Waren bei der IAA eigentlich auch chinesische Hersteller am Start? Und wenn ja, welche?
Die Chinesen, raunten die Panikmacher vor 15 Jahren, sind die neuen Koreaner, die neuen Japaner. Das Reich der Mitte werde die Weltmärkte in ähnlicher Weise mit Automobilen fluten wie die ostasiatischen Nachbarn Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts. Gefällige Autos, solide Technik, gutes Preis-Leistungsverhältnis. China ist aber nicht Korea. Und schon gar nicht Japan. China ist ein riesiger Binnenmarkt. Mit einer enormen Bevölkerungszahl. Mit gigantischen Konsumbedürfnissen. Und mit einer Industriegeschichte, der – grob gerechnet – 100 Jahres Entwicklungszeit fehlen.
Chinas Autopracht? War bei der IAA in Halle 8 zu besichtigen. Ein neues Projekt heißt Wey, ein altes Chery. Hübsche SUVs von der Stange, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Man kann nur vermuten, was ihre Macher im Westen wollen – zuhause in ihrem Megamarkt haben sie eigentlich genug zu tun. Wey ist eine Tochtermarke der Great Wall Motor Company, die im vergangenen Jahr immerhin knapp 1,1 Millionen Autos produzierte – Stufenheck-Limousinen, SUVs und Pickups. Gemessen an den Weltmarktführern Volkswagen, Toyota, General Motors, Renault-Nissan oder Fiat-Chrysler spielt Great Wall in der Regionalliga.
Wey positioniert sich als „Chinese Premium SUV Pioneer“ und will zunächst auf dem Heimatmarkt den Topmarken aus Deutschland, Großbritannien, Japan und den USA Konkurrenz machen. Der Selbstanspruch verbindet die mächtigen Marketingwerte Tradition und Qualität. Wir wollen hier nicht den Oberlehrer spielen, aber die echten SUV-Pioniere brachten den Range Rover und den Cherokee (damals AMC, heute Jeep) vor knapp 50 Jahren an den Start. Und dass Premium ein Attribut des erhabenen Auftritts ist, der auf den Luxusmärkten lange reifen muss, weiß man zumindest beim zweiten IAA-Chinesen Chery. Das Staatsunternehmen, das neben SUVs und Transportern vor allem Klein- und Kompaktwagen für den chinesischen Geschmack anbietet, kooperiert in den Top-Segmenten mit altem englischem Adel (Jaguar Land-Rover), der seinerseits inzwischen in der großen ehemaligen Kolonie beim indischen Mischkonzern Tata Unterschlupf gefunden hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Great Wall-Marke Wey und Chery waren mit ihrer Präsenz in Frankfurt die winzige Spitze eines gewaltigen Eisbergs. In China kämpfen neben den führenden Traditionsunternehmen aus Japan, Europa und den USA – sie alle sind übrigens gezwungen, sich in Joint-Ventures mit einheimischen Unternehmen der chinesischen Führung unterzuordnen – rund 100 lokale und regionale Automobilhersteller um Kunden. Technik und Qualität sind teilweise robust, um es freundlich zu formulieren, aber für ein Leben auf dem Land abseits der Metropolen genau richtig. Ganz sicher werden die größeren China-Marken Absatz und Umsatz langfristig in den Entwicklungsmärkten suchen. Die chinesische Führung pflegt beispielsweise die wirtschaftlichen Potentiale des afrikanischen Kontinents mit Hingabe.
Apropos China: Volvo, das mittlerweile zur Geely Holding in Hangzhou in der Provinz Zhejang gehört, hat der IAA in diesem Jahr die kalte Schulter gezeigt. Borgward hingegen, ein Unternehmen des Nutzfahrzeughersteller Beiqi Foton Motors, der wiederum ein Unternehmen der Beijing Automotive Industry Holding ist, bezog in der alten neuen Markenheimat (das operative Management sitzt in Stuttgart) einen Stand zwischen SsangYong, Suzuki und Kia. Der neue Borgward ist ein SUV, natürlich. Auf der IAA stand eine Studie mit Elektroantrieb, natürlich. Niemand in China kennt den Namen Borgward. Praktisch niemand in Europa erinnert sich an den Namen Borgward. Ein heute 60-Jähriger Deutscher war vier Jahre alt, als die Bremer Wirtschaftswunder-Werke des Carl F.W. Borgward in den Ruin getrieben wurden. Der Absatz im Heimatmarkt der Geldgeber läuft schleppend. 100.000 Autos sollen im laufenden Jahr verkauft werden, die Rückkehr der Marke auf den deutschen Markt soll noch in diesem Jahr ein Modell mit einem Verbrennungsmotor bestreiten – ursprünglich sollte der neue Borgward in Europa nur elektrisch fahren.
Der Automobilmarkt ist erstaunlicherweise immer noch eine Wundertüte, die im Wirtschaftswundertüten-Land China immer wieder neu gefüllt wird. Nach 24 Millionen neu zugelassenen Personenwagen in 2016 prognostizieren Marktexperten für 2022 ein Potential von über 30 Millionen Neuwagen. Einen Grund dafür nennt die Studie auch: Die Chinesen wollen mobil sein, automobil. Die ganz Alten unter den Älteren werden sich erinnern: In Europa war es Mitte des vorigen Jahrhunderts genauso. Viele träumten damals von einem Käfer, manche sogar von einem Borgward.