Im Osten geht die Sonne auf

Der Volkswagenkonzern hat in Polen ein neues Werk eröffnet. Es ist weltweit die Nummer 123.

Die Konzerntochter Volkswagen Nutzfahrzeuge wird den neu entwickelten VW Crafter ab jetzt in der eigens dafür gebauten Halle bauen und nicht mehr, wie bisher, unter einem Dach mit dem Mercedes Sprinter. Das 800 Millionen Euro teure Werk in Września (Polen) kann bis zu 100.000 Fahrzeuge jährlich produzieren, macht 380 Fahrzeuge pro Tag, 17 pro Stunde. Kein Zweifel, die modernste Automobilfabrik Europas kann das leisten. VW will die Produktionsmöglichkeiten bereits 2018 ausschöpfen, im Dreischichtbetrieb sollen dann rund 2.400 Mitarbeiter beschäftigt werden. Momentan arbeitet nur eine Schicht (circa 800 Mitarbeiter) auf dem 220 Hektar großen Betriebsgelände, im nächsten Jahr sollen hier circa 60.000 Fahrzeuge entstehen. Ein realistisches Ziel. Im vergangenen Jahr wurden 50.000 Crafter verkauft, und um Synergieeffekte der Großfamilie zu nutzen, wird auch der baugleiche MAN TGE in der ein Kilometer langen und 500 Meter breiten Werkshalle in Westpolen gebaut. Im Jahr 2018 bereits 100.000 Fahrzeuge zu produzieren und dann auch noch zu verkaufen scheint trotz des wachsenden C-/D-Transportersegments allerdings ein hoch gestecktes Ziel. Aber VW ist zuversichtlich: im Osten geht die Sonne auf.

Dass das neue Werk in Europa steht, macht bei einem Crafter-Absatz von 80 Prozent in Europa absolut Sinn, die geografische Nähe Polens zu Deutschland und insbesondere zu Wolfsburg (circa 500 Kilometer) und Hannover (circa 560 Kilometer) sprechen gemeinsam mit dem niedrigen Lohnniveau für den gewählten Standort. Aus all‘ diesen Gründen steht der Produktionsstandort Polen bei deutschen Automobilherstellern momentan hoch im Kurs. VW begründet die Standortentscheidung offiziell allerdings nicht mit geringeren Lohnkosten, sondern verweist auf positive Erfahrungen, die man seit Anfang der neunziger Jahre in Polen gesammelt hat. Września liegt nur etwa 50 Kilometer östlich von Poznań, dort rollen der VW Caddy und der VW T6 vom Band. Das neue Crafter-Werk profitiert also von der Nähe des vor dreizehn Jahren eröffneten und deshalb bereits gut eingespielten VW-Werks. Momentan kommen circa 50 Prozent der Belegschaft aus dem benachbarten Werk in Poznań, um die Kollegen einzulernen. Bei voller Auslastung werden noch etwa 30 Prozent der Arbeitnehmer aus dem Caddy-/T6-Werk in Września arbeiten.

Nicht nur VW ist mit seiner Entscheidung äußerst zufrieden, auch in Polen freut man sich, dass Volkswagen und somit auch wieder Zulieferer den Weg nach Westpolen gegangen sind. Man kennt sich ja schon. Bereits sieben VW-Werken stehen in fünf polnischen Städten: in Kraków (MAN), Polkowice (Motorenwerk VW und Sitech), Poznań (MAN und Volkswagen Nutzfahrzeuge), Slupsk (Scania) und Starchowice (MAN). VW kurbelt die polnische Konjunktur an: Allein in Poznań und Września entstehen dank VW 10.000 direkte und 30.000 indirekte Arbeitsplätzen (bei Zulieferern).

Der Volkswagen Konzern produziert mit seinen zwölf Marken (aus sieben Ländern) bereits in 123 Fertigungsstätten weltweit – in 20 europäischen (davon sechs osteuropäischen) Ländern, sechs asiatischen, jeweils zwei nord- und zwei südamerikanischen Ländern sowie in Südafrika. Deutschland hat mit 28 Volkswagen-Produktionsstätten noch immer die Nase vorn, aber die Tendenz zeigt, dass neue Fabriken im Ausland angesiedelt werden – meist aus ökonomischen Gründen. Andererseits ist der Kauf eines 220 Hektar (2,2 Quadratkilometer) großen Areals schon lange nicht mehr überall möglich. 2,2 Quadratkilometer sind, zur Versinnbildlichung, 300 Fußballfelder – oder immerhin ein Sechstel der Siedlungsfläche der neuen Crafter-Stadt Września mit ihren 30.000 Einwohnern.

 

Franziska Weber