Formel E wagen für E-Wagen

Formel-E-Wochenende in Berlin läutet zweite Saisonhälfte ein. Zuschauer erleben spannenden Rennsport. Nissan-Pilot Rowland pflügt durchs Feld.

Am vergangene Wochenenden verwandelte sich das Vorfeld des stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof erneut zur Rennstrecke und bot zwei Tage Rennsport, der vor allem am Samstag, vor Spannung kaum zu übertreffen war. Etliche Positions- und Führungswechsel, spannende und enge Zweikämpfe auf einem temporären Kurs ohne wesentliche Auslaufzonen. Für die Zuschauer ein großartiges Rennen, für die Fahrer ein stressiger Job im Cockpit. Und das, obwohl der neu designte Rundkurs technisch keine allzu große Herausforderung für das 22-köpfige-Fahrerfeld war. „Es war verrückt“, sagt der 20-jährige Paul Aron nach seinem ersten Formel-E-Rennen. „Ich bin das definitiv nicht gewohnt und ich war noch nie so lange Seite an Seite mit so vielen Autos, um ehrlich zu sein. Die Zeit, die ich in diesem Rennen neben anderen Autos verbracht habe, entspricht dem, was ich in den letzten drei Jahren meiner Karriere gemacht habe.“

Effizienter geht es kaum

Die vollelektrische Rennserie ist im Vergleich zu anderen Rennserien komplexer, die Fahrer müssen sich erst an neue Aufgaben im Cockpit gewöhnen. Zum Beispiel das Energiemanagement. Die im Rennbetrieb 300 kW starken Boliden speisen ihre Energie aus der 38,5 kWh Lithium-Ionen-Batterie. Die Herausforderung besteht darin, dass die zu Rennbeginn zur Verfügung stehende Energie nur für circa 60 Prozent der Renndistanz reicht. Die restlichen 40 Prozent müssen die Piloten per Rekuperation (insgesamt 600 kW an Vorder- und Hinterachse) zurückgewinnen. Das Energiemanagement ist in der Formel E ein zentraler Schlüssel zum Erfolg. Für das zehnten Saisonrennen am Sonntag bedeutete das: 41 Rennrunden, viele Überholmanöver, Positionswechsel und Spannung pur. Und auch: 41 Runden à 2,343 Kilometer machen summa summarum 96,063 Rennkilometer. Mit einer 38,5 kWh Batterie bedeutet das, dass die 854 Kilogramm schweren Boliden im Renntempo im Schnitt umgerechnet 40,08 kWh pro 100 Kilometer verbrauchen – effizienter geht es kaum. In Benzin umgerechnet sind das 4,73 Liter auf 100 Kilometer.

Motorsport ist für Hersteller seit jeher ein Technologiebeschleuniger. „Wir nutzen es als Technologietransfer von der Rennstrecke auf die Straße“, sagt Nissan-Chef Makoto Uchida, der extra für das Sonntagsrennen einen Stop in Berlin eingelegt hat. Das zeigt, wie wichtig die Formel E für die Hersteller ist. Der begeisterte Motorsport-E-Fan Uchida blickt aktuell auf eine sehr erfolgreiche Saison, Nissan steht in seinem zweiten Jahr als Herstellerteam aktuell auf Platz drei der Team- und Fahrerwertung. „Wir sind sehr glücklich mit der aktuellen Saison und unserem Team“, sagt Uchida. Nissans Formel-E-Pressesprecherin Maria de Juana ordnet die aktuelle Position in die Formel E ein: „Wir versuchen uns weiterhin immer etwas schneller als die anderen Teams zu entwickeln, um weiterhin vorne dabei zu sein. Aber die Saison ist noch lang.“

Nissans Rowland: von den Startplätzen 15 und 16 jeweils aufs Podium

Die vollelektrische Formel E ist im Vergleich zu anderen Rennserien sehr ausgeglichen, quasi das gesamte 22-köpfige Fahrerfeld ist konkurrenzfähig. Grund hierfür sind die Einheitsboliden mit vielen Gleichteilen, die den Teams zur Verfügung stehen. Einzig der Antriebsstrang und die Software werden von den Teams entwickelt.

Ein Blick auf die Podestplätze bei den Saisonrennen neun und zehn in Berlin zeigt die Unvorhersehbarkeit der Läufe. Gute Ergebnisse sind von vorderen, aber auch von hinteren Startplätzen möglich. Nissan-Pilot Oliver Rowland mischte das Feld sowohl am Samstag als auch am Sonntag von hinten auf und fuhr von den Startpositionen 15 und 16 jeweils auf den dritten Platz. „Alle waren aggressiv, es wurde viel gekämpft und um Positionen gerungen, aber ich habe es genossen und ich freue mich, zum zweiten Mal an diesem Wochenende auf dem Podium zu stehen“, sagt Rowland nach dem Sonntagsrennen. „Vom 16. auf den dritten Platz zu fahren, ist ein weiteres unglaubliches Ergebnis und wir werden versuchen, diese Angriffsmentalität für die nächsten Rennen beizubehalten.“

Zum Vergleich: Auch die beiden Berlin-Sieger Nick Cassidy (Samstag) und António Félix da Costa (Sonntag) kämpften sich von den Startplätzen neun und zehn durchs halbe Feld, um am Ende ganz oben auf dem Podium zu stehen. Jaguar-Pilot Cassidy verlässt Berlin als WM-Führender – im Fahrer- und im Teamklassement.

Nissan Formula E Team mit Nissan-CEO Makoto Uchida (links) und den Fahrern Oliver Rowland (3. v. l.) und Sacha Fenestraz (2. v. l.)

Gen3 Evo, Gen4

In der aktuellen Saison starten die elf Teams in Formel-E-Boliden der dritten Generation, beim achten Saisonrennen in Monaco wurde bereits die Weiterentwicklung der aktuellen Autos vorgestellt, die ab der kommenden Saison an den Start geht: der Gen3 Evo.

Und um einen Blick in die fernere Zukunft zu werfen: Ab der 13. Saison starten die Teams in Formel-E-Autos der 4. Generation. Bisher haben mit Nissan und Jaguar bereits zwei Teams ihr Engagement in der Formel E verlängert – bis zum Ende der Gen4-Ära im Jahr 2030. „Unsere Teilnahme an der Serie bringt unseren Fans nicht nur Spannung und ein Spektakel auf der Strecke, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zu unseren Elektrifizierungszielen, die wir in unseren Ambition 2030 Plänen festgelegt haben“, sagt Nissan-Chef Uchida. „Die technologischen Durchbrüche, die wir auf der Rennstrecke erzielen, werden uns wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung unserer zukünftigen Produkte liefern. Wir freuen uns darauf, die Zukunft des elektrischen Rennsports zu sehen und weiter an einer nachhaltigen Welt für alle zu arbeiten.“

Lola mit Yamaha

Zusätzlich zu den frühzeitigen Bekenntnissen zweier Hersteller zur vollelektrischen Rennserie kehrt in der kommenden Saison ein traditionelles Team in den Motorsport zurück: Lola Cars startet zusammen mit Technologiepartner Yamaha ab der 11. Saison in der Formel E. „Für uns ist dies mehr als nur eine Gelegenheit, Lola auf die Rennstrecke zurückzubringen, es ist auch eine fantastische Plattform für die technologische Entwicklung“, sagt Lola-Cars-Motorsport-Chef Mark Preston. „Dieses Projekt wird es uns ermöglichen, eine einzigartige elektrifizierte Plattform mit einem Software-Fokus im Kern zu schaffen, um eine Basis für Lolas weitere Pläne zu schaffen, die die Zukunft der Motorsporttechnologie definieren.“

Es gibt noch viel zu tun

Auch 130 Jahre nach dem ersten Autorennen der Welt sehen Hersteller die Chance des Technologietransfers von der Strecke auf die Straße: Das Motto: Formel E wagen für E-Wagen. Aus dieser Sicht scheint die vollelektrische Rennserie einen Nerv zu treffen, doch in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung müssen sich die Macher um Formel-E-Gründer Alejandro Agag weitere Gedanken machen. Das Zuschauerinteresse hinkt weiterhin den Erwartungen hinterher. Woran das liegt? Schwer zu sagen. Die Komplexität der Serie ist nicht auf den ersten Blick sichtbar, klassischen Petrolheads fehlt der Sound, die Vermarktung ist deshalb schwierig. 

In der laufenden zehnten Saison stehen noch sechs Rennen an drei Rennwochenenden auf dem Programm: Shanghai (China), Portland (USA) und London (Großbritannien). Aktueller WM-Stand: Jaguar führt mit 237 Punkten vor Porsche (183 Punkte) und Nissan (144 Punkte). In der Fahrerwertung führt Jaguar-Pilot Nick Cassidy das Klassement mit 140 Punkten vor Pascal Wehrlein (124 Punkte) und Oliver Rowland (118 Punkte) an.

 

 

Formel E Saison 2023/24
Fahrerwertung nach 10. Rennen
1. Nick Cassidy, Jaguar TCS Racing
140 Punkte
2. Pascal Wehrlein, TAG Heuer Porsche Formula E Team 124 Punkte
3. Oliver Rowland, Nissan Formula E Team 118 Punkte
4. Jake Dennis, Andretti Formula E 102 Punkte
5. Mitch Evans Jaguar TCS Racing 97 Punkte
6. Jean-Éric Vergne, DS Penske 84 Punkte
7. Maximilian Günther, Maserati MSG Racing 65 Punkte
8. António Félix da Costa, TAG Heuer Porsche Formula E Team 59 Punkte
9. Stoffel Vandoorne, DS Penske 43 Punkte
10. Sam Bird, NEOM McLaren Formula E Team 38 Punkte
11. Sacha Fenestraz, Nissan Formula E Team 26 Punkte
12. Jake Hughes, NEOM McLaren Formula E Team 25 Punkte
13. Norman Nato, Andretti Formula E 24 Punkte
14. Robin Frijns, Envision Racing 21 Punkte
15. Sébastien Buemi, Envision Racing 20 Punkte
16. Nico Müller, Abt Cupra Formula E Team 18 Punkte
17. Dan Ticktum, ERT Formula E Team 12 Punkte
18. Sérgio Sette Câmara, ERT Formula E Team 11 Punkte
19. Jean Daruvala, Maserati MSG Racing 8 Punkte
20. Edoardo Mortara, Mahindra Racing 7 Punkte
21. Taylor Barnard, NEOM McLaren Formula E 5 Punkte
22. Joel Eriksson, Envision Racing 2 Punkte
23. Lucas di Grassi, Abt Cupra Formula E Team 1 Punkt
24. Kelvin van der Linde, Abt Cupra Formula E Team 0 Punkte
25. Nyck de Vries, Mahindra Racing 0 Punkte
26. Jordan King, Envision Racing 0 Punkte
27. Paul Aron, Envision Racing  0 Punkte

 

Teamwertung nach 8. Rennen
1. Jaguar TCS Racing 237 Punkte
2. TAG Heuer Porsche Formula E Team 183 Punkte
3. Nissan Formula E Team 144 Punkte
4. DS Penske 127 Punkte
5. Andretti Formula E 126 Punkte
6. Maserati MSG Racing 73 Punkte
7. NEOM McLaren Formula E Team 68 Punkte
8. Envision Racing
43 Punkte
9. ERT Formula E Team 23 Punkte
10. Abt Cupra Formula E Team 19 Punkte
11. Mahindra Racing 7 Punkte

 

*Punkteschlüssel Plätze 1 bis 10: 25 P. / 18 P. / 15 P. / 12 P. / 10 P. / 8 P. / 6 P. / 4 P. / 2 P. / 1 P. 3 Zusatzpunkte gibt es für die Pole Position, 1 Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde.

Franziska Weber