Installiert Ladestationen, baut Wasserstofftankstellen!

Fortschritt sieht anders aus. Mut sowieso. Von Visionen gar nicht zu reden. Was die Unionsparteien und die SPD in ihren Sondierungsgesprächen zum Thema Verkehr und Infrastruktur abgeliefert haben, ist ein Armutszeugnis.

Von Helmut Schmidt, dem fünften Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, ist der Satz überliefert: „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen.“ Schmidt, der Sozialdemokrat mit der Mütze, hat keine großen Fußspuren hinterlassen. Seine achtjährige Kanzlerschaft war hauptsächlich von einer maßlosen Ausgabenpolitik und einer panischen Notstandsgesetzgebung im Zuge des RAF-Terrors geprägt. Der Welt-Ökonom war ein Schuldenkanzler und ein unfreiwilliger Geburtshelfer der Grünen-Partei. Die letzten 25 Jahre vor seinem Tod wurde er von den Medien verklärt. Keiner weiß, warum. Helmut Schmidt hasste Journalisten. Und er hatte Unrecht.

Wer keine Visionen hat, sollte Politik lieber ambitionierteren Zeitgenossen überlassen.

Wie kraft- und mutlose Politik aussehen kann, erleben wir in diesen Tagen wieder. Es ist eine Politik, die ganz offensichtlich nur noch dem Machterhalt dient. Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD über eine Fortführung der großen Koalition sind ein Armutszeugnis. Die große Koalition wäre mit jetzt nur noch 53 Prozent der Wählerstimmen eine ganz normale kleine Koalition, und ihre Politikentwürfe sind kleines Karo.

Wir zitieren hier stellvertretend die Passage zum gesellschaftspolitisch zentralen Themenbereich Verkehr und Infrastruktur, dem im immerhin 28 Seiten umfassenden Ergebnispapier der Sondierungsgespräche ziemlich exakt eine halbe Seite gewidmet ist:

„II. Verkehr und Infrastruktur
Mobilität ist eine zentrale Grundlage für individuelle Freiheit und gesellschaftlichen Wohlstand, für wirtschaftliches Wachstum und für Arbeitsplätze in allen Regionen. Wir wollen deshalb für alle Menschen in Deutschland eine moderne, saubere und bezahlbare Mobilität organisieren und dabei die gesellschaftlichen Herausforderungen wie demografischer Wandel, Urbanisierung, Anbindung ländlicher Räume und Globalisierung meistern. Dazu werden wir unsere Infrastruktur weiter ausbauen und modernisieren und die großen Chancen von digitalen Innovationen, wie automatisiertes und vernetztes Fahren und von alternativen Antrieben auf allen Verkehrsträgern,nutzen.
Wir werden den Investitionshochlauf auf einem Rekordniveau für die Verkehrsinvestitionen mindestens auf dem heutigen Niveau fortführen. Wir werden die Mittel für das
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) erhöhen und dynamisieren. Wir werden ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz verabschieden. Damit wollen wir deutliche Verbesserungen und noch mehr Dynamik in den Bereichen Verkehr, Infrastruktur, Energie und Wohnen erreichen.
Wir wollen Fahrverbote vermeiden und die Luftreinhaltung verbessern. Die Mobilitätspolitik ist dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet. Wir wollen die Klimaziele von Paris erreichen und dabei soziale Belange berücksichtigen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleisten und bezahlbare Mobilität sicherstellen.
Dafür bedarf es eines ganzen Bündels von Maßnahmen, wie zum Beispiel der Förderung von Elektromobilität, des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienenverkehrs; effizienteren und sauberen Verbrennungsmotoren inklusive Nachrüstungen sowie der Verstetigung der Mittel im Rahmen des Nationalen Forums Diesel. Wir setzen uns dabei für ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern, Kommunen, Unternehmen und Gewerkschaften ein.“

Das Papier will alles, konkretisiert aber nichts. Es hebt sämtliche Partikularinteressen hervor (Klimaziele, soziale Belange, Wettbewerbsfähigkeit, bezahlbare Mobilität), verschweigt aber die Zielkonflikte. Die Richtung fehlt, ein Ziel ist nicht erkennbar. Stattdessen verliert man sich im Ungefähren: „Dafür bedarf es eines ganzen Bündels von Maßnahmen.“ Und auch dieser Allgemeinplatz darf nicht fehlen: „Wir setzen uns dabei für ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern, Kommunen, Unternehmen und Gewerkschaften ein.“

Projekte, ein Programm, ein Überschrift gar? Nicht erkennbar. Die Autoren – immerhin drei Dutzend der einflussreichsten und mächtigsten Politiker der größten Industrienation Europas – verteidigen die mageren Ergebnisse mit dem Sondierungsformat. Erst die richtigen Koalitionsverhandlungen brächten, so die SPD-Basis überhaupt wolle, konkrete Zielsetzungen. Die könnten, wir bleiben immer hübsch im Konjunktiv, an Ostern abgeschlossen sein, ein Achtel der laufenden Legislaturperiode ist dann schon wieder ausgesessen. Wir schenken uns an dieser Stelle die Frage, warum zwei Fraktionen, die acht der zwölf letzten Jahre gemeinsam in der Regierung waren, eine erneute Partnerschaft „sondieren“ müssen. Wir schenken uns auch die Frage an den Bundespräsidenten, wie lange eine geschäftsführende Bundesregierung in der Speisekammer hausen darf, bevor das Verfalldatum der politischen Hygiene greift.

Wir erlauben uns für den Fall tatsächlicher Koalitionsverhandlungen aber den Hinweis, das Leuchtturmprojekt Elektromobilität endlich mit Strom zu versorgen. Ladestationen sind kein Hexenwerk, man muss sie aber installieren. Und Wasserstofftankstellen für die bislang völlig unterschätzte Brennstoffzellen-Technik sind zwar teuer, können aber samt Solarkraftwerk an jeder handelsüblichen Großtankstelle angedockt werden. Man muss es nur wollen. Der Staat ist finanziell stark, und mit der Energie- und der Automobilwirtschaft sind potente Partner auf eigene Rechnung am Start. 

Die Steuerung solcher Prozesse nennt man übrigens Politik. Und Politik ist dann gute Politik, wenn die Zukunft auf der Agenda steht. Die Zukunft der Elektromobilität braucht Infrastruktur. Installiert Ladestationen, baut Wasserstofftankstellen!

Oskar Weber