Kerstin Andreae fragt nach: Wo bleibt die 15-Millionen-E-Auto-Strategie?

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht die Elektromobilität auf einem guten Weg. Und kritisiert die Ampel. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Regierungspolitik sei nicht zu übersehen.

Kerstin Andreae (Bild rechts) ist seit Ende 2019 Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Ihre Karriere fußt auf dem Ticket der Grünen. Zwischen 2002 und 2019 vertrat Andreae die Partei im Bundestag. Das hindert die Schwarzwälderin nicht daran, jetzt deutliche Worte an das von ihrem Parteifreund Robert Habeck geführte Bundeswirtschaftsministerium zu richten. Der deutsche Elektroauto-Bestand wachse zwar stabil, sagte sie Mitte April bei der Vorlage des neuen BDEW-Elektromobilitätsmonitors in Berlin, aber das reiche nicht. „Die 15 Millionen E-Pkw, die laut Koalitionsvertrag und laut Expertenbeirat Klimaschutz 2030 auf den Straßen fahren sollen, erreichen wir damit nicht.“ Für die Chefin der mächtigen Energie- und Wasserlobby, die bundesweit rund 1900 Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft vertritt, ist klar: Es brauche „eine 15 Millionen-E-Auto-Strategie, die mehr vollelektrische Fahrzeuge auf die Straße bringt.“

Der Elektromobilitätsmonitor des Verbandes listet alljährlich die Fortschritte der Motorisierungswende – und die Versäumnisse. Der Bericht fasst aktuelle Kennzahlen zusammen und ordnet technologische Trends sowie bisherige Marktentwicklungen ein: BDEW-Elektromobilitätsmonitor.

Schnell und dynamisch“

Doch der Reihe nach. 2022 war der BDEW-Erhebung zufolge „ein Rekordjahr“ – sowohl bei den Zulassungen von E-Fahrzeugen als auch beim Zubau von Ladepunkten und Ladeleistung. Nie zuvor seien in Deutschland so viele vollelektrische Autos zugelassen und so viele Ultra-Schnellladepunkte gebaut worden. Die Ultra-Schnellladepunkte mit einer Ladeleistung von über 150 kW hätten zum Beispiel um 80 Prozent zugelegt: von 3851 auf 7037 Ladepunkte. Das zeige: „Der Elektromobilitätsmarkt entwickelt sich schnell und dynamisch.“ 

Wunsch und Wirklichkeit: 1,03 Millionen versus 15 Millionen

Der „Blick auf die Fahrzeugseite“ dokumentiert aber die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit der aktuellen Politik. Zwar hätten die Zulassungszahlen seit 2020 vor dem Hintergrund der verschärften europäischen CO2-Flottengrenzwerte und der nationalen E-Auto-Förderung spürbar angezogen und die Absatzzahlen im vergangenen Jahr „auf ein Rekordhoch“ getrieben. „Aber die 15 Millionen E-Pkw, die laut Koalitionsvertrag und laut Expertenbeirat Klimaschutz 2030 auf den Straßen fahren sollen, erreichen wir damit nicht“, kritisiert Kerstin Andreae. Klare Ansage der BDEW-Chefin: „Hierfür braucht es eine 15 Millionen-E-Auto-Strategie, die mehr vollelektrische Fahrzeuge auf die Straße bringt.“

Die Forderung folgt einer einfachen Rechnung. Legt man das Business-as-usual-Szenario des Bundeswirtschaftsministers zugrunde – soll heißen: Die E-Auto-Zulassungen wachsen mit dem bisherigen Tempo – ist bis 2030 in Deutschland mit einem Bestand von acht Millionen rein elektrisch betriebener BEV (Battery Electric Vehicle) zu rechnen. Zum Vergleich: Am 1. Januar 2023 waren laut amtlicher Statistik zwischen Westerland und Berchtesgaden 1,013 Millionen BEV zugelassen.

Ladeleistung: Qualität vor Quantität

Kritik äußert Andreae auch an der Strategie für den Ausbau der öffentlichen Lade-Infrastruktur. Zwar habe sich die Ladeleistung seit 2019 verdreifacht. Aber „dieser enorme technologische Leistungssprung“ mache die bisherige Zielsetzung – eine Million Ladepunkte im öffentlichen Raum – obsolet: „Heute ist nicht die Anzahl, sondern die installierte Ladeleistung relevant.“ Aktuell seien sogar „über 20 Prozent mehr Ladeleistung in Deutschland installiert als gefordert“. In diesem Zusammenhang werde auch deutlich, dass die Förderprogramme des Bundes zwar helfen könnten, „sie sind aber keineswegs allein Treiber des Ladesäulenausbaus“. Die meisten Unternehmen verzichteten wegen der bürokratischen Hürden sogar auf eine Förderung: „Der Ausbau läuft heute vor allem wettbewerbsgetrieben.“

Positiv beschreibt der BDEW-Elektromobilitätsmonitor den Erfahrungshorizont des Elektroauto-Fahrerinnen und -Fahrer. 99 Prozent würden sich einer Nutzerumfrage zufolge „wieder ein E-Auto kaufen“. Die Alltagspraxis mit der ungewohnten Streckdosentechnik überzeugt ganz offensichtlich auch ängstliche Naturen: „Sorgen zur Reichweite und zum Laden, die sie vor dem Autokauf hatten, haben sich aufgelöst.“ 

Fotos: motorfuture, Thomas Imo Photothek/BDEW

 

motorfuture KATALOG e

Oskar Weber