Einer flog über das Kuckucksnest

Der Shootingstar Tesla entpuppt sich immer mehr als Luftnummer. Das ist womöglich schade, aber es ist ebenso zwangsläufig wie es vorhersehbar war. Unterdessen pflügen alte Schlachtschiffe wie Toyota, Daimler oder Renault-Nissan die Weltmärkte mit viel Geld und noch mehr Routine.

Vintery, mintery, cutery, corn,
Apple seed and apple thorn;
Wire, briar, limber lock,
Three geese in a flock.
One flew east,
And one flew west,
And one flew over the cuckoo’s nest.

Englischer Abzählreim, der Kindern Besonderheiten der Tierwelt auf augenzwinkernde Weise näher bringt: „Drei Gänse im Schwarm, eine flog gen Ost, eine gen West und eine über das Kuckucksnest.“

Im richtigen Leben funktioniert das nicht: Ein Schwarm fliegt immer nur in eine Richtung: Und der Kuckuck baut kein Nest. Seine Eier brüten unter fremden Federn. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Cuckoo ist eben ein verrückter Vogel, ein bisschen crazy – und genau dafür steht er umgangssprachlich im Amerikanischen.

Einer flog über das Kuckucksnest

Der Film aus der Nervenklinik ist Kult. Nicht nur wegen Jack Nicholson, der einen Ganoven spielt, der den Verrückten mimt, um dem Gefängnis zu entkommen – in der im Wortsinne irrigen Annahme, die Nervenheilanstalt jederzeit aus freien Stücken wieder verlassen zu können. „Einer flog über das Kuckucksnest“ kassierte 1976 die Best-Five-Oscars: bester Film, bester Hauptdarsteller, beste Hauptdarstellerin, beste Regie, bestes Drehbuch. Der Film ist eine Anklage gegen gesellschaftliche Zwänge und ein Plädoyer für den Nonkonformismus. Es ist ein großartiger Film, ein beängstigendes Abziehbild der Wirklichkeit, nur scheinbar surreal und komisch.

Wer drin ist, kommt nicht so einfach wieder raus

Die Realität ist nur in einem Punkt härter: Sie handelt von echten Menschen und ihren Wünschen und Zielen. Und ihrem Scheitern. Im Privaten wie im Geschäftsleben gilt: Wer erst einmal drin ist, kommt meistens nicht so einfach wieder raus. Wer zum Beispiel der fixen Idee erliegt, im 21. Jahrhundert mit einer eigenen industriellen Automobilproduktion gegen ein Dutzend global aufgestellte Topkonzerne anzutreten, muss ein bisschen cuckoo sein. Man tritt ja nicht nur gegen 100 Jahre Erfahrung in den Bereichen Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Service an. Man bekommt es auch mit beinharten Konkurrenten zu tun, die zudem teilweise auf überquellenden Konzernkassen sitzen.

Branchenkenner, Kartenhäuser

Old business, old industry – nichts daran kann eigentlich reizvoll sein für einen Newcomer. Es ist der Fluch des frühen überragenden Erfolgs, der Leuten wie Elon Musk Flügel verleiht. Alles besser zu wissen, besser zu können, besser zu machen. Es den Alten zu zeigen, wenn man nur will.

Sich ausgerechnet eine hochkomplexe Branche wie die Automobilindustrie auszusuchen ist allerdings Hybris. Ein Auto ist keine Milchschnitte und auch kein Smartphone.

Branchenkenner sind eigentlich Leute, die ein Thema komplett auf dem Schirm haben müssten. Umso überraschender waren die Vorschusslorbeeren, mit denen Tesla Motors an den Start ging. Mutiger Unternehmer, überragende Geschäftsidee, sensationelle Konzepte. Dabei genügte schon vor 15 Jahren ein flüchtiger Blick auf die Zahlen und Fakten, um ein schwankendes Kartenhaus im Wind zu erkennen.

Überragende Geschäftsidee?

Tesla setzt alternativlos auf den batterieelektrischen Antrieb. Auf gewichtsintensive Fahrzeugtechnik mit den ungelösten Problemen Batteriekapazität und Ladezeit also. Im Kurzstreckenbetrieb, wo auf dem Betriebshof oder in der Garage Steckdosen in ausreichender Menge bereitstehen, kann das durchaus reizvoll, sinnvoll, ökonomisch sein. Aber Tesla konzipierte Sportwagen und Reiselimousinen für den Fernverkehr und versprach den Kunden Schellladestationen entlang der Autobahnen. Die Expresslader brauchen 30 Minuten, um den Batteriezellen neue Energie zu geben – vorausgesetzt, es ist ein Anschluss frei. Die Tesla-Revolution, gäbe es sie, fräße ihre Kinder also spätestens in langen Warteschlangen vor belegten Stromtankstellen. So viele Ladestationen kann das Unternehmen gar nicht aufstellen, geschweige denn finanzieren, dass eine größere Zahl seiner Autos jederzeit zuverlässig und komfortabel bedient werden kann.

Sensationelle Konzepte?

Na ja. Tesla Motors baut Automobile. Die gibt es seit 130 Jahren, und seit über 100 Jahren rollen sie am Ende von Fließbändern als fertiges Produkt auf die Straße. Die genialen Konstrukteure und Designer der Automobilgeschichte sind Legion. Und die Zahl der Erfindungen und Patente rund ums Auto gehen in die Zigtausende.

Tesla suggerierte anfangs eine Revolution, deren Zeit noch nicht reif ist. Die Erzählung – Autos fahren elektrisch und das am besten autonom – bleibt bislang allerdings ohne Happyend. Das eine funktioniert auf längeren Strecken mehr schlecht als recht, und das andere ist bis auf Weiteres gefährlich bis tödlich. Die Entwicklung benötigt aber Erfahrung, Geld, Zeit. 

Mutiger Unternehmer?

Unbedingt. Das Paypal-Projekt soll Elon Musk erst einmal jemand nach machen. Bei Tesla Motors ist der gehypte Visionär aber vor allem ein Invstorenflüsterer.

Jetzt wo er den Überblick – und hoffentlich nicht den Verstand – verliert, kriechen die Kritiker hinter ihren Laptops hervor. Die Tesla-Finanzierung sei nichts anderes als ein Kaskadensystem, verbranntes Geld werde permanent mit frischem Kapital gelöscht. Das stimmt im Prinzip, aber wo ist das Problem? Ein Unternehmen, das sich an der Börse in schwindelerregende Kurshöhen schwingt, obwohl es über Jahre hinweg Quartal für Quartal dreistellige Millionenbeträge vernichtet, basiert nicht auf Lug und Trug, sondern auf irrationalen Entscheidungen gieriger Anleger.

Elon Musk ist ein begnadeter Verkäufer. Man kann ihm nicht vorwerfen, das Geld aufzusammeln, das ihm die Leute hinterher werfen. Egal wie es mit Tesla weiter geht: Man kann Musk nur wünschen, dass ihm die US-Börsenaufsicht SEC keinen Strick dreht aus seinen wirren „Raus aus der Börse, doch lieber drin bleiben in der Börse“-Eskapaden.

Elektrifizierung, Carsharing

Währenddessen pflügt der lange geschmähte alte Automobil-Adel – kein Ideen, keine Visionen, kein Mut – routiniert durch die Weltmärkte.

Toyota und Daimler zum Beispiel, oder Renault-Nissan. Drei Global Player mit besten Expertisen in Sachen Elektrifizierung. Renault und Nissan vermarkten batterielektrische Marktführer in Asien, Nordamerika und Europa, Hybridpionier Toyota und Daimler bringen die Brennstoffzelle zur Serienreife.Toyota hat sich gerade an Uber beteiligt, und Daimler meldet aus dem Carsharing-Business Kundenzahlen in zweistelliger Millionenhöhe.

Das andere Ende der Fahnenstange

Renault schließlich hat sich vor einigen Jahren einmal das andere Ende der Fahnenstange angeschaut, nämlich die Versorgung der Leute mit robuster, bezahlbarer Mobilität. Das Ergebnis, Dacia, ist nicht nur in Schwellenländern ein Hit. Seit 2004 fanden rund neun Millionen Dacia einen Abnehmer. Zum Vergleich: Tesla Motors, 2003 gegründet, hat seit 2010 rund 300.000 Autos ausgeliefert.

Die Automobilindustrie spielt in einer eigenen Liga. Sie ist eine Nummer zu groß für Elon Musk.

Oskar Weber