Wasserstoff? Läuft!

Während die Brennstoffzelle momentan noch im Windschatten des Batterie-Elektro-Hypes zündet, baut sich die Wasserstoffwelle im Mobilitätssektor langsam aber gewaltig auf. Beispiele aus der Praxis.

In der vergangenen Woche hat die kommende deutsche Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag vorgestellt: „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität“, ist darin zu lesen. Ebenso: „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen und die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen.“

Wichtiges Element Wasserstoff

Konkreter: Kohleaustritt bis 2030, Reduktion der CO2-Emissionen, Stromverbrauch zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien. Wasserstoff ist ein wichtiges Element in der Energiewende und deshalb will Deutschland dort Marktführer werden. Bereits 2020 hat die damalige Bundesregierung mit der Nationalen Wasserstoffstrategie einen Leitfaden mit 38 Maßnahmen zum Erreichen dieses Zieles definiert. Am 3. Juni 2020 wurde ein Zukunftspaket verabschiedete, das insgesamt 9 Milliarden Euro für Forschung, Entwicklung und internationale Partnerschaften bereitstellt.

Wasserstoff kann in vielen Bereichen eingesetzt werden, um CO2-Emissionen zu verringern. Das chemische Element lässt sich einfach aus Strom herstellen und ist ein individueller Energieträger. Der springende Punkt für den klimafreundlichen, grünen Wasserstoff: Der für die Herstellung benötigte Strom muss aus erneuerbaren Energien sein. Und genau das ist momentan das Problem, denn Geld regiert immer noch die Welt und die Herstellung aus erneuerbaren Energien macht die Wasserstoff-Produktion teuer und unökonomisch. Im Mobilitätsbereich ist das deutlich sichtbar, denn außer den Kosten spricht nicht viel gegen die Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie.

Die Brennstoffzellentechnik ist komplex, aber prädestiniert für den Einsatz in Fahrzeugen: Die Brennstoffzelle liefert elektrische Energie, indem sich der in Tanks an Bord gespeicherte Wasserstoff mit dem Sauerstoff aus der Umgebungsluft verbindet. Es wird dabei lediglich Wasserdampf und Kondenswasser abgeführt.

Keine Emissionen, viel Komfort

Brennstoffzellen-Fahrzeuge kombinieren die Vorteile von Elektrofahrzeugen mit dem gewohnten Komfort von Verbrennern. Die Reichweiten sind langstreckentauglich, die Tankstopps nicht länger als gewohnt. Und trotzdem fährt man emissionsfrei. Und für den Schwertransport gibt es noch einen weiteren wichtigen Vorteil: Gigantische Fahrbatterien mit entsprechenden Gewichten und Kosten sind hier kein Thema.

Doch sowohl das Angebot als auch die Nachfrage sind noch gering. Ende Juli 2021 haben die Elektroauto-Zulassungen in Deutschland erstmals die Millionenmarke geknackt, allerdings unter Einbeziehung sämtlicher Hybridvarianten. Lediglich 0,1 Prozent der Elektrofahrzeuge werden von einer Brennstoffzelle angetrieben. In Deutschland sind nur zwei Brennstoffzellen-Pkw erhältlich: Hyundai Nexo und Toyota Mirai. Und die Tankstellen-Infrastruktur ist, vorsichtig ausgedrückt, ein ausbaufähiges Projekt. Momentan gibt es in Deutschland 91 H2-Stationen, elf sind im Bau, sechs in Planung. Das klingt nicht schlecht, ist aber nur ein erster zaghafter Schritt in die Wasserstoff-Mobilität, zumal große europäische Gebiete – Frankreich, Spanien, Italien, Osteuropa – bislang Wasserstoffwüsten sind.

Fakt ist, die Automobilbranche befindet sich im Umbruch, und auch die Wasserstoffwelle im Mobilitätssektor baut sich langsam aber gewaltig auf. Beispiele aus der Praxis:

 

HYVIA

Hyvia will einen neuen Weg zur kohlenstofffreien Mobilität gehen. „Bei Hyvia geht es um konkrete Lösungen, um die Herausforderungen der grünen Wasserstoffmobilität und der Dekarbonisierung des Verkehrs zu meistern“, sagt Hyvia-Chef David Holderbach. Das im Juni 2020 von der Renault Group und Plug Power gegründete Wasserstoff-Joint-Venture hat bereits drei Brennstoffzellen-Fahrzeuge vorgestellt, die ab 2022 im Handel sein sollen: Master Kastenwagen H2-TECH, Master H2-TECH und Master City Bus H2-TECH.

Eine 33-kWh-Batterie und eine 30-kW-Brennstoffzelle treiben die Nutzfahrzeuge auf Basis des Renault Master an. Hyvia, dessen Name sich aus „HY“ für Wasserstoff und dem lateinischen Wort für Straße, „VIA“, zusammensetzt, forscht, entwickelt und produziert an vier Renault-Standorten in Frankreich: Villiers-Saint-Frédéric, Flins, Bailly und Gretz Amainvilliers.

Neben den drei Fahrzeugen bietet das Joint Venture auch Wasserstofftankstellen, Elektrolyselösungen, mobile Speicherstationen und Finanzierungsangebote für Wasserstofftankstellen oder -fahrzeuge sowie Wartungsservices innerhalb des Renault Netzwerks an.

 

Citroën ë-Jumpy Hydrogen

Citroën steigt mit dem Nutzfahrzeug ë-Jumpy Hydrogen in den Wasserstoff-Fahrzeug-Markt ein. 400 Kilometer  beträgt die Reichweite (laut WLTP) des Wasserstoff-Nutzfahrzeugs, das in Sevel-Nord in Frankreich produziert und im Stellantis-Wasserstoff-und-Brennstoffszellen-Kompetenzzentrum in Rüsselsheim (Deutschland) umgerüstet wird. „Mit seiner Architektur, die eine Wasserstoff-Brennstoffzelle mit einer Batterie kombiniert, bietet unser neuer Transporter das Beste aus beiden Technologien“, sagt Citroën-Direktor Laurence Hansen.

Der ë-Jumpy Hydrogen fährt vollelektrisch und profitiert von zwei Energiequellen: einer 45-kW-Brennstoffzelle und einer 10,5-kWh-Batterie, die als 50-km-Reserve dient und automatisch übernimmt, wenn der Wasserstofftank leer ist.

Die drei Wasserstofftanks und die Batterie sind im Unterboden verbaut — der Wasserstoff-Transporter bietet so das gleiche Raumangebot und Ladevolumen wie das Verbrennermodell.

 

Daimler Truck

Daimler Truck hat Ende Oktober die Straßenzulassung für ihren weiterentwickelten Wasserstoff-Lkw-Prototypen erhalten. Die Testphase des Mercedes-Benz GenH2-Truck läuft seit April 2021 auf abgesperrtem Firmengelände und kann jetzt auf öffentlichen Straßen weitergehen. Vorgestellt wurde der erste Daimler-Wasserstoff-Lkw im vergangenen Jahr, 2027 soll das CO2-neutrale Nutzfahrzeug in Serie starten und dann eine Reichweite von 1000 Kilometern mit einer Tankfüllung zurücklegen.

Produziert wird der Wasserstoff-Lkw in Wörth am Rhein. Das größte Daimler-Truck-Montagewerk setzt auf die CO2-neutrale Transport-Zukunft. „Wörth wird zum Dreh- und Angelpunkt für den Transport der Zukunft im Produktionsnetzwerk Mercedes-Benz Lkw“, sagt Produktionsmanager Sven Gräble. „Wir bündeln unser technologisches Know-how mit einer voll flexiblen und damit noch effizienteren Produktion, und das Ganze in einer CO2-neutralen, digitalisierten Fabrik mit entsprechender Logistik und Infrastruktur.“

Seit Oktober produziert das Werk den vollelektrischen Mercedes-Benz eActros, im kommenden Jahr folgt der eEconic. 

 

Toyota und CaetanoBus

Der portugiesische Bushersteller Caetano hat 2019 seinen ersten Brennstoffzellen-Bus vorgestellt, 2020 folgte der Marktstart des H2.City Gold. Toyota liefert seit Produktionsstart die Wasserstofftechnik für den emissionsfreien Bus. Brennstoffzellen-Stacks, Wasserstofftank und weitere Schlüsselkomponenten aus dem Toyota-Wasserstoff-Auto Mirai kommen zum Einsatz und ermöglichen eine Reichweite von 400 Kilometern. Die Tankzeit für den Brennstoffzellen-Bus liegt bei weniger als neun Minuten.

Seit Juli 2021 schmückt das Toyota-Emblem die emissionslosen Caetano-Busse H2.City Gold und e.City Gold (batterieelektrischer Stadtbus). So soll der Wiedererkennungswert bei europäischen Kunden gesteigert werden. „Das Co-Branding der emissionsfreien Busse von CaetanoBus zeigt das Vertrauen, das wir in unsere jüngste Investition und unsere langjährige Partnerschaft mit Caetano setzen. Es unterstreicht auch die Bedeutung, die Toyota der emissionsfreien Mobilität über den Pkw-Bereich hinaus beimisst“, sagt Toyota-Europa-Chef Matt Harrison.

 

Kia, Hyundai und Next Hydrogen

Die Konzernschwestern Kia und Hyundai wollen mit dem Wasserstoff-Elektrolyse-Spezialist Next Hydrogen kooperieren. Ziel der Zusammenarbeit ist die Entwicklung eines alkalischen Wasserelektrolysesystems, das die betriebswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff verbessert und die Stack-bezogenen Technologien vorantreibt.

Die Kooperationspartner wollen einen neuen Stack entwickeln, der mit hoher Stromdichte betrieben werden kann und so bei gleicher Fläche mehr Wasserstoff produziert. Hyundai und Kia liefern die Elektroden, Bipolarplatten und Stromabnehmer und werden die Leistungstests des neuen Stacks beaufsichtigen. Next Hydrogen wird seine Designtechnologie beisteuern. Ein Pilottest ist für das kommende Jahr geplant.

„Diese Partnerschaft ist ein weiterer Sprung nach vorn für unser Wasserstoffgeschäft und wird unser erster Schritt in den Markt der alkalischen Wasserelektrolyse sein“, sagt Hyundai-Vice-President Jae-Hyuk Oh „Wir glauben, dass unsere Technologie hervorragend zu der von Next Hydrogen passt. Diese Synergie wird uns helfen, das Ziel zu erreichen, unsere Kunden mit kostengünstigem grünem Wasserstoff zu versorgen.“

 

Iveco und Nikola

Iveco und Nikola haben im September 2019 ihre Partnerschaft bekannt gegeben. Zwei Jahre später eröffnen der italienische Nutzfahrzeughersteller und das US-amerikanische Start-up ihr 50.000 Quadratmeter großes Produktionswerk für batterieelektrische und brennstoffzellenbetriebene Lkw in Ulm. Die Produktion startet zum Jahresende, die ersten Elektro-Lkw Nikola TRE sollen Anfang 2022 an amerikanische Kunden ausgeliefert werden.

Im Rahmen der Werkseröffnung wurde auch ein Prototyp des Nikola-Brennstoffzellen-Lkw TRE (FCEV) vorgestellt, der ab Ende 2023 in die Serienproduktion starten und eine Reichweite von 500 Kilometern haben soll. Basis der emissionsfreien Lkw ist die Iveco-S-Way-Plattform mit einer von FPT Industrial mitentwickelten elektrischen Achse. Die Elektro- und Brennstoffzellentechnologie von Nikola sowie Schlüsselkomponenten des Partners Bosch komplettieren den Nikola TRE. Die neu entwickelte Plattform lässt sich sowohl mit der Brennstoffzellen- als auch mit der Batterietechnologie betreiben. „Dies ist ein weiterer wichtiger Meilenstein für Nikola bei der Umsetzung unserer Strategie und unseres Zukunftsbilds, ein weltweit führender Anbieter von emissionsfreien Transportlösungen zu werden“, sagt Nikola-Chef Mark Russell.

 

EKPO

EKPO Fuel Cell Technologies (EKPO) hat nach eigenen Angaben die Brennstoffzelle mit der höchsten Leistungsdichte am Markt her. Das von ElringKlinger und Plastic Omnium gegründete Joint-Venture präsentierte auf der diesjährigen IAA Mobility drei neue Brennstoffzellenstack-Plattformen für unterschiedliche Einsatzbereiche: Das PEM-Stackmodul NM5-EVO für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, das deutlich größere PEM-Stackmodul NM12 TWIN für Lkw, Bahn und Marine-Anwendungen und das 359-zellige NM12 SINGLE PEM-Stackmodul für Anwendungen mit hohem Leistungsbedarf. „Die Stacks, die wir auf der IAA Mobility ausstellen, sind in Bezug auf die absolute Leistung und Leistungsdichte die Benchmark und setzen internationale Standards“, sagte EKPO-Manager Julien Etienne in München.

 

Alstom

Der französische Konzern Alstom hat den ersten Wasserstoff-Zug in Salzgitter und Tarbes (Frankreich) entwickelt und gebaut. Vorgestellt wurde der emissionsfreie Zug 2016, ab 2018 absolvierte der Coradia iLint den ersten 530-Tage-Dauertest im Linienverkehr in Niedersachsen erfolgreich. „Unsere beiden Vorserienzüge des Coradia iLint haben in den vergangenen eineinhalb Jahren bewiesen, dass die Brennstoffzellen-Technologie im täglichen Fahrgastbetrieb erfolgreich eingesetzt werden kann. Damit sind wir ein wichtiger Impulsgeber auf dem Weg zur emissionsfreien und nachhaltigen Mobilität im Schienenverkehr“, sagte Alstom-Deutschlandchef Jörg Nikutta nach der erfolgreichen Testphase.

Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen LNVG zündet vor diesem Hintergrund die zweite Stufe ihrer Wasserstoff-Brennstoffzellen-Initiative: Von 2022 an werden 14 Coradia iLint-Serienzüge die Diesel-Triebzüge im Weser-Elbe-Netz ersetzen. Die LNVG investiert rund 81 Millionen Euro in das Projekt. Der Schienenfahrzeug-Spezialist Alstom übernimmt für einen Zeitraum von 30 Jahren die Instandhaltung der Fahrzeuge.

Für die Wasserstoff-Infrastruktur geht der Gas-Spezialist Linde in die Spur. Linde baut und betreibt für die Treibstoffversorgung der Brennstoffzellen-Zugflotte in der Nähe des Bahnhofs Bremervörde eine Wasserstofftankstelle. Mit einer Kapazität von rund 1600 Kilogramm Wasserstoff pro Tag handelt es sich um eine der nominell größten Wasserstofftankstellen der Welt.

 

Toyota Wasserstoffmotoren

Toyota erprobt Wasserstoffmotoren im Motorsport. Während Brennstoffzellenfahrzeuge in der Brennstoffzelle durch einen chemischen Prozess Wasserstoff und Sauerstoff in elektrische Energie umwandeln, verbrennen Wasserstoffmotoren dieses Gemisch. Vereinfacht: Das Triebwerk verwendet Wasserstoff statt Benzin und stößt dadurch keine CO2-Emissionen aus.

Beim diesjährigen 24-Stunden-Rennen in Fuji (Japan) ging erstmals ein Rennwagen auf Basis des Toyota Corolla an den Start, der während des Rennens mit Wasserstoff aus dem Fukushima Hydrogen Energy Research Field in Namie Town (Präfektur Fukushima) betankt wurde. Eine Markteinführung ist momentan nicht vorgesehen, das emissionsfreie Rennfahrzeug dient der Erprobung des Wasserstoffmotors.

Die Motorradhersteller Kawasaki und Yamaha prüfen den Einsatz eines Wasserstoffmotors in Motorrädern – weitere Zweiradhersteller wie Honda und Suzuki zeigen Interesse, sich dieser Forschungsinitiative anschließen.

 

Toyota Mirai und Hyundai Nexo 

Wasserstoff, Brennstoffzelle – im Personenwagen nur Zukunftsmusik? Mitnichten. Der Toyota Mirai ist bereits auf der Straße. Und auch beim Hyundai-Händler steht mit dem Nexo bereits ein Serienmodell dieser faszinierenden Interpretation der Elektromobilität.

Die Serienproduktion des Mirai startete Ende 2014. Seit Ende 2015 wird der futuristisch gezeichnete Mirai mit den riesigen Lufteinlässen in der Frontschürze auch in Europa angeboten und seit November 2020 hat Toyota eine neue Modellgeneration des Mirai am Start. Ehrgeiziges Ziel ist eine Jahresproduktion von 30.000 Exemplaren. Für den deutschen Markt gibt es ein interessantes Preisschild: 63.900 Euro. Damit kommen Käufer des neuen Mirai in den Genuss der Umweltbonus-Förderprogramme.

Auch Hyyundai produziert mit dem Nexo bereits die zweite Brennstoffzellen-Generation in Serie. Leistung: 120 kW (163 PS), Verbrauch nach WLTP-Norm: 0,95 kg Wasserstoff auf 100 Kilometer. Das Tankvolumen von 6,33 Kilogramm bringt also eine theoretische Reichweite von gut 650 Kilometern.

 

Land Rover

Und auch Jaguar Land Rover hinterlegt seine Visitenkarte im Wasserstoffclub. Die Briten entwickeln einen Prototyp des Land Rover Defender mit Brennstoffzellenantrieb. Der Wasserstoff-Defender soll noch in diesem Jahr seine ersten Proberunden auf der Straße und im Gelände drehen. “Wir sind uns bewusst, dass Wasserstoff eine wichtige Rolle im Antriebsmix der Zukunft spielt – und zwar über die gesamte Auto- und Transportindustrie hinweg”, sagt ein Firmensprecher.

Franziska Weber