Zukunft von gestern: Baby-Benz

Die Zukunft beginnt immer in der nächsten Sekunde. Sie lässt sich aber ein Stück weit konservieren, wenn die Form stimmt und die Idee. Beim Baby-Benz ist das der Fall.

 Baby-Benz im Windkanal / Foto: Mercedes-Benz

Als Daimler Ende 1982 den Mercedes 190 präsentierte, nörgelte die Fachwelt. Zu klein, das verwässert den Markenkern. Im Design zu avantgardistisch, das beschädigt die Seriosität. Kritiker sind oft von gestern, das liegt in der Natur der Sache. Der Baby-Benz jedenfalls schlug vor 35 Jahren auf dem Markt ein wie die sprichwörtliche Bombe. Modern, kompakt, Mercedes-Qualität. Und Mercedes-Preise. Der Neue war teuer, sehr teuer sogar. Und sorgte damit für Premiumprestige, das vielen Anhängern der Marke bis heute wichtig ist.

Kohl, Kalter Krieg, Reagan, Anropow

Apropos Bombe. Der Baby-Benz fuhr in eine Zeit der weltpolitisch klaren Verhältnisse. Der Status quo hieß Kalter Krieg. Der Eiserne Vorhang schien für die Ewigkeit errichtet. Der Osten stationierte Kurz- und Mittelstreckenraketen. Der Westen reagierte mit dem NATO-Doppelbeschluss. Der Kalte Krieg klirrte tiefgefroren. Menschen fassten sich an den Händen, sangen fromme Lieder und hielten Kerzen in die Höhe. Sektierer und Ex-Extremisten gründeten die Partei der Grünen. Helmut Kohl, ein Pragmatiker aus der Provinz, wurde im Herbst 1982 Bundeskanzler. In den USA regierte seit knapp 2 Jahren der Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan. Ex-KGB-Chef Jurij Wladimirowitsch Andropow übernahm im November 1982 die Macht in der Sowjet-Union. Bundesrepublik und DDR feierten – Schnapszahl! – den jeweils 33. Geburtstag, die Mauer teilte Berlin seit 21 Jahren. Und es sollte noch ein gutes Jahr dauern, ehe sich Udo Linderberg im Palast der Republik von den Blauhemden der FDJ und deren Chef Egon Krenz vera…lbern ließ.

Viel Wind, kein Kat

Die Automobilindustrie machte bereits viel Wind im Windkanal, aber sie fürchtete den Abgaskatalysator wie der Teufel das Weihwasser. Es ging um Blei im Benzin und die Haltbarkeit der Motoren, und die Luft in den Städten war katastrophal, nicht nur am Stuttgarter Neckartor. Der Baby-Benz kam ohne Katalysator auf den Markt, aber er war leicht (1080 Kilogramm in der Basisversion!) und schlüpfte gut durch den Wind. Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco hatte die kühne Form der Baureihe W 201 (Wagen 201) kühl kalkuliert: Luftwiderstandsbeiwert 0,34 war vor 35 Jahren Weltklasse. Gutes Design ist zeitlos, heute ist der 190er ein Klassiker im Frühstadium.

Gesamtauflage knapp 1,9 Millionen Exemplare

Mit dem Baby-Benz (Benziner und Diesel, Vier- und Sechszylinder, 72 – 234 PS) begründete Mercedes die spätere C-Klasse, die die Konzernkassen mittlerweile in der vierten Generation mit dem Cashflow einer Cashcow füttert. Der 190er lief bis August 1993 in einer Gesamtauflage von 1.879.630 Fahrzeugen in den Werken Bremen und Sindelfingen vom Band.

Redaktion