Neues Mobilitätskonzept aus der Schweiz. Retro, elektrisch, emotional. Unterwegs mit dem Microlino. Fahrbericht.
Freude am Fahren – der BMW-Slogan beschreibt das, was ein Auto bestenfalls hervorruft. Noch besser, wenn sich die Freude bereits vor dem Fahren einstellt, beim bloßen Anblick oder Gedanken daran. Der Microlino zieht bei der Testfahrt in Mainz mit seinem Retro-Design viele freudige Blicke auf sich. Das Kleinstfahrzeug aus der Schweiz erinnert optisch stark an die Isetta, die BMW in den 1950er Jahren vor dem Ruin gerettet hat.
Hype auf zwei und drei Rädern
Der elektrisch angetriebene Zweisitzer startet ebenfalls mit guten Erfolgschancen. Nach zwei Tagen auf dem Genfer Automobilsalon 2016 standen bereits 500 Reservierungen in den Büchern des Familienunternehmens, das bis dato für seine millionenfach verkauften Tretroller bekannt ist. Der Schweizer Wim Ouboter entwickelt den Micro Scooter und startete 1997 einen Hype auf zwei und drei Rädern. Micro bietet heute über 50 Mobilitätsprodukte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in über 80 Ländern an.
Vor zehn Jahren tritt Micro mit dem ersten E-Roller in die Elektromobilität ein. Und im Jahr 2015 startet Wim Ouboters Söhne Merlin und Oliver Ouboter das Projekt Microlino. Mittlerweile ist das Team auf 80 Mitarbeiter angewachsen. „Wir haben uns gefragt, wie die Zukunft der Mobilität aussieht“, sagt Oliver Ouboter. „Im Durchschnitt sitzen 1,2 Personen im Auto und legen eine Strecke von 35 Kilometern zurück. Und das im Stadtverkehr mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h. Das herkömmliche Auto ist völlig over-engineered für diesen Usecase.“
Kurz, schmal, leicht
Oliver und Merlin Ouboter wollen also ein neues Produkt für das städtische Umfeld entwickeln, dass die Nische füllt. Zusammen mit der Schweizer Fachhochschule ZHAW entsteht das Design des 2,52 Meter kurzen und 1,47 Meter schmalen Fahrzeugs der Klasse L7e. Die Kategorie L7e bezeichnet drei- und leichte vierrädrige Kraftfahrzeuge mit einer maximalen Leermasse von bis zu 400 kg (bei E-Fahrzeugen ohne Masse der Batterien) und mit einer maximalen Nutzleistung von bis zu 15 kW. „This is not a car. It’s a Microlino“, lautet deshalb der Slogan des Micro-E-Fahrzeugs.
Fronttür, Tropfenform
„Wir wollten von Anfang an eine Fronttür“, sagt Merlin Ouboter. „Die technischen Schwierigkeiten, die sich dadurch ergeben, wurden uns erst später klar“. Die Fronttür und die Tropfenform mit schmalerer hinterer Spur lassen das Design der legendären BMW Isetta wieder aufleben. „Durch die Tropfenform lässt sich die Ähnlichkeit gar nicht vermeiden“, sagt Merlin Ouboter.
Die Microlino-Tür öffnet sich wie bei der Isetta nach vorn. Dahinter befindet sich eine in der Länge verstellbare Sitzbank, auf der zwei Personen Platz finden. Das Cockpit ist puristisch gehalten, hinter dem Lenkrad zeigt ein digitaler Tacho alle relevanten Fahrinformationen: Tempo, Akkustand, Kilometerstand, Rekuperation. Kleiner Nachteil: Die Reichweite wird nicht in Kilometern angegeben.
Im kleinen mittig angebrachten Touchdisplay können Heizung und Lüftung reguliert werden. Eine Handyhalterung lässt das eigene Smartphone zum Infotainmentsystem werden, zusätzlich kann ein Lautsprecher bestellt werden, der einen fixen Platz rechts neben dem Beifahrersitz hat. Weitere kleine Ablageflächen und USB-Anschlüsse komplettieren den Innenraum. Die reduzierte Innenausstattung spart Gewicht, reicht aber vollkommen aus. Die Fenster und das optionale Schiebedach lassen sich leicht mit der Hand öffnen und schließen. Genau wie die Seitenspiegel – die gleichzeitig auch die Frontscheinwerfer des Zweisitzers sind. Überraschend groß ist der Kofferraum, der 230 Liter fasst und Platz für den Wocheneinkauf inklusive Getränkekisten bietet.
12,5 kW, drei Batteriegrößen
Im Heck sitzt auch der Antrieb des kleinen E-Fahrzeugs. 12,5 kW (17 PS) und 89 Nm treiben den 435 Kilogramm leichten Microlino bis maximal 90 km/h. Drei Batteriegrößen stehen zur Wahl, die Reichweiten von 91 Kilometer (6 kWh), 177 Kilometer (10,5 kWh) und 230 Kilometer (14 kWh) versprechen. Die Lithium-Ionen-Batterie kann innerhalb von zwei bis drei Stunden (je nach Batteriegröße) sowohl an einer Haushaltssteckdose als auch an einer Wallbox aufgeladen werden.
E-Autotypisch ist der Antritt direkt – mehr Power gibt es im Sportmodus. Die Bremsen sind okay, Federung und Dämpfung für die Kurzstrecke völlig ausreichend. Ebenso die 13-Zoll-Räder.
Der Microlino ist ein Leichtfahrzeug, das darf man nicht vergessen. Im Stadtverkehr macht der Microlino richtig Spaß. Und genau dafür ist er gemacht. Für kurze Strecken in und um die Stadt. „Unsere Schweizer Kunden wohnen meist in Speckgürteln von Großstädten, das ist der optimale Einsatzbereich für den Microlino“, sagt Merlin Ouboter. Im Heimatland des Winzlings sind bereits 300 Microlino ausgeliefert, 450 weitere Fahrzeuge verkauft.
München legt vor, neun weitere Standorte folgen
Im Mai ist der offizielle Verkaufsstart für das Elektrowägelchen in Deutschland, in der Motorworld München gibt es den bundesweit ersten Microlino-Showroom. Neun weitere folgen im Laufe des Jahres. 13.000 Interessenten haben sich bereits unverbindlich einen Microlino reserviert. „Die Reservierungen haben Vorrang bei der Auslieferung, aber uns ist klar, dass nicht alle Interessenten schlussendlich auch einen Microlino kaufen werden“, sagt Merlin Ouboter.
Ein Schweizer aus Turin
Gebaut wird der Microlino seit vergangenem Jahr in Turin in Zusammenarbeit mit dem italienischen Fertigungsunternehmen CECOMP. Momentan laufen zehn Fahrzeuge pro Tag vom Band, 2023 sollen 4000 Microlino die italienische Fabrik verlassen – Deutschland ist mit geplanten 1500 Stück der größte Markt. In Zukunft kann die Produktionskapazität im Zweischichtbetrieb auf bis zu 20.000 Fahrzeuge pro Jahr gesteigert werden.
Für den Vertrieb hat sich das Schweizer Unternehmen erfahrene Partner gesucht. In Deutschland vertreibt Astara den Elektro-Zwerg. Als vierte Marke ergänzt Micro das bestehende Portfolio der internationalen Mobilitätsgruppe, die in Deutschland bereits SsangYong, MAXUS und Isuzu vertreibt. „Das Produkt verkörpert perfekt, wofür Astara als Mobilitätsunternehmen steht“, erklärt Olivier Sermeus, Managing Director von Astara Western Europe.
Emotionen, Preise, Käufer und Verkäufer
Die zum Marktstart in Deutschland verfügbare auf 999 Exemplare limitierte Pioneer-Edition ist mit der mittleren 10,5-kWh-Batterieversion ausgerüstet und kostet 22.690 Euro. Andere Ausstattungslinien folgen im Laufe des Jahres, der Einstiegspreis des Microlino liegt dann bei 17.690 Euro. Ein stolzer Preis für ein Leichtfahrzeug, zumal die deutsche Umweltprämie für die Fahrzeugkategorie L7e-Fahrzeuge nicht greift.
Für die Zielgruppe des Microlino wird das wahrscheinlich nicht der ausschlaggebende Punkt sein, denn der kleine Vollelektriker für die Stadt wird die Garagen in aller Regel als Zweit-, Dritt-, oder Viertauto erobern. „Nicht jede Kaufentscheidung ist rational“, sagt Merlin Ouboter. „Der Microlino ist ein sehr emotionales Fahrzeug.“ Einer der ersten Microlino-Besitzer weltweit ist Gucci-CEO Marco Bizzarri. Ein wichtiger Repräsentant für die Marke Microlino. „Jeder Microlino-Käufer ist gleichzeitig auch Verkäufer“, sagt Merlin Ouboter.
Fotos: Micro