits vor neun Jahren in ihre erste Saison startete, hinkt das Zuschauerinteresse immer noch den Erwartungen hinterher.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Echten Petrolheads fehlen vor allem der Sound und die Geschwindigkeit. Und für Gelegenheitszuschauer ist die Serie sehr komplex und durch Zusatzelemente wie zum Beispiel den Attack-Modus nicht selbsterklärend. Und auch andere wichtige Reglementdetails erschweren den Durchblick: Zum Beispiel das Energiemanagement, die streng limitierten Testtage im Formel-E-Boliden, die jährlich wechselnden temporären Stadtkurse und die fehlenden Telemetriedaten während der Rennen. Das sind Herausforderungen für die Teams, die die Rennserie fürs Publikum so komplex machen.

Technologietransfer, Marketinginstrument

Wie in jeder Motorsportserie ist der Technologietransfer von der Rennstrecke in die Serienproduktion das Ziel der Hersteller, auch bei der Formel E ist die Vermarktung der neuen Antriebsart ein wesentlicher Faktor. 

Beispiel Attack-Modus, den die Fahrer pro Rennen in der Regel zweimal aktivieren müssen und der die Leistung der Formel-E-Boliden temporär um 50 kW auf 350 kW steigert. Das ist natürlich keine Spielerei, sondern ein Plädoyer für den Elektromotor.  „Der Attack-Modus zeigt, dass der gleiche Motor mit mehr Leistung fahren kann“, sagt Nissan-Teamchef Tommaso Volpe. „Das ist ein einfacher Weg, die Flexibilität des Elektromotors zu kommunizieren.“

Effizienz und Performance

Nissan ist eines der insgesamt sechs Herstellerteams in der Formel E. Die Japaner starten seit der fünften Saison in der vollelektrischen Rennserie, zuerst zusammen mit Teampartner e.dams, seit vergangenem Jahr als Herstellerteam. „Die Formel E ist die perfekte Plattform, Nissan verkauft überall dort Autos, wo Rennen sind“, erklärt Teamchef Tommaso Volpe und ergänzt: „Diese Kombination von Effizienz und Performance gab es im Motorsport noch nie, deshalb ist der Sport so wichtig für die Automobilindustrie.“

60:40 und 40.000 bis 50.000

Die 22 Formel-E-Boliden der dritten Generation starten ihre Rennen mit 60 Prozent der Energie, die sie benötigen, um das Ziel zu erreichen. Die restlichen 40 Prozent müssen die Fahrer während der Rennen rekuperieren. Das Energiemanagement ist deshalb ein, wenn nicht der Schlüssel zum Erfolg.

Vorsimulationen vor den Rennen sind deshalb einer der zentralen Punkte der Vorbereitung. „Wir simulieren 40.000 bis 50.000 Rennszenarien vor einem Rennen“, sagt Nissan-Formel-E-Team-Director Dorian Boisdron. Dabei handelt es sich immer um „Was-passiert-wenn“-Szenarien – zum Beispiel: Was passiert, wenn man von der Poleposition startet? Was passiert, wenn ich von ganz hinten starte? Oder: Was passiert, wenn es eine frühe Safety-Car-Phase gibt? „Eine der größten Herausforderungen ist es, so gut vorbereitet am Rennwochenende anzukommen, dass das Setup bereits beim ersten Training passt und wenig angepasst werden muss“, sagt Dorian Boisdron. Weil das komplette Programm – Training, Qualifying und Rennen – an einem Tag abgespult wird, haben die auf 30 Personen limitierten Rennteams zwischen den einzelnen Sessions nur wenig Zeit für Abstimmungsoptimierungen. Parallel zu den Teams an der Strecke arbeitet bei Nissan deshalb ein Team am Teamstandort – bisher in Le Mans, ab der kommenden Saison in der Nähe von Paris – , das die Daten von der Rennstrecke auswertet und das Setting mithilfe des Simulators optimiert. Die so ermittelten Daten können dann an der Strecke in die Software der Boliden eingespielt werden. „Einen akkuraten Simulator zu entwickeln ist deshalb einer der Schlüsselpunkte“, sagt Boisdron.

Eine weitere Schwierigkeit sind die fehlenden Telemetriedaten während der Rennen. Die einzige Verbindung zu Auto und Fahrer besteht per Funk, der allerdings öffentlich für alle Teams und Zuschauer hörbar ist. Die Daten werden deshalb verschlüsselt vom Fahrer an den Renningenieur weitergegeben. Vorher simulierte, geprobte und ausgemachte Rennstrategien können so kommuniziert werden.

Stadtkurskonzept mit vielen Herausforderungen

Die Macher der Formel E haben ein Rennformat entwickelt, bei dem Training, Qualifying und Rennen an einem Tag stattfinden. Die Komprimierung ermöglicht die Organisation der Läufe auf engen, temporären Stadtkursen, die die Rennen zu den Zuschauern bringen und die Technik auf den Straßen unter Beweis stellen, auf denen sonst (im besten Fall) Elektroautos unterwegs sind.

Für die Zuschauer ist das ideal, die Teams stehen aber vor allem bei neuen Stadtkursen vor vielen Herausforderungen. Denn obwohl die Technik eine sehr präzise Vorsimulation möglich macht, sehen Fahrer und Ingenieure die exakte Rennstrecke erst am Rennwochenende – wo zum Beispiel die Mauern stehen, die die engen Stadtkurse begrenzen. „Neue Strecken sind immer eine Herausforderung, und obwohl wir Modelle der Strecken haben, gibt es vor Ort oft noch Überraschungen“, sagt Dorian Boisdron. Und: „Wegen der begrenzten Testtage im Auto setzen wir vor allem auf unsere Erfahrung, unsere bisherigen Rennerfahrungen sind unbezahlbar.“

FIA-WM

Bleibt der Kampf um die begehrten Cockpits. Seit der siebten Saison fahren die Teams und Fahrer um den FIA-Weltmeistertitel. „Als ich mir die Konkurrenzfähigkeit, die Hersteller, die Fahrer, das Level der Serie und die Rennstrecken angeschaut habe, wusste ich, ich muss dabei sein“, beschreibt Oliver Rowland seinen Einstieg in die Formel E im Jahr 2018. Zusammen mit Sacha Fenestraz bildet Rowland in der zehnten Formel-E-Saison das neue Nissan-Fahrerduo. „Ich glaube, in den nächsten fünf, sechs, sieben Jahren wird es eine große Serie sein. Das Level der Fahrer ist unglaublich“, sagt Fenestraz: „Und die Möglichkeit Weltmeister zu werden, ist für einen Rennfahrer sehr wichtig.“

Nyck de Vries, Stoffel Vandoorne und Jake Dennis sind die bisherigen Formel-E-Weltmeister, in der Team-Weltmeisterschaft siegten bisher Mercedes (Saison 7 und 8) und Envision Racing (Saison 9).

Für die kommende Saison erhofft sich Rowland Podestplätze und vielleicht sogar einen Sieg: „Das Ziel sind Podiumsplätze und vielleicht ein Sieg“, sagt Rowland: „Das Ziel ist es, unser bestes zu geben. Wir sind alle sehr optimistisch, eine gute Saison zu haben.“

Franziska Weber