In den Straßen von San Francisco

Über das selbstfahrende Taxi. Oder den mühsamen Versuch, etwas Neues zu versuchen.

Nein, die folgenden Überlegungen sind kein Versuch, mehr oder weniger bekannte Kalendersprüche aneinanderzureihen. Aber das eine oder andere Exempel passt gut zur Geschichte. Etwa die Ansage, die Karl Valentin bei Mark Twain gefunden hat: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“

Kaiser Wilhelm II, ein Holzhacker mit minderer Begabung und ohne Skrupel, hielt die Jahrhunderterfindung für eine Eintagsfliege: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Wilhelms Urteilskraft war berühmt. Ein paar Jahre später tauschte er die sichere Etappe in Spa mit dem komfortablen Exil in Holland. Oder Adam Opel, der Gründer der Industriedynastie: „Aus diesem Stinkkasten wird nie mehr werden als ein Spielzeug für reiche Leute.“ Seine Söhne wussten es besser, der Stinkkasten (und die Kriegsmaschinen) machte die reichen Opels noch reicher. 1917 wurden die Familie kurz vor Toresschluss noch in den Adelsstand versetzt, bevor sie 1929 an die Amerikaner verkaufte. 

Apropos: „Die Amerikaner finden für jedes Problem die bestmögliche Lösung, nachdem sie alles Andere vorher ausprobiert haben.“ Es ist ein Bonmot, das Winston Churchill zugeschrieben wird, und der herausragende Staatsmann mit der Vorliebe für Whisky, Zigarren und Sarkasmus spielte damit vielleicht auch auf die Boston Tea Party an. Churchill war ja nicht nur Politiker, sondern auch Seefahrer, Historiker und Literaturnobelpreisträger.

Wagemut und Pragmatismus

Unbestritten ist jedenfalls, dass Wagemut und Risikobereitschaft neben Geschäftstüchtigkeit und Pragmatismus ein wichtiger Teil der US-DNA sind. Die Vorfahren, die übers große Meer kamen, hatten keine Rückflugtickets. Man darf in Amerika scheitern, weil man im Anschluss ja wieder neu anfangen kann. Schadenfreude von der Seitenlinie gibt es nicht. Die „bestmögliche Lösung“ braucht unter Umständen ein wenig Zeit, aber irgendwann wird es schon klappen.

Ein bisschen Spielgeld ist hilfreich, das ist klar. Die Big-Business-Firmen Waymo (Google) und Cruise (General Motors) verfolgen zum Beispiel den verwegenen Plan des fahrerlosen Taxis mit erstaunlicher Hartnäckigkeit. Die Geschäftsidee ist simpel: Das Robotaxi kombiniert Assistenzsysteme und Satellitennavigation mit präziser Perfektion, die Technik ersetzt den Fahrer, die Fahrt wird sicherer – und billiger. Theoretisch jedenfalls.

Die Damen mit den großen Hüten

Funktioniert niemals, sagt der Europäer, der sich vor 25 Jahren auch nicht vorstellen konnte, dass Digitalisierung und Internet den (Geld-)Druckmaschinen der Medienkonzerne den Saft abdrehen würde. Irgendwas ist immer, sagen die Skeptiker, viel zu gefährlich. Das erinnert an die Damen mit den großen Hüten, die sich nach dem Theaterabend weigerten, in die Motorkutsche des innovativen Taxlers zu steigen. 

San Francisco, das Tor zum Pazifik, ist jetzt die Vorstadt des Silicon Valley. Es ist das ideale Testgelände für das Robotaxi. Die Stadt hat eine ordentliche Größe, Topografie und Witterung sind anspruchsvoll, die Bevölkerung ist aufgeschlossen. Viele arbeiten bei den Big Techs in der Nachbarschaft.

Funkloch und Feuerwehr

Die Stadtverwaltung mauerte zwar – Einwände gab es vor allem von der Feuerwehr -, aber die kalifornische Aufsichtsbehörde CPUC (California Public Utilities Commission) gaben Waymo und Cruise grünes Licht: Könnt ihr jetzt auch mal ohne Fahrer ausprobieren, also ohne die bisher obligatorischen menschlichen Backups hinterm Lenkrad.

Prompt gab es Probleme, begleitet von hämischen Kommentaren. Ein Cruise-Shuttle verirrte sich in eine Baustelle und blieb im nassen Beton stecken. Andere Autos strandeten wegen des überlasteten Mobilfunknetzes am Rande eines Volksfestes und blockierten die Straße. Schließlich kollidierte ein Robotaxi ausgerechnet mit einem Feuerwehrauto. Cruise kommentierte den Lapsus des seelenlosen Mitarbeiters ein wenig unbeholfen: Der fahrende Roboter habe den Löschwagen nämlich trotz der unübersichtlichen Straßensituation „fast sofort“ erkannt und überdies habe sich das Einsatzfahrzeug im Gegenverkehr bewegt. Was bei Rettungswagen schon mal vorkommen kann. Einerseits. Andererseits hört die Welt immer wieder auch von menschlichen Irrläufern, die mit ihren Autos in Baustellen oder auf Kreuzungen stranden oder eben mit Rettungsfahrzeugen crashen – trotz Blaulicht und Tatütata.

Es kommt eben immer auf die Perspektive an.

Die CPUC will ihre Entscheidung nach einer ersten Zwischenbilanz Ende des Jahres auf den Prüfstand stellen. Waymo, Cruise und die Amazon-Tochter Zoox arbeiten derweil an echten Taxirobotern – relativ einfach konstruierten Fahrkabinen ohne Lenkrad und Pedale mit einem Meilentarif von unter einem Dollar.

„Der Weg ist das Ziel“, weil „alles fließt“. Konfuzius und Heraklit waren übrigens Zeitgenossen.

 

Unser Aufmacherbild: Cruise-Robotaxi in den Straßen von San Francisco, hier noch mit menschlichem Sicherheits-Backup hinterm Lenkrad. Foto: Cruise

 

Lexikon a

 

Hugo von Bitz