Carsharing in der urbanen Echokammer

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft ein tiefes Loch.

45,8 Millionen Pkw sind in Deutschland zugelassen. Zusammen sind sie im vergangenen Jahr 625,6 Milliarden Kilometer gefahren – das sind knapp 15 Millionen Erdumrundungen. Ein Plus von 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Pro Pkw sind das summa summarum 14.015 Kilometer pro Jahr, 38,4 Kilometer pro Tag. Das subjektive Gefühl trügt also nicht, die Straßen werden voller. In der Bundesrepublik besitzen 58,85 Prozent der über 18-Jährigen einen privaten Pkw – gewerblich angemeldete Pkw sind hier nicht berücksichtigt.

Bei stetigem Wohnraummangel und überfüllten Großstädten ist genau das ein Problem. An Wochenenden und Feiertagen stehen die Autos auf den Landstraßen und Autobahnen, unter der Woche in den Innenstädten. Carsharing soll die Lösung sein. Teilen statt besitzen lautet das Motto: „Proud to share“. 1.715.000 Kunden sind bereits bei einem oder mehreren der circa 154 deutschen Carsharing-Anbieter mit 17.200 Fahrzeugen in 600 Städten angemeldet. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 455.000 Kunden. Ein guter Schritt in die Carsharing-Zukunft. Allerdings heißt das auch, dass nur 2,5 Prozent der über 18-Jährigen ihr Auto teilen wollen – wenn man die Zahlen auf die Gesamtbevölkerung bezieht.

Claudia Nobis vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sieht bei den 18- bis 60-Jährigen ein Carsharing-Potential von neun Millionen Kunden, das entspricht 19 Prozent der genannten Altersgruppe. Nobis erklärt die weit hinter den Möglichkeiten liegende Kundenanzahl damit, dass sich die „Mobilitätsnutzung sehr langsam verändert.“ Man muss aber beachten, dass Carsharing vor allem in Großstädten ein Thema ist. Der Bundesverband CarSharing e.V. (bcs) sieht das zwar anders, aber die Zahlen sprechen für sich: Die vier free-floating-Carsharing-Anbieter haben 1,26 Millionen Kunden in Deutschland. Das heißt, 73,5 Prozent aller Carsharer teilen sich in zwölf Großstädten 7800 Autos.

Beim Free-floating-Carsharing legt der Betreiber ein Geschäftsgebiet fest. Im gesamten Gebiet können die Kunden die Autos abholen und überall wieder abstellen – eine Ergänzung zu den Öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxen. „Flexibles Carsharing trifft den Nerv von Stadtbewohnern“, erklärt Patrick Tünkers von car2go beim IAA Symposium Carsharing. Und ergänzt: „Die Zukunft des Carsharing ist elektrisch.“ Die Flotte der Daimler-Tochter car2go fährt bereits in drei Städten mit 1400 Fahrzeugen voll elektrisch: in Stuttgart, Amsterdam und Madrid. 10.000 elektrische Fahrten zählt der Carsharing-Marktführer täglich. Weitere Standorte sollen langsam umgerüstet werden. Aus den vorhandenen Fahrzeugdaten kann und soll ausgelesen werden, wo Ladesäulen nötig sind. Bei car2go blickt man positiv in die elektrische Zukunft – kein Wunder, das klassische car2go-Auto Smart wird es ab 2020 nur noch mit elektrischem Antrieb geben. Zurückhaltender äußert sich Tünkers zu Expansionen in kleinere Städte, car2go will erst in den Großstädten profitabel werden: Zehn Mieten pro Tag dürfen nicht unterschritten werden.

Beim Bundesverband CarSharing hofft man auf weiteres Wachstum und somit auf eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Kunden. Multimodal heißt das Zauberwort der Zukunft. Im Klartext: Der Verbraucher nutzt mehrere Verkehrsmittel. Wenn man, wie der bcs, in Berlin oder einer anderen Großstadt sitzt, ist ein solch differenziertes Mobilitätsverhalten auch überhaupt kein Problem. Für circa 30 Prozent der Deutschen trifft das zu. Die restlichen 70 Prozent leben aber in Städten mit weniger als 100.000 Einwohnern.

Stationsbasiertes Carsharing soll hier die Lösung sein: Das Auto wird an ein und derselben Station abgeholt und zurückgegeben. Die 150 Anbieter mit 9400 Fahrzeugen an 600 Orten zählen 455.000 Kunden. Das Angebot wird vor allem für längere, zeitintensive und geplante Fahrten genutzt – anders als das Free-floating-Angebot, das vor allem spontan für kurze Innenstadtfahrten genutzt wird. Während sich die Free-floating-Anbieter auf Großstädte konzentrieren siedeln sich die stationsbasierten-Carsharinganbieter auch in kleineren Städten an. Allerdings stellt sich auch hier die Frage der Profitabilität. Je kleiner die Stadt, desto schwieriger das Geschäftsmodell. Denn eine gewisse Anzahl von Autos pro Stadt darf nicht unterschritten werden, um die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen. Und die sind bei den meisten stationsbasierten Carsharingnutzern sehr ähnlich – an Wochenenden ist die Nachfrage größer als unter der Woche.

In ländlichen Regionen scheint deshalb nur eine Kombination aus privaten und gewerblichen Nutzern langfristig zum Erfolg zu führen. Die 94.000-Einwohnerstadt Flensburg macht es vor: 16 Fahrzeuge an sieben Stationen. Über 700 Flensburger nutzen das Angebot von cambio, das mit der Nord-Ostsee-Sparkasse und der Stadtverwaltung gewerbliche Kunden und Partner gefunden hat. Mit einer täglichen Auslastung von 7,5 Stunden schreiben die Carsharingfahrzeuge nach nur zwei Jahren schwarze Zahlen. Ein mögliches Konzept für andere Städte vergleichbarer Größe.

Aber auch ein klares Zeichen dafür, dass Carsharinganbieter in Großstädten und kleineren Städten unterschiedliche Konzepte anbieten müssen. Die beiden Carsharing-Varianten decken unterschiedliche Nutzen ab, sprechen deshalb unterschiedliche Kundengruppen an und sind unter verkehrspolitischen Gesichtspunkten unterschiedlich wirksam. Das flexible Free-floating-Stadtangebot wird meist als gute Alternative zu den öffentlichen Verkehrsmittel und Taxifahrten parallel zum eigenen Auto genutzt. Stationsbasiertes Carsharing zielt auf das Ersetzen des eigenen Pkw, da das Tarifmodell die Kosten eines eigenen Fahrzeuges unterschreiten.

Im Moment klafft noch ein großes Loch zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der Carsharing-Welt. Vor allem beim stationsbasierten Carsharing. Der Weg weg vom eigenen und hin zum geteilten Auto ist eben steiniger, als der Weg von den Öffentlichen Verkehrsmitteln hin zum Free-floating-Carsharingfahrzeug.

 

Franziska Weber