„Watt mutt, dat mutt“

Subventionswettlauf und Wirtschaftspolitik am Beispiel der geplanten Northvolt-Batteriefabrik an der schleswig-holsteinischen Westküste.

Wirtschaftspolitik in Europa ist eine komplizierte Sache. Der Laie denkt, unternehmerische Investitionen hätten mit dem Staat nichts zu tun. Die Unternehmen wüssten schließlich selbst am besten, mit welchen Forschungen, Produkten und Investitionen sie in der Zukunft einen Markt, also Abnehmer finden. Man nennt es Marktwirtschaft.

So war es einmal.

Heute gibt es einerseits staatliche Protektion allerorten (Stichworte China, USA.). Zum anderen erreichen die Investitionen in Schlüsselindustrien gigantische Volumina. Hier sei nur auf die Chipfabrik des taiwanesischen Chipherstellers TSMC in Dresden und auf die 30-Milliarden-Intel-Investition in Sachsen-Anhalt verwiesen. Letztere bezuschusst der Bund mit 9,9 Milliarden Euro.

EU-Wächter und US-Subventionen

Dabei sind hohe Hürden zu überwinden. Die Wächter der EU über die Marktwirtschaft müssen jeweils ihr Plazet geben, dass die geplanten Vorhaben, die von der Marktwirtschaft abweichen, entweder Important Projects of Common European Interest (IPCEI) sind oder im Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) abgewickelt werden. Beide Maßnahmen enthalten Kriterien dafür, ob ein einzelner oder mehrere Mitgliedsstaaten gemeinsame von der EU und/oder vom Mitgliedsstaat unterstützt werden dürfen.

Die TCTF-Richtlinie wurde im August 2023 vom Bund in deutsches Recht übernommen. Die EU antwortet damit auch auf den neuen Protektionismus der USA, der mit Trump begonnen hat und durch die Biden-Regierung beispielsweise mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ausgeweitet wurde.

Zölle, Einfuhrkontingente und Devisenbewirtschaftung gab es als Handelshemmnisse schon immer. Hinzu kommen jetzt hohe Subventionen, die europäische Greentech-Firmen locken sollen – günstige Preise für Energie sowie Steuererleichterungen und Milliardenhilfen für Klima-Technologien machen die USA als Wirtschaftsstandort hochattraktiv. Es ist ein Subventionswettlauf.

600 Millionen Euro Bürgschaft, 246 Millionen Euro direkte Zuschüsse

Und damit zur geplanten Batteriefabrik des schwedischen Akku-Herstellers Northvolt bei Heide/Dithmarschen. Schon länger wird über das Projekt gesprochen. Von Anfang an war von einer 3-Milliarden-Euro-Investition mit 3.000 neuen Arbeitsplätzen an der Westküste Schleswig-Holsteins die Rede (im Haushaltsausschuss des Bundestages schönte Habecks Staatssekretär die Zahl auf 4.000.).

Die neue Fabrik könnte ein Vorzeigeprojekt der deutschen Energiewende werden. Für die Absicherung will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Bürgschaft der öffentlich-rechtlichen Förderbank KfW über 600 Millionen Euro bereitstellen – die Schweden hatten auch mit einem Standort in den USA geliebäugelt. Für die Hälfte der Bürgschaft will das Land eintreten. Schließlich gehe es um eines der bedeutendsten Ansiedelungsvorhaben der Bundesrepublik, so der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Zu den 600 Bürgschaftsmillionen kommen 137 Millionen Euro direkte Zuschüsse des Landes und 109 Millionen Euro vom Bund.

Zum Landeszuschuss, der neben anderen Projekten gerade erst über einen Nachtragshaushalt abgesichert werden musste, gab es eine lebhafte Debatte im Landtag, weil die Finanzierung – neben einem kleinen Betrag für eine Entwicklungsgesellschaft zur Realisierung der Batteriefabrik – aus dem Ukraine-Notkredit (!) erfolgt.

Der SSW, die Partei der dänischen Minderheit im Kieler Landtag, kritisiert die hohe Bürgschaft des Landes und verweist darauf, dass der Bund seinen Kredit in Form einer Wandelanleihe vergebe, aus der später eine direkte Beteiligung folgen könne.

Hauptkapitalgeber der Schweden sind VW und Goldman Sachs. Beteiligte sind die Firmenchefs Peter Carlsson und Carl Eric Lagerkrantz, aber auch Northvolt-Mitarbeiter, zwei Pensionsfonds aus Dänemark und Schweden sowie Blackrock und BMW. Der ursprüngliche Plan von VW und Northvolt, bei Salzgitter eine Batteriefabrik zu errichten, wurde 2021 von VW beendet.

„Wat mutt, dat mutt“

Wann es nun mit der großen Batteriefabrik in der Nähe von Heide losgeht, steht noch nicht (endgültig) fest. Der Standort hat sich wegen der Nähe zur günstigen, verfügbaren Windenergie angeboten, Grundstücke für das Betriebsgelände wurden bereits angekauft. Der Widerstand in der Bevölkerung ist unbeachtlich. Es gilt das norddeutsche „Wat mutt, dat mutt“. Elf Kilometer entfernt von der späteren Baustelle soll in den nächsten Monaten in Wesselburen ein Container-Dorf für 900 Bauarbeiter errichtet werden.

Im Detail hapert es jedoch noch. Die Konkretisierung des Ansiedlungsprojektes hat seit 2019 zu Änderungen geführt. Die betrifft auch die Finanzierung und die Zustimmung/Notifizierung der EU. So soll die Fabrik deutlich größer werden als geplant. Es muss entschieden werden, welches Förderprogramm greift (IPCEI oder TCTF). Hinzu kommt: Die Batteriezellentechnologie entwickelt sich dynamisch. Anders als bei der ersten Kontaktaufnahme mit der EU sind infolge der Kundenwünsche Änderungen erforderlich. Während ursprünglich auf eine Weiterentwicklung der Feststoffzelle gesetzt wurde, fordern die künftigen Kunden inzwischen auch die sogenannte Eisenphosphatzelle. Darauf sollen die Fertigungsanlagen ausgerichtet werden.

Alle wollen, dass Deutschland und die EU bei Hochtechnologieprojekten schneller werden. Jetzt muss auf Beamtenebene entschieden werden, welches Förderprogramm greift, ob es eine Kombination aus zwei Programmen gibt, ob neben der Erstinvestition sukzessive auch laufende Kosten für Forschung und Entwicklung gefördert werden oder gleich analog zum Baufortschritt. Europa nimmt den Fehdehandschuh zum US-amerikanischen Inflation Reduction Act auf.

Prognose

Noch in diesem Jahr werden die Beschlüsse zu den Bebauungsplänen der betroffenen Gemeinden Norderwöhrden und Lohe-Rickelshof (Kreis Dithmarschen) beschlossen und ausgelegt. Anschließend genehmigt die Kommunalaufsicht des Kreises Dithmarschen die Pläne. Und die EU- Wettbewerbskommission stimmt dem Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) zur TCTF-Förderung zu. Wenn Habecks Beamte es nicht vergeigen, werden im Frühjahr 2024 in Dithmarschen die ersten Bagger rollen.

 

Der Autor: Dietrich Austermann ist Jurist und CDU-Politiker. Von 1982 bis 2005 war er Mitglied im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2008 gehörte er der Landesregierung Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr an.

 

Foto, Illustration: motorfuture

 

 

 

Dietrich Austermann